Start Militärgeschichte Admiral Rodney und die Eroberung von Sint Eustatius 1781

Admiral Rodney und die Eroberung von Sint Eustatius 1781

Der britische Admiral George Brydges Rodney (1718-1792). Stich von E.Scriven, 1833. Bild: © Candyman/Bigstock.com

Während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1775-1783) gerät auch die Inselwelt der Karibik in das Zentrum der militärischen Auseinandersetzungen. Zwischen 1776 und 1782 werden die Westindischen Inseln zum Schauplatz einer ganzen Reihe dramatischer Seeschlachten, Landungsunternehmen und Belagerungsaktionen. Eine machtvolle Allianz steht den Aufständischen in Nordamerika dabei zur Seite: 1778 tritt Frankreich in den Krieg gegen das Empire ein; 1780 folgt Frankreichs Verbündeter Spanien; und nach einer britischen Kriegserklärung im Dezember 1780 geraten zuletzt auch die Niederlande in die Auseinandersetzungen mit der englischen Weltmacht. Vor allem für die Großmächte Frankreich und Spanien gilt es nach den Siegen der Briten auf den Schlachtfeldern des Siebenjährigen Krieges (1756-1763), insbesondere in Nordamerika, die Hegemonialstellung Großbritanniens nachhaltig zu schwächen. Im Fokus dabei nicht nur der nordamerikanische Kontinent, sondern auch: die Karibik. Zu den konkreten Kriegszielen der kontinentaleuropäischen Tripelallianz im Bereich des Amerikanischen Mittelmeeres gehören vor allem: eine Rückgewinnung Floridas für Spanien sowie die Eroberung der rund 10.000 km² großen Zuckerinsel Jamaika. Letztere eine der lukrativsten kolonialen Besitzungen der Briten und Kernzone ihrer karibischen Sklavenwirtschaft.

Die Niederländer im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg

Mit der Kriegserklärung Großbritanniens an die Vereinigten Provinzen der Niederlande im Dezember 1780 geht eine fast einhundertjährige Friedensperiode zwischen beiden Ländern zu Ende. Der Kriegsausbruch ist zwar in England wie in Holland gleichermaßen umstritten ─ die dynastischen Verbindungen der Oranier nach England sind überaus eng; zudem ist die kleine niederländische Flotte den schlagkräftigen Linienschiffen der Royal Navy heillos unterlegen. Dennoch besitzen die amerikanischen Rebellen gerade unter der niederländischen Kaufmannschaft und im Kreis der aufgeklärten niederländischen Patriotenpartei auch große Sympathien. Für diese Fraktion, die von Anfang an in den Schleichhandel mit den nordamerikanischen Rebellen verstrickt ist, kommt der späte Kriegseintritt scheinbar zu einem überaus günstigen Zeitpunkt: In der Schlussphase des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges scheint der mächtige Rivale von den Britischen Inseln unversehens zu straucheln. Die britischen Kampagnen in den Süden der Rebellenunion, vor allem in die überwiegend loyalistisch gesonnenen Carolinas, wo sich mit Charleston der wichtigste südliche Verbindungshafen in die Karibik befindet, erbringt zwischen 1778 und 1781 nicht die erhoffen Erfolge. Im Windschatten des französisch-spanischen Kriegsbündnisses können sich die Niederländer, so will es insbesondere den Befürwortern einer Konfrontation mit dem Empire scheinen, nun also durchaus berechtigte Hoffnungen auf eine massive Schwächung Großbritanniens innerhalb des atlantischen Handelssystems machen. Der Verlust weiter Teile des nordamerikanisch-westindischen Netzes aus Stützpunkten, Siedlungs- und Pflanzerkolonien zwischen Neufundland und Barbados, der afrikanischen Goldküste und den Küsten Mittelamerikas, scheint unvermutet im Bereich des Möglichen. Und es ist eben dieses merkantilistische Imperium der Briten, dass vor allem der patriotisch gesonnene Teil der niederländischen Bevölkerung für den steten Niedergang seines eigenen Seehandels begreift. Insbesondere im atlantischen Dreieckshandel ist diese für die Niederländer negative Entwicklung während des gesamten 18. Jahrhunderts zu beobachten. Die einstmals so machtvoll in der Region zwischen Westafrika und der Karibik agierende West-Indische Compagnie (WIC) mit ihrem Hauptquartier in Amsterdam ist inzwischen hoch verschuldet und von Subsidien der Vereinigten Provinzen abhängig. Im ausgehenden 18. Jahrhundert gilt die West-Indische Compagnie als militärisch schwach und ineffizient; ein bloßes Verwaltungs- und Steuerungsinstrument für den privaten niederländischen Handel und die Besitzungen der Sieben Provinzen auf den Antillen und in Guayana.

Versorgungspunkte in der Karibik für die Rebellen im Norden

Während in Europa, zumal in den Niederlanden, der Krieg mit Großbritannien zum Ausgangspunkt zahlreicher innen- und außenpolitischer Krisen wird, weiß man in den aufständischen Kolonien Nordamerikas jede Unterstützung zu schätzen: Den Amerikanern hilft die offensivfreudige Allianz mit Frankreich, Spanien und den Niederlanden nicht nur, eine beträchtliche Zahl britischer Soldaten und Schiffe in der Karibik zu binden; das machtvolle Bündnis erschließt den Aufständischen in der dreizehn Kolonien auch immer neue Möglichkeiten und Wege zur Versorgung mit Waffen, Munition und Manufakturwaren aus europäischer Produktion; darunter auch Luxusgüter für die Pflanzerelite, von Seidenstoffen bis hin zu kostbarem Tafelsilber. Vor allem im Inselgewirr der Kleinen Antillen mit seinen zahlreichen Buchten und Eilanden ist jeder Versuch der britischen Marine, die Nachschubwege der Rebellen von der Karibik in den Süden des nordamerikanischen Festlandes effektiv zu blockieren, zum Scheitern verurteilt. Mehr noch: Die zahlreichen Stützpunkte und Kolonien der anti-britischen Koalition in der Karibik bieten Amerikas Kaperfahrern beste Bedingungen für einen langen und zähen Seekrieg gegen den britischen Afrika- und Westindien-Handel. Vor allem eine Insel ist den Briten dabei ein Dorn im Auge: die zumindest bis Dezember 1780 offiziell als neutral geltende niederländische Inselkolonie Sint Eustatius.

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Die „Niederländischen Antillen“ und die West-Indische Compagnie

Ursprünglich von französischen Freibeutern besetzt, steht Sint Eustatius seit 1636 unter der Herrschaft der altehrwürdigen West-Indischen Compagnie. Die einst so mächtige Handelsgesellschaft, in der vor allem Amsterdamer Kaufmannskreise tonangebend sind, kontrolliert bis in die 1670er Jahre einen Teil der nordöstlichen Karibik. Neben Sint Eustatius gehören zu diesem Gebiet auch die Insel Saba und der südliche Sektor der Insel Sint Maarten; außerdem Stützpunkte auf den Islas Vírgenes; im Niederländischen wird dieses Inselterritorium mitunter auch als „Nederlandse Maagdeneilande“ bezeichnet. In den niederländischen Seekriegen des 17. Jahrhunderts gegen England verliert die niederländische WIC jedoch nach und nach die Kontrolle über diese Stützpunkte auf den „Jungferninseln“. Auf Sint Eustatius, Saba und Sint Maarten indes kann sich die Compagnie halten. Bis zum Verlust der bedeutsamsten Festlandkolonien der Niederländer im Norden Brasiliens (Nieuw Holland, 1654) beziehungsweise auf dem nordamerikanischen Kontinent (Nieuw-Nederland, 1678) besitzen jene „Inseln über dem Winde“ unter der Kontrolle der WIC eine gewisse strategische Bedeutung als Zwischenstation in den niederländischen Seeverkehren zwischen Europa, Westafrika und den Amerikas. Nach dem Ende des Dritten niederländisch-englischen Seekrieges (1672-1674) verlagert sich das Zentrum des karibischen Monopolgebietes der WIC allmählich auf die Plantagenkolonie der Handelsgesellschaft an der sogenannten „Wilden Küste“; einem Hunderte Kilometer langen Landstreifen zwischen der Orinoco- und der Amazonasmündung. Weiterer Bestandteil dieses deutlich geschrumpften Kernraums der Niederländer in den Amerikas sind die sogenannten „Inseln unter dem Wind“, mit Curaçao als ihrem Zentrum. Das niederländische Emporium um die befestigte Siedlung Willemstad dient viele jahrzehntelang als Drehscheibe des niederländischen Sklavenhandels mit den spanischen Kolonien. Von den Küstengebieten Guayanas einmal abgesehen, verfügt die West-Indische Compagnie im ausgehenden 17. Jahrhundert folglich also über kein größeres zusammenhängendes Festlandgebiet mehr in den Amerikas . Im Gefolge kostenspieliger See- und Landkriege überdies völlig überschuldet, muss die niederländische Westindien-Compagnie früh auf neue Modelle der Finanzierung und Organisation ihrer verbliebenen Besitzungen setzen. Zumal sie sich bis 1730 sogar aus dem gleichermaßen brutalen wie einträglichen Geschäft des Sklavenhandels zurückgezogen hat, den sie fortan niederländischen Privatunternehmern und der machtvollen Konkurrenz britischer „Slaver“ überlässt. Vor diesem Hintergrund öffnet die Gesellschaft allmählich auch den direkten Handel mit ihren Kolonien und Stützpunkten für private Zwischenhändler aus den Niederlanden. Zuletzt dürfen auch ausländische Schiffe eine Reihe ihrer Besitzungen anlaufen. Dies sichert nicht nur eine kostengünstigere Versorgung der Kolonien, sondern eröffnet der WIC nun auch neue Einnahmequellen durch Ein- und Ausfuhrgebühren auf die in ihren Häfen umgeschlagenen Waren. Der freie Handel, als Gegenentwurf zum traditionellen Monopolmerkantilismus der westeuropäischen Handelskompanien in der Karibik, soll die finanziell angeschlagene WIC nun endlich wieder konkurrenzfähig machen.

Sint Eustatius: Stapelplatz und Freihafen der Karibik

Gerade Sint Eustatius, das 1636 ursprünglich einem seeländischen Kaufmann als Grundherrschaft (Patroonschap) übertragen worden war, scheint sich für diese Zwecke gut zu eignen. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den kleinantillischen „Zuckerinseln“ der Franzosen, Engländer und der Dänen gelegen, verfügt das nur 21 km² große Vulkaneiland zudem über einen hervorragend geschützten Hafen in der „Oranje Baai“. Außer ihrem strategischen Wert ist Sint Eustatius für die West-Indische Compagnie eigentlich kaum von Nutzen: Wegen ihrer geringen Größe ist die Insel nur bedingt für das lukrative System der antillischen Plantagenwirtschaft geeignet; überdies besitzt sie keine natürlichen Süßwasservorkommen. Ohne Seen und Sümpfe ist Sint Eustatius damit aber auch weitgehend malaria- und gelbfieberfrei. Den Zeitgenossen gilt das Klima auf „Statia“, wie Sint Eustatius vermutlich seit dem 18. Jahrhundert in den Misch- und Verkehrssprachen der Karibik auch genannt wird, folglich als „gesund“. Insbesondere für karibische Verhältnisse, respektive für „Europäer“. Ein klarer Standortvorteil für anspruchsvolle Kaufherren, von denen es auf Sint Eustatius bald wimmeln wird. Leben um 1700 gerade einmal 1.000 Menschen auf der Insel, sind es am Vorabend des Amerikanischen Bürgerkrieges bereits 3.000. Davon rund die Hälfte afrikanische Sklaven, die auf den wenigen Plantagen der Insel sowie in den Lagerhäusern und Werkstätten des Hafens zu arbeiten gezwungen sind. Die Insel wird von einer überwiegend niederländischstämmigen Inseloligarchie dominiert, die die wichtigsten öffentlichen Ämter auf Sint Eustatius besetzt hält. Das wenige für die Plantagenwirtschaft überhaupt geeignete Land steht ebenfalls unter ihrer Kontrolle. Die höchst einträglichen Handelsaktivitäten auf der Insel sind nicht selten als schlichte Schmuggelgeschäfte anzusehen; formell unterlaufen sie vor allem den protektionistischen Merkantilismus der benachbarten Zuckerinseln unter britischer und französischer Oberherrschaft. Die zuweilen recht zwielichtigen Geschäfte, die in Kriegszeiten erwartungsgemäß Hochkonjunktur haben, konzentrieren sich dabei vorwiegend auf „Statias“ Hauptort Oranjestad. Und dort vor allem in der sogenannten „Unterstadt“, unmittelbar an der Oranje Baai. Das Hafenviertel von Oranjestad wird in den 1770er und 1780er Jahren von einer fast drei Kilometer langen Geschäftsstraße geprägt. An ihren schmalen Rändern liegen die Waren- und Packhäuser, Faktoreien und Kontore der auf Sint Eustatius ansässigen Händler und Kaufleute. Unter ihnen dominieren neben Niederländern und Franzosen vor allem auch britische Untertanen aus den amerikanischen Insel- und Festlandskolonien des Empires: von Boston über die Bermudas bis nach Barbados. Im 18. Jahrhundert trägt das lukrative Paradies der Schmuggler- und Schleichfahrer, der Sklavenhändler und Plantagenbesitzer, nicht von ungefähr den stolzen Beinamen: „Golden Rock“. Die West-Indische Compagnie lässt die interkolonialen Handels- und Schmuggelgeschäfte auf Sint Eustatius weitgehend ungestört und sucht lediglich über ihre moderaten Hafengebühren an dem Treiben der karibischen „Merchants“ finanziell zu partizipieren. Ohne dabei selbstredend Geschäfte auf eigene Rechnung zu vernachlässigen. Bereits während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) zeigen sich die exzellenten Qualitäten der Insel als neutraler und zentral gelegener Handelsplatz der Karibik. Der schillernde Mythos des „Golden Rock“ wird geboren.

Konterbande: Geschäfte mit den amerikanischen Rebellen

Nach dem Ausbruch des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges erlebt der statianische „Freihafen“ in der Oranje Baai eine weitere Hochkonjunktur. So verlagern sich mit dem Kriegsbeitritt Frankreichs 1778 auf der Seite der Rebellen Versorgung und Handel der französischen Antilleninseln nahezu vollständig auf den kleinen karibischen Handelsposten der neutralen Niederländer; zudem wird nun verstärkt amerikanische Konterbande wie Tabak und Indigo, aber auch Getreide, Mehl oder Bauholz nach Sint Eustatius geliefert und von dort in der gesamten Karibik und den spanischen Festlandkolonien weiterverteilt. Was die nordamerikanischen Tabakernten betrifft, so werden diese von Statia aus sogar direkt nach Europa verschifft. Auch für die Aufrüstung der Rebellenarmee wird das karibische Emporium von Sint Eustatius jetzt außerordentlich wichtig: auf dem „Golden Rock“ werden nun regelmäßig Waffen und Schwarzpulver gelagert und schließlich mit großem Gewinn an amerikanische Schmuggel- und Kaperschiffe verkauft. Zwar ist ein direkter Einkauf über niederländische Häfen in Europa für die Rebellen nicht möglich. Dennoch stammen viele der über Sint Eustatius in die nordamerikanischen Kolonien gelangenden Waffen und militärischen Ausrüstungsgegenstände unmittelbar aus niederländischer Fertigung. Die Generalstaaten und die WIC-Kammern des Mutterlandes geben sich gegenüber diesem Treiben unter der Aufsicht ihrer Repräsentanten auf Sint Eustatius weitgehend ahnungslos; offiziell verbieten sie sogar jegliche Unterstützung der Rebellen. Dennoch: Trotz fortgesetzter englischer Proteste in Den Haag und London brummt das Geschäft mit Schmuggelwaren aller Art prächtig auf Sint Eustatius. Schätzungen zufolge werden zeitweilig rund die Hälfte aller Versorgungsgüter für die rebellierenden Kolonien im Norden über die niederländische Karibikinsel Sint Eustatius geschmuggelt. Zum Missfallen der westindischen Kolonialbehörden und der Regierung in Großbritannien nutzen auch viele britische Händler und Pflanzer das verrufene „Schmugglernest“ für ihre eigenen verbotenen Geschäfte mit den Rebellen. Das hat einen einfachen Grund: Die Blockade nordamerikanischer Häfen trifft die englischen Plantagenkolonien in der Karibik hart. Die britischen Kolonien im Norden sichern traditionell die Nahrungsversorgung der Sklavenökonomien in Westindien. Dieser Handel ist nun empfindlich gestört. Und nichts fürchten die englischen Pflanzerdynastien auf den Antillen so sehr, wie Revolten ihrer Sklaven. Im unauflöslichen Widerspruch hierzu sympathisieren nicht wenige Vertreter der britischen Pflanzerelite mit der Revolution ihrer Landleute in den 13 Kolonien des Kontinents. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, dass Sint Eustatius in dieser mehr ist als bloßer Stapelplatz für Konterbande aus allen Teilen Europas und der Amerikas: Während der amerikanischen Rebellion dient die Insel auch als wichtige Kontakt- und Informationsbörse für die verschiedenen politischen und militärischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Krieg. Selbst erste Abschriften der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sollen zunächst über Sint Eustatius nach Europa geschmuggelt worden sein. Diese zentrale Funktion als interimperiales „Warenmagazin“ und als neutraler Kontaktpunkt in den merkantilen Netzwerken der karibischen Inselwelt hat Sint Eustatius, wie erwähnt, bereits während des Siebenjährigen Krieges (1754-1763) inne. Auf Sint Eustatius werden schon lange also nicht nur Zuckerladungen und Sklaven gehandelt, sondern auch kostbare Informationen, Gerüchte und Nachrichten. Doch während sich die Niederländer in den harschen Auseinandersetzungen des Siebenjährigen Krieges um die Vorherrschaft in Europa und Nordamerika wesentlich als neutrale Handelsmacht halten können, erweisen sich die Verhältnisse während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges für die Kaufmannsrepublik als gänzlich andere.

Provokationen und Geplänkel in der Karibik

Was die Briten in der für sie zunehmend vertrackteren militärischen und diplomatischen Großwetterlage besonders empört, ist naturgemäß der Waffenschmuggel der einflussmächtigen statianischen Inseloligarchie. Nicht minder erbost sie jedoch die unverhohlene logistische Unterstützung der amerikanischen Rebellen. Deren Schiffe können im Hafen von Oranjestad immer wieder Zuflucht finden; Sint Eustatius dient ihnen schlicht als Versorgungspunkt und wohl auch als Krankenlager; vereinzelt werden sie von niederländischer Seite sogar aktiv vor Beschlagnahmeversuchen der Royal Navy geschützt. So etwa im Mai 1776, als der „Interims-Commandant“ von Sint Eustatius, Abraham Heyliger (ca. 1711-1785), sogar die statianische Inselmiliz alarmiert, um das nach seiner Ansicht unrechtmäßige Aufbringen eines amerikanischen Schiffes vor Oranjestad zu unterbinden. Wie sehr man offenbar mit dem Freiheitskampf der nordamerikanischen Kolonien sympathisiert, erweist ein Ereignis, welches sich bereits wenige Monate nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vor Sint Eustatius ereignet: Im November 1776 erhält das Rebellenschiff ANDREW DORIA, das die sogenannte „Great Union Flag“ führt, die neue Flagge der Amerikaner, ein offizielles Kanonen-Salut durch die niederländische Fortbesatzung in Oranjestad. So behaupten es zumindest britische Diplomaten in Den Haag; der angebliche Kanonensalut für die ANDREW DORIA kommt aus Sicht der Briten geradewegs einer diplomatischen Anerkennung der Rebellenprovinzen in Nordamerika gleich. Das offenbar recht selbstbewusste Verhalten der statianischen Pflanzeraristokratie und der mit ihr verbundenen WIC-Verwaltung muss den Briten spätestens mit dem Kriegsbeitritt der Franzosen geradezu aufreizend erscheinen. Ein unerträglicher Zustand für das Empire. Die Karibik entwickelt sich zur gefährlichen Flanke in der Einkreisungsstrategie gegen die Rebellenkolonien; und beinahe täglich werden über das formal als „neutral“ geltende Sint Eustatius riesige Warenbestände aus dem Territorium der Aufständischen gehandelt, gelagert und getauscht; nicht selten erhalten die kontinentalen Schleichfahrer im Gegenzug Waffen und Schwarzpulver, die schließlich auf den Schlachtfeldern des Nordens zum Einsatz kommen werden. Teilweise werden Erzeugnisse aus britischen Schiffskonvois über die Magazine auf Sint Eustatius kurzerhand an die Rebellen weiterverkauft. Die verkauften Waren stammen also pikanterweise unmittelbar aus Geleitzügen, die zuvor von der britischen Marine vor französischen und amerikanischen „Privateers“ geschützt wurden. ─ Die Briten beben vor Zorn. Beschwerden britischer Diplomaten häufen sich in Den Haag, zumal über Sint Eustatius ja auch, wie erwähnt, seit Monaten die Zuckerinseln des gefährlichsten Kriegsgegners der Briten, Frankreich, sichere Versorgungs- und Handelsmöglichkeiten erhalten. Aus britischer Perspektive ist die vorgebliche „Neutralität“ der Niederlande nur noch eine Farce. Als besonders empörend muss ihnen dabei erscheinen, dass sich der wichtigste Anlaufhafen für amerikanische Handels- und Kaperschiffe nicht allzu weit von einem ihrer wichtigsten Marinestützpunkte in der Karibik befindet: English Harbour auf Antigua. Dessen zentrale Aufgabe zumal in Kriegszeiten müsste eigentlich lauten: Jagd auf Kaperfahrer und Schmuggelschiffe. Tatsächlich laufen allein im Jahre 1779 insgesamt 3.500 Schiffe das niederländische Karibik-Eiland Sint Eustatius an. Unter ihnen eine beträchtliche Zahl von Blockadebrechern und amerikanischen Freibeutern und eben auch zahlreiche britische Händler. Als die Briten schließlich im September 1780 ein amerikanisches Schiff aufbringen und ihnen dabei auch der Entwurf eines geheimen Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen den Rebellen und den Niederlanden in die Hände fällt, ist für die Briten das Maß endgültig voll. Obgleich ein Krieg mit den Niederlanden die britische Kanalküste unmittelbar bedrohen könnte, erklärt Großbritannien den Generalstaaten der Niederladen im Dezember 1780 schließlich den Krieg. Als eines der ersten Kriegsziele der britischen Admiralität wird die Besetzung des niederländischen „Piratennestes“ Sint Eustatius formuliert, dem auch die Politik hohe strategische Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf zumisst. Nun gilt es für die Briten, schnell in der Karibik zuzuschlagen. Bis die Nachricht über die britische Kriegserklärung gegen die Niederlande den Atlantik überquert und Sint Eustatius gewarnt ist, vergehen Wochen. Ein möglicher Vorteil für die Briten angesichts ihrer regelmäßigen und intensiven Schiffsverbindungen im gesamten Atlantikraum. Zudem gelten die Fortifikationen auf Sint Eustatius als schwach und veraltet und die niederländische Flottenpräsenz in der Karibik als lächerlich gering. Die Briten wittern leichte Beute. Dem Versorgungsnetz ihrer Gegner kann nun endlich der entscheidende Schlag zugefügt werden.

Admiral Rodney und die Ausplünderung von Sint Eustatius

Woche vergehen, bis die Angriffsbefehle für die britischen Geschwader in Westindien die Karibik erreichen: In den Morgenstunden des 3. Februar 1781 taucht schließlich eine britische Expeditionsflotte unter dem Kommando des erfahrenen englischen Admirals George Brydges Rodney (1718-1792) vor Sint Eustatius auf. An Bord mehrerer Schiffe befindet sich zudem ein größerer Truppenverband der Royal Marines unter dem Befehl des Generals John Vaughan (1731-1795). Sowohl Rodney als auch Vaughan gelten als Veteranen des Siebenjährigen Krieges in der Karibik und in Nordamerika. Die Oranje Baai ist an diesem Morgen mit 150 Handelsschiffen angefüllt. Eine wahrlich stolze Zahl. Das selbstbewusste „Emporium der Karibik“ gibt sich gänzlich ahnungslos: Lediglich ein einziges niederländisches Kriegsschiff liegt im Hafen von Oranjestad, um sich dem britischen Flottengeschwader in den Weg zu stellen. Rund 1.000 britische Kanonen sind auf das niederländische Linienschiff und die „Forten“ der Niederländer rund um Sint Eustatius gerichtet. Widerstand ist also zwecklos. Der WIC-Gouverneur Johannes de Graaff (1729–1813), gebürtiger Statiane und wie sein Vorgänger Abraham Heyliger eng mit der finanzstarken Inselelite verbandelt, übergibt den insularen niederländischen Handelsplatz schließlich nach kurzen Verhandlungen an die britische Übermacht. Diese hat nicht nur zahlreiche Kriegsschiffe vor der Insel versammelt, sondern setzt nun auch einen größeren Verband der Royal Marines an Land. Binnen eines Tages wird aus Fort Oranje ─ Fort George. Der kriegsbedingte Reibach auf Statia hat ein Ende. Die Insel steht nun völlig unter der Verfügungsgewalt der Briten. Mit George Brydges Rodney hat der britische Kommandeur der Leeward Islands Station persönlich die Herrschaft über Sint Eustatius übernommen. Wirklich überrascht können die zahlreichen internationalen Kaufleute von dieser handstreichartigen Besetzung jedoch nicht gewesen sein. Unter den argwöhnischen und zuletzt nurmehr zornigen Augen der Briten ein derart weit gespanntes Schmuggelgeschäft aufzuziehen, kann in der Karibik, einem der Kernräume britischer Prosperität und Seemacht, nicht ohne Folgen bleiben. Doch wie sehr Rodney und Vaughan die multinationale Kaufmannschaft von Sint Eustatius an Akribie, und womöglich auch an Gier und Habsucht, noch übertreffen wird, ahnen die Kaufherren des „Golden Rocks“ an diesem Morgen wohl kaum. Als die Briten den „Golden Rock“ im Handstreich übernehmen, sind die Magazine und Packhäuser der Unterstadt randvoll. Die Menge an Zucker und Tabak auf Sint Eustatius ist so groß, dass diese teils unmittelbar auf dem Strand gelagert werden muss. Den britischen Invasoren fallen zudem große Bestände an Bargeld in die Hände, die ebenfalls für die englische Krone beschlagnahmt werden. Die große Beute der Briten darf nicht verwundern: Im Februar 1781 sind insgesamt 130 Kaufleute mit ihren Faktoreien auf der Insel ansässig, darunter, wie angedeutet, nicht wenige britische Untertanen, die infolge ihrer langjährigen Residenz auf Sint Eustatius das niederländische Bürgerrecht erlangt haben. Die Anwesenheit einer solch großen Zahl an Handelshäusern auf Statia sorgt dafür, das die Reede von Oranjestad regelmäßig mit einer beträchtlichen Anzahl von Segelschiffen angefüllt. Dies ist auch am 3. Februar 1781, einem Samstag, der Fall. Bei Ankunft des britischen Marinegeschwaders vor Sint Eustatius werden ganze 150 Schiffe in der Oranje Baai aufgebracht. Entschlossen beginnen der Admiral und der General in den folgenden Tagen und Wochen die Warenbestände und Besitztümer der inseleigenen Kaufmannschaft zu begutachten. Systematisch und planvoll gegen die beiden Kommandeure dabei vor und lassen sich hierfür sogar Rechnungsbücher und Inventarlisten vorlegen, um schließlich sogar immobile Teile der Beute in einer Zwangsauktion versteigern zu lassen. Was der britischen Krone unter den wachsamen Augen ihrer Offiziere nach und nach in die Hände fällt, übertrifft selbst die kühnsten Erwartungen der Strategen in London. Trotz oder gerade wegen dieser beträchtlichen Zahl an Prisen und Barmitteln kommt es offenbar immer wieder auch zu Übergriffen; Verhaltensweisen, die keinesfalls durch die Befehle des britischen Königs George III. (1738-1820) gedeckt sind. Von Rachedurst an „unpatriotischen“, aber geschäftstüchtigen Landsleuten und kaum verhohlener Geldgier getrieben, beginnen Rodney und Vaughan mit nichts Geringerem als der Ausplünderung von Sint Eustatius.

Gerade gegenüber den auf der Insel ebenfalls ansässigen jüdischen Kaufleuten zeigt sich dieses Vorgehen besonders deutlich: Bereits in den ersten Tagen der britischen Besetzung von Sint Eustatius kommt es dabei zu entwürdigenden Szenen, brutalen Durchsuchungen und Verhören. Deren einziges Ziel: das Auffinden von „Schätzen“ und Barmitteln. Selbst die Kleider der lokalen jüdischen Haushaltsvorstände werden durch die britischen Soldaten systematisch auseinandergenommen, um mögliche Geldverstecke aufzufinden. Auf der geradezu abstrusen Suche nach vermeidlichen „Reichtümern“ der Juden von Sint Eustatius lässt Rodney sogar den der lokalen jüdischen Friedhof umgraben. Schließlich zwingt er die Häupter der kleinen jüdischen Gemeinde von Sint Eustatius, die Insel umgehend zu verlassen. Die jüdischen Haushaltsvorstände versegeln schließlich auf die benachbarte, britisch kontrollierte Insel St. Christopher (St. Kitts). Andere werden sich später auch nach dem neutralen St. Thomas begeben, das seit dem 17. Jahrhundert unter der Kontrolle Dänemarks steht. Aus seiner Abneigung gegen „Juden“ hat Rodney in seinen Korrespondenzen nie einen Hehl gemacht: Im verschwörerischen Ton eines Antijudaisten des Ancien Régime behauptet der Admiral dort etwa eine angeblich „zentrale“ Rolle der Juden im Unabhängigkeitskrieg mit Frankreich und den amerikanischen Rebellen; vor allem im Hinblick auf ihre Verwicklung in Schmuggelgeschäfte mit den Aufständischen. Rodneys stereotyper Blick auf die jüdische Kaufmannschaft von Sint Eustatius ist dabei nicht untypisch für einen Vertreter der britischen Oberschicht am Vorabend der Französischen Revolution. Auch die spezifischen Machtverhältnisse in der Karibik des 18. Jahrhunderts und die Dominanz britisch-amerikanischer Handelsnetzwerke, wie er sie auf Sint Eustatius ja selbst intensiv studieren kann, ändern an diesen Einstellungen nichts. Die zunehmend einflussmächtige anglofone Kaufmannskultur zwischen New York, den Carolinas und den Antillen wird zuletzt sogar die alteingesessenen merkantilen Eliten der Hugenotten, der Niederländer und der Dänen beiderseits der Anegada-Passage assimilieren. Rodney ist in seiner engen Perspektive eben ein wahrer britischer Seeoffizier und Gentleman des 18. Jahrhunderts; ein christlich verbrämter Antijudaismus fungiert auch im Großbritannien jener Epoche als kultureller Code; und wie in anderen Teilen Europas auch sind Juden in Rodneys Heimat Großbritannien allenfalls eine geduldete religiöse Minderheit. Erst 1754 ist der sogenannte „Jewish Naturalization Act“, der der jüdischen Bevölkerung in Großbritannien und seinen Kolonien größere Rechte bringen sollte, durch das britische Oberhaus widerrufen worden. Ein 1778 unternommener Versuch, die katholische Bevölkerung des Landes zu emanzipieren, endet im Juni 1780 sogar mit schwersten Ausschreitungen, in deren Gefolge in London 285 Menschen zu Tode kommen. Vor dem Hintergrund des Krieges mit Frankreich und Spanien gilt dem aufgebrachten Mob die angestrebte Katholikenemanzipation geradewegs als Vorbote einer bevorstehenden französischen Invasion.

Doch Rodney ist bei seinem Vorgehen auf Sint Eustatius zum Wenigsten von Kriegshysterie geleitet; vielmehr scheint ihn kühle Berechnung zu treiben. Von seinen Ausweisungen und Beschlagnahmungen sind ohnehin auch die ungleich zahlreicheren christlichen Kaufleute der Insel betroffen. So muss etwa auch der amtierende Gouverneur der Insel, De Graaff, die Insel binnen Kurzen verlassen. Gegenüber einer Gruppe lässt Rodney dennoch besondere Milde walten: Untertanen der französischen Krone. Zwar müssen französische Kaufleute ihre Kontore auf Sint Eustatius ebenfalls schließen; anders als ihre nicht-französischen Konkurrenten dürfen sie jedoch ihr bewegliches Eigentum sowie ihre Haus- und Handwerkssklaven mitnehmen. Rodneys Kalkül: Milde gegenüber den Franzosen von Sint Eustatius verhindert mögliche Vergeltungsaktionen gegen englische Händler und Pflanzer im Falle der Besetzung einer der zahlreichen britischen Zuckerinseln durch die französische Marine.

Das Auftauchen einer britischen Flotte vor Sint Eustatius betrifft jedoch nicht nur die beträchtlichen Vermögensbestände, die auf der Insel lagern. Am Vormittag des 3. Februar 1781 liegen im Hafen von Oranjestad auch fünf amerikanische Kriegsschiffe vor Anker. Die rund 2.000 Besatzungsmitglieder und Infanterieeinheiten der erst vor Kurzem begründeten „Continental Navy“ gehen unmittelbar in britische Gefangenschaft und werden als aufständische Untertanen ihrer Majestät King George III. nach Großbritannien verbracht. Ein kurz zuvor unternommener Versich der Seeleute, sich in das Innere Sint Eustatius’ zurückzuziehen, scheitert nach kürzester Zeit. Obgleich die Briten mit der handstreichartigen Besetzung Statias ihren Gegnern schweren Schaden zufügen, haben sie offenbar noch längst nicht genug: noch einen ganzen Monat lang lassen sie die niederländische Flagge über Fort Oranje wehen, sodass noch mehr Schiffe und Schmuggler angelockt und aufgebracht werden können; im Ganzen wohl 50 amerikanische Schiffe mit riesigen Mengen an Tabak aus den südlichen Kolonien der Rebellenunion. Nachdem die Briten Nachricht erhalten haben, dass erst kurz vor ihrer Ankunft in der Oranje Baai ein größerer niederländischer Konvoi Statia in Richtung Europa verlassen hat, lässt Admiral Rodney dem Geleitzug kurzerhand nachsetzen. Bei Sombrero, zwischen Anegada und Anguilla, kann der niederländische Konvoi schließlich gestellt werden. Während eines kurzen Gefechts mit einem den Konvoi sichernden Linienschiff wird der kommandierende Admiral des niederländischen Schiffszuges, der Haarlemer Willem Krul, getötet. Er wird später auf Sint Eustatius beigesetzt. Für die Briten indes steigt die Ausbeute rund um den größten Stapelmarkt der Karibik nun noch einmal beträchtlich an. Der Gesamtwert aller im Gefolge der Besetzung Sint Eustatius’ offiziell für die englische Krone beschlagnahmten Gelder und Güter soll insgesamt rund drei Millionen Pfund Sterling betragen haben. Der größte Teil der Güter wird auf einen 34 Schiffe umfassenden Konvoi nach Europa verladen; teils jedoch auch auf verschiedene Inseln der britischen Antillen verteilt. Was jetzt noch auf Sint Eustatius verbleiben muss, wird wenig später unter Wert versteigert. Das wirtschaftliche und politische Gefüge der niederländischen Insel ist somit innerhalb kürzester Zeit tief zerrüttet.

Eine transatlantische Karriere

Die vor allem durch Rodney als Kommandeur der Leeward Islands Station mit Eifer und Langmut durchgeführte Ausplünderung Statias hat eine einfache Ursache: Nach britischem Recht kann der Admiral, ebenso wie General Vaughan, einen nicht unbedeutenden Anteil an den Prisen erwarten. Der im Februar 1781 bereits das 60. Lebensjahr überschrittene George Brydges Rodney stammt aus einer verarmten südenglischen Adelsfamilie. Sein Vater verlor ein Großteil des Familienvermögens während des sogenannten Südsee-Schwindels („South Sea Bubble“), einer riesigen Spekulationsblase im Gefolge des Spanischen Erbfolgekrieges Anfang des 18. Jahrhunderts. Zahlreiche Vertreter der britischen Oberschicht hoffen dabei auch mögliche Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und den hispanischen Kolonien in Südamerika. Für die Rodneys bedeuten die väterlichen Investitionen in eine ominöse englische Handelskompanie den völligen Ruin. Mit etwa vierzehn Jahren tritt George Brydges Rodney der Royal Navy bei, in der er in den Folgejahren eine schnelle Karriere macht. Während des Österreichischen Erbfolgekrieges und dem Siebenjährigen Krieges erhält Rodney erste bedeutende Kommandos auf den Kriegsschauplätzen in Kanada und der Karibik. 1749 fungiert Rodney bereits als Gouverneur und Oberbefehlshaber der britischen Flotte in Neufundland und nimmt 1758 auch an der berühmten Belagerung von Louisbourg in Neuschottland teil. Wie erwähnt gehört auch die Karibik zu seinen Einsatzgebieten: 1759 wird er erstmalig mit dem Posten des „Commander-in-Chief“ für die britischen „Leeward Islands“ betraut; 1771 schließlich erhält er das prestigeträchtige Kommando über die Jamaica Station in Port Royal, das er bis 1774 führt. Mit den Verhältnissen in der Karibik folglich bestens vertraut, wird Rodney, inzwischen zum Admiral befördert, im Dezember 1779, inmitten der Auseinandersetzungen um die Amerikanische Revolution also, erneut zum Obersten Befehlshaber der Leeward Islands Station ernannt.

Im März 1780 erreicht er aus Europa kommend Barbados und belauert sich in den folgenden Monaten mit der Flotte des französischen Admirals de Guichen (1712-1790) im Bereich der französischen Zuckerinsel Martinique. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in New York erhält Rodney, dessen Flotte inzwischen durch den dienstbeflissenen Konteradmiral Samuel Hood (1724-1816) verstärkt wurde, am 27. Januar auf Barbados die Nachricht vom Ausbruch des Vierten Niederländisch-Englischen Krieges und seinem Angriffsbefehl für Sint Eustatius. Die Besetzung Sint Eustatius’ im Februar 1781 ist dabei nur der Auftakt einer ganzen Kampagne der Royal Navy, die sich in den folgenden Wochen und Monaten auch gegen andere niederländische Kolonien in Westindien richtet. Bereits wenige Tage nach dem Auftauchen der britischen Flotte vor Sint Eustatius werden die benachbarten niederländischen Besitzungen Saba und Sint Maarten von den Engländern besetzt. Zwischen Februar und März 1781 nehmen die Briten zudem die niederländischen Stützpunkte an der Küste Guayanas ein. Ein ebenfalls geplanter Angriff auf die niederländischen Festungen auf Curaçao durch Konteradmiral Hood wird schließlich aufgegeben. Die Briten fürchten die Ankunft einer größeren französischen Flotte in der Region. Rodney weilt noch bis zum 1. August 1781 in der Karibik, wendet sich dann jedoch wieder zurück nach Großbritannien. Eine Besatzung von mehreren Hundert Soldaten bleibt auf Sint Eustatius zurück. Das Kommando über die Westindienflotte der Royal Navy übergibt Rodney zuletzt an Samuel Hood. Rodneys Erwartungen an eine Rückkehr nach Großbritannien sind enorm. In Briefen an seine Familie aus Westindien kündigt er bereits große Reichtümer an: beträchtliche Summen für die Aussteuer der Töchter werden darin in Aussicht gestellt; selbst die Schulden eines der Bräutigame der Töchter sollen übernommen werden; auch die Söhne dürfen jetzt auf lukrative Heiratsarrangements und kostenspielige militärische Posten hoffen. Der Rodney-Clan scheint einer goldenen Zukunft entgegen zu gehen. Dank der Reichtümer und Prisen von der Insel Sint Eustatius.

Londons Westindien-Lobby beschwert sich

Zurück in Großbritannien scheinen sich die Dinge für Rodney jedoch zunächst in eine gänzlich andere Richtung zu bewegen: Von den 34 von Westindien ausgesandten Schiffen mit den Prisen aus Sint Eustatius, erreichen Großbritannien gerade einmal acht Seefahrzeuge. Der Rest wird während der Überfahrt zur Beute amerikanischer Kaperschiffe und der französischen Marine. Diese schlägt am 2. Mai 1781 unter dem Kommando des französischen Admirals Toussaint-Guillaume Picquet, Comte de la Motte (1720-1791), vor der Küste der Bretagne hart zu und erbeutet dabei die Summe von acht Millionen Livres. Der größte Teil der Reichtümer des karibischen Emporiums von Sint Eustatius fallen den Franzosen dabei direkt vor ihrer eigenen Küste in die Hände. Ironie des Schicksals und eine Katastrophe nicht nur für Rodneys Vermögen, sondern auch für die klamme britische Kriegskasse. Als Rodney im September 1781 in London eintrifft, scheint sich die Stimmung bei einem Teil der britischen Öffentlichkeit allmählich gegen den altgedienten Seeoffizier zu wenden. Berichte aus der Karibik über Rodneys Vorgehen auf Sint Eustatius haben ihn bereits bei Londons einflussreicher Kaufmannschaft alles andere als beliebt gemacht. Dies gilt insbesondere für die sogenannte „Westindien-Lobby“ der Stadt, die vor allem den einträglichen britischen Zuckeranbau und -handel der Antillen kontrolliert. Protestschreiben und Pamphlete britisch-westindischer Zuckerbarone und Kaufleute gegen die britischen Kommandeure auf Sint Eustatius kursieren bereits in der Hauptstadt, lange vor Rodneys Rückkehr aus der Karibik. In der öffentlichen Debatte, die nun allmählich anhebt, rächt sich alsbald auch, dass Rodney gemeinsam mit General Vaughan viel Zeit mit der Requirierung und Sichtung der Prisen auf Sint Eustatius verbracht haben. „Zur Aufbesserung ihrer Privatschatullen“, wie es nun immer wieder heißt. Angesichts des unbefriedigenden Kriegsverlaufs auf dem nordamerikanischen Festland gilt dieses Vorgehen bei Teilen der britischen Öffentlichkeit geradewegs als mutwillige Verletzung militärischer Pflichten. Haben sich Rodney und Vaughan nicht schlichtweg ─ bereichert?

Als schließlich auch die Nachricht von Cornwallis’ Kapitulation in Europa eintrifft, ist die britische Öffentlichkeit reichlich schockiert. Einmal mehr sucht sie nun einen Schuldigen und Rodney erscheint für diese Rolle offenbar bestens geeignet: Hat der englische Admiral nicht mit seinem selbstsüchtigen Verhalten die Niederlage des Empires gegen die Rebellenarmee George Washingtons geradewegs beschleunigt, statt sie zuverhindern? Hat er die dringend benötigten Offensivkräfte der Flotte in der Karibik und entlang der nordamerikanischen Küsten mit seinem riesigen Prisenkonvoi nicht sogar empfindlich geschwächt? Von den Reichtümern des „Golden Rock“ der Holländer ist in London ohnedies kaum etwas eingetroffen. Die Vorwürfe gegen Rodney sind nicht gänzlich unbegründet: denn erst im Juli, kurz vor seiner Rückkehr nach Europa, hat Rodney als scheidender Kommandant der Leeward Islands Station einen Teil seiner Flotte zur Unterstützung dortiger Navy-Kräfte nach Norden entsandt; in Richtung der Chesapeake Bay, wo an Land ein größeres Truppenkontingent unter dem britischen General Cornwallis ausharrt. Rodneys Verstärkungen aus Westindien treffen jedoch viel zu spät ein. Der taktische Sieg der französischen Marine Royale in der Bucht begünstigt fatalerweise nun Cornwallis’ Einschließung in Yorktown, Virginia, durch eine amerikanisch-französische Armee unter der Führung George Washingtons und des französischen Generals Rochambeau. Ohne jede Hoffnung auf Verstärkung gibt sich Cornwallis am 19. Oktober 1781 schließlich geschlagen. Großbritannien ist auf dem nordamerikanischen Festland besiegt. Die Rebellen haben triumphiert. Spätestens mit dem Bekanntwerden der Kapitulation Cornwallis’ hat Rodney nun nicht mehr allein Teile der britischen Handelselite gegen sich, sondern auch einflussreiche Kreise des militärischen Establishments und der politischen Opposition im Vereinigten Königreich.

Der Pleitier von Paris

Zudem ist Rodney gerade im britischen Hochadel und der Armee, alles andere als gut beleumundet. Trotz seiner zahlreichen militärischen Verdienste. Und jetzt im Herbst und Winter 1781 schießen die zahlreichen Gerüchte und Anekdoten um den britischen Admiral in der Hauptstadt um so heftiger ins Kraut: Galt Rodney nicht schon in jungen Jahren als wahrer „Prisenjäger“, der für schnelle Beute bisweilen sogar Befehle missachtet und sich um Kapergut selbst noch mit der Armee streitet? Und tatsächlich basieren Rodneys Vermögensbestände vor der Eroberung Sint Eustatius’ auf maritimen Beutezügen während der Zeit des Österreichischen Erbfolgekrieges und des Siebenjährigen Krieges; Grundlage für die Finanzierung einer ambitionierten militärischen und politischen Karriere; ebenso für Kauf und Unterhalt eines großen Landsitzes in der Nähe von London. Doch bereits am Vorabend des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges scheint sich Rodney finanziell vollends verhoben zu haben. Seit 1771 bekleidet Rodney das prestigeträchtige, gleichermaßen aber kostenspielige Amt des „Rear-Admirals of Great Britain“. Rodneys gesteigerter Finanzbedarf bleibt auch während seiner Dienstzeit auf Jamaika nicht verborgen: Dort fürchtet der örtliche britische Gouverneur der Insel zeitweilig sogar, Rodney wolle für neue Prisen die wertvolle britische Plantagen- und Sklavenkolonie der Briten in einen neuerlichen Krieg mit Spanien stürzen. Nach seiner Rückkehr ist Rodney offenbar wirklich in ernsten finanziellen Schwierigkeiten. 1774 muss er Großbritannien sogar verlassen und häuft in den elitären Salons von Paris am Spieltisch offenbar aber noch weitere Schulden an. 1778 ist Rodney schließlich pleite. Da kommt ihn der Ausbruch von Feindseligkeiten mit Frankreich im Zuge des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges wie gerufen. Für Rodneys ist es die erhoffte Möglichkeit, sich finanziell wieder zu sanieren. Mithilfe von Kapergut, an denen ihm, als britischem Seeoffizier, wie erwähnt, Anteile zustehen. Der Angriffsbefehl für den niederländischen Handelsplatz ist für den finanziell angeschlagenen Rodney im Januar 1781 also geradewegs ein Glücksfall. Unter dem Eindruck der Niederlage von Yorktown, für den man ihn ja eine Teilverantwortung zuweist, droht ihm sein Priseneifer und sein rücksichtsloses Vorgehen gegen die gut vernetzte Kaufmannschaft des „Golden Rock“ nun die Karriere zu kosten. Doch in der militärisch wie politischen angespannten Situation im Herbst 1781 hat Rodney auch Fürsprecher. Noch am 6. November wird er zum „Vice-Admiral of Great Britain“ ernannt. Ein Vertrauensbeweis angesichts seiner erfolgreichen Kampagne gegen die niederländischen und französischen Besitzungen in der Karibik und auf dem südamerikanischen Festland. Dennoch: Als sich im Verlauf des Novembers und Dezembers 1781 die Nachrichten über die fatale Situation der britischen Armee in Nordamerika verdichten, müssen sich Rodney und Vaughan schließlich vor dem britischen Parlament für ihr Verhalten verantworten. Einer ihrer schärfsten Kritiker ist dabei der irisch-britische Politiker Edmund Burke (1729-1797), der im Unterhaus vor allem auch Rodneys brutales Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung von Statia scharf kritisiert. Doch Rodney hat Glück. Ein Antrag zur Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung der Verantwortlichkeiten Rodneys und Vaughans auf Sint Eustatius und in der Karibik scheitert am 4. Dezember 1781 schließlich im House of Commons. In der militärisch überaus verzwickten Lage, in der sich Großbritannien befindet, vermeidet das Unterhaus offenkundig die völlige Demontage des britischen „Vize-Admirals“. Rodneys militärisches Geschick wird in Westindien noch immer benötigt: Die nordamerikanischen Kolonien mögen zwar verloren sein, aber dem Empire droht jetzt auch der Verlust seiner nicht minder wertvollen Kolonien in der Karibik. Spanien und Frankreich lauern schon auf das nach Yorktown gefährlich strauchelnde Empire. Für das Imperium scheint Rodney unerlässlich; doch die mächtige westindische Kaufmannslobby wird Rodney noch bis zu seinem Tod mit zivilen Entschädigungsklagen überziehen.

Rückkehr nach Westindien

Rodney segelt am 14. Januar 1782 zurück nach Westindien und erfüllt alle in ihm gesetzten Erwartungen: Sein Sieg in der vier Tage wogenden Schlacht bei den Saintes, April 1782, nahe der französischen Zuckerinsel Dominica, lässt in der Folge beinahe alle Kritiker in der Heimat verstummen. Nach ihrer verheerenden Niederlage in der Schlacht bei den Saintes ist die französische Marine derart geschwächt, dass im Mai 1782 eine geplante Invasion Jamaikas, gemeinsam mit den spanischen Verbündeten, abgebrochen werden muss. Nach der Niederlage auf dem nordamerikanischen Kontinent hätte eine unmittelbar bevorstehende Eroberung Jamaikas der wirtschaftlichen und militärischen Position Großbritanniens in den Amerikas einen weiteren schweren Schlag versetzt. Aus dem massiv angefeindeten, kurz vor einer Abberufung stehenden britischen Vize-Admiral ist binnen Kurzen nun ein wahrer englischer Seeheld geworden. Des Admirals Salon- und Priseneskapaden sind vergessen. „Rodney“ entwickelt sich schließlich sogar zu einem populären Jungennamen. In Spanish Town auf Jamaika wird dem Sieger der Schlacht bei den Saintes bald darauf im römisch-imperialen Stil ein Denkmal gesetzt. Und als „Baron Rodney of Stoke-Rodney“ steigt der legendäre Prisenjäger und in die Jahre gekommene Hasardeur sogar in den britischen Hochadel auf. Zuletzt wird ihm am 27. Juni 1782 noch eine jährliche Pension über 2.000 britische Pfund zugewiesen. Das gewaltige Vermögen indes, dass im Februar 1781 auf Sint Eustatius in Rodneys Hände fällt, ist inzwischen weitgehend verloren. Bereits am 26. November 1781, während Rodney in London um seine politische und berufliche Zukunft bangt, wird Sint Eustatius durch den Gouverneur von Martinique, den Marquis de Bouillé (1739-1800), zurückerobert. Die von Rodney auf Statia zurückgelassene britische Garnison überrumpeln die französischen Landungstruppen kurzerhand beim morgendlichen Exerzieren. Die Schmach vom 26. November wird den verantwortlichen britischen Kommandeur der Insel schließlich vors Kriegsgericht bringen. Wie vor der bretonischen Küste im Mai 1781 kann das französische Expeditionskorps auch auf Sint Eustatius beträchtliche Beute machen. Insgesamt drei Millionen Livres sollen den Franzosen in die Hände gefallen sein. Darunter auch Rodneys Anteile aus den Beschlagnahmungen im Februar 1781. Die Gelder werden großenteils wieder an französische und niederländische Pflanzer verteilt. Mit der Rückeroberung Sint Eustatius’ durch den Marquis de Bouillé übt die niederländische Westindien-Compagnie jetzt auch wieder ihre Rechte auf der kleinen Vulkaninsel aus. Die niederländische Souveränität über Sint Eustatius, Sint Maarten, Saba und die niederländischen Besitzungen in Guayana werden im Frieden von Versailles, Februar 1783, schließlich auch bestätigt. Nach der Eroberung der Insel durch den Marquis kehren viele statianische Kaufleute mit ihren Geschäften aus St. Thomas und St. Bartholomé nach Sint Eustatius wieder zurück. Doch im Gefolge des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges bleiben die Geschäft der West-Indische Compagnie dauerhaft beschädigt. 1792 muss die WIC endgültig liquidiert werden. Der niederländische Staat übernimmt fortan die Verwaltung der Plantagen und Siedlungen am Fuße des „Quills“. Ein langsamer wirtschaftlicher Abstieg beginnt für Sint Eustatius, das ab den 1830er Jahren in zunehmendem Maße von staatlichen Subsidienzahlungen abhängig ist. Aus dem einstmals wichtigsten Handelsplatz der Karibik im 18. Jahrhundert entwickelt sich nun eine reichlich abgeschiedene niederländische Inselkolonie, ohne größere Bedeutung für das Mittelmeer der Amerikas. Die Packhäuser und Faktoreien des einstigen Zentrums der karibischen Kontraökonomie beginnen, nach und nach zu verfallen.

Literatur:

  • Abbattista, Guido, Edmund Burke, the Atlantic American war and the ‘poor Jews at St. Eustatius’. Empire and the law of nations. In: Cromohs, 13 (2008). S. 1-39.
  • Edler, Friedrich, The Dutch Republic and the American Revolution. Baltimore 1911
  • Enthoven, Victor, “That Abominable Nest of Pirates”: St. Eustatius and the North Americans, 1680-1780. In: Early American Studies: An Interdisciplinary Journal, Volume 10, Number 2, Spring 2012. S.239-301.
  • Goslinga, Cornelis Ch., A Short History of the Netherlands Antilles and Surinam. Den Haag 1979
  • Jameson, J. Franklin, St. Eustatius in the American Revolution. In: The American Historical Review, Vol. 8, No. 4 (July 1903). S. 683-708.
  • Trew, Peter, Rodney and the Breaking of the line. Barnsley 2006
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