Ein steil aufragender Hügel aus vulkanischem Gestein, an seinen Hängen dicht bewaldet: Von dem rund 240 Meter hohen Brimstone Hill hat man einen hervorragenden Blick auf die Karibische See und die Waldungen des schmalen Landstreifens zwischen St. Kitts’ Küste und den Ausläufern des Mount Liamuiga. Schon in der Frühphase der franko-englischen Besiedlung der Antilleninsel, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, könnte der Brimstone Hill erkundet und sein strategischer Wert erkannt worden sein; doch gilt die schroffe vulkanische Extrusion und ihre weitgehend geschlossene Vegetationsdecke St. Kitts‘ europäischen Inselpionieren noch lange Zeit als unüberwindliches Hindernis für schweres Baumaterial und Kanonen.
Während des 17. Jahrhunderts ist das Küstengebiet rund um den Brimstone Hill Teil eines eigentümlichen politischen Experiments: Nach der brutalen Vertreibung der autochthonen Karibenbevölkerung 1626 haben englische und französische Kolonisten kurzerhand ein Kondominium über St. Kitts errichtet; das 169 km² große Eiland wird in drei Teile gegliedert: Im Westen und Osten der Insel liegt das Einflussgebiet der Franzosen; im Zentrum von „Saint-Christophe“, wie die Insel von den französischen Siedlern genannt wird, befindet sich dagegen das „Quartier des Anglois“, der englisch-kontrollierte Bereich des Antilleneilandes. Und hier liegt, umwabert vom Geruch unterseeischer Schwefelquellen und gerade einmal zwei Kilometer von der Küstenlinie von St. Kitts entfernt, der Brimstone Hill.
Um das eigenwillige karibische Pflanzerexperiment zu schützen, genügen den Engländern in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunächst noch kostengünstig zu errichtende Palisadenforts, küstennahe Befestigungen aus den Hölzern der Tropen. Verteidigungsbereit gegen Angriffe der Kariben, gegen die spanischen Widersacher vom Festland und den Großen Antillen; nötigenfalls auch gegen Vorstöße der französischen Nachbarn auf St. Kitts. Dass auf dem Hügelplateau des Brimstone Hill einmal das „Gibraltar Westindiens“ und eine der größten Militäranlagen der Briten in der Karibik entstehen wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt keiner der angstgeplagten englischen Kolonisten.
Die Anfänge des Zuckeranbaus auf St. Kitts
Die 1620er Jahren markieren die dramatische Formierungsphase englischer, französischer und niederländischer Präsenz auf den Kleinen Antillen. Der englische Teil von St. Kitts gilt dabei als eine Art „Mutterkolonie“ der englischen Siedlungsaktivitäten in der Karibik. Bis 1628 lassen sich englische Kolonisten auch auf dem St. Kitts unmittelbar benachbarten Nevis sowie auf Barbados nieder; letztere Antilleninsel wird sich neben Jamaika bald zur reichsten und mächtigsten Besitzung der Engländer in Westindien entwickeln. Im Umkreis des Brimstone Hill entstehen nach der vertragsrechtlichen Absicherung der englischen Siedlungszone auf St. Kitts kleinere Tabak-, Baumwoll- und schließlich auch Zuckerrohrplantagen.
Anfänglich arbeiten auf den englischen Plantagen noch Vertragsknechte von den Britischen Inseln, die sogenannten „Indentured Servants“; späterhin, insbesondere mit dem Beginn des westindischen und kittitianischen Zuckerbooms, schuften im wachsenden Maße afrikanische Sklaven auf den Plantagen der neuen englischen Zuckeraristokratie. Zentraler Stapelplatz der englischen Pflanzungen und Zuckermühlen auf St. Kitts ist im 17. Jahrhundert Sandy Point Town. Der Hafenort liegt in rund zwei Kilometer Entfernung von Brimstone Hill. Hier, am Sandy Point, sollen im Jahre 1623 auch die ersten englischen Kolonisten auf St. Kitts unter dem Filibuster Thomas Warner (1580-1649) an Land gegangen sein.
Französische Intervention auf dem karibischen Zuckereiland St. Kitts
Fast dreißig Jahre währt das Nebeneinander der französischen und englischen Siedler. Dann, im Gefolge eines erbittert ausgetragenen Seekrieges der Engländer gegen ihre Erzkonkurrenten aus den Niederlanden, findet das anglo-französische Arrangement auf St. Kitts ein vorläufiges Ende: Im Januar 1666 tritt Frankreich auf die Seite der Generalstaaten in den sogenannten „Zweiten englisch-niederländischem Seekrieg“ (1663/65-1667) ein. Erstes Opfer der französischen Intervention: St. Kitts. Im April 1666 attackieren französischen Truppen den englischen Teil der prosperierenden Zuckerinsel. Französische Inselmilizen, afrikanische Militärsklaven sowie mit den Franzosen verbündete Karibenstämme verheeren binnen Kurzen die Besitzungen der Engländer rund um den Mount Liamuiga. Vom englischen Jamaika ausgesandte Bukaniere können die vollständige Eroberung des englischen Quartiers auf St. Kitts nicht verhindern. Bis 1671 verbleibt das Antilleneiland unter französischer Kontrolle. In dieser Zeit verlassen viele englische Pflanzer die Insel und begeben sich unter anderem nach Virginia.
Zwar stellt der Frieden von Breda 1667 die alten Besitzverhältnisse auf St. Kitts wieder her. Doch seitens der Engländer ist klar: um die einträgliche Plantagenwirtschaft im Zentrum von St. Kitts effektiv schützen zu können, muss aufgerüstet werden. In der Folge wird der zentrale Handelshafen des Gebietes, Sandy Point Town, ab den 1670er Jahren nun mit einer starken Befestigungsanlage gesichert: Fort Charles. Die Engländer bauen das Verteidigungswerk bis 1682 zu einem der größten Küstenforts in den Kleinen Antillen aus. An der Finanzierung des Bauwerks muss sich schließlich sogar der englische König selbst beteiligen.
Der Pfälzische Erbfolgekrieg kommt nach St. Kitts
Fort Charles mag ein imposantes Küstenbollwerk darstellen ─ doch lassen unregelmäßige Soldzahlungen, beständige Versorgungsschwierigkeiten und Seuchen das Verteidigungssystem des „Quartier des Anglois“ 1690 neuerlich zusammenbrechen. Das mit großen Mühen und Kosten errichtete Küstenfort von Sandy Point Town kann von den französischen Truppen rasch besetzt werden. Der sogenannte „Pfälzische Erbfolgekrieg“ („Nine Years‘ War“, 1688-1697) hat nun auch die europäischen Inselbesitzungen in Westindien erreicht. Doch diesmal liegt das Schicksal der englischen Kolonisten auf St. Kitts nicht allein in den Händen der europäischen Diplomatie: Englische Truppen und Marineeinheiten sind auf dem Weg nach St. Kitts.
Die Soldaten stehen unter dem Kommando eines der mächtigsten Männer Westindiens: Christopher Codrington II. (1640-1698), Gouverneur der Leeward Islands zwischen 1689 und 1698. Codrington ist das Oberhaupt einer einflussreichen englischen Pflanzerfamilie. Die Codringtons sind seit Ende der 1630er Jahre in Westindien aktiv. In den 1680er Jahren verfügt der Codrington-Clan bereits über riesige Zuckerrohrpflanzungen auf Barbados, Antigua und auf Barbuda. Der bereits in Westindien geborene Codrington II. gilt dabei als besonders skrupellos. Im Kampf um das Erbe einer riesigen Zuckerplantage auf Barbados soll er 1669 Gerüchten zufolge gar einen Rivalen vergiftet haben. Die Ernennung zum militärischen Oberbefehlshaber und Gouverneur der Englischen Antillen markiert den Höhepunkt seiner Machtstellung.
Die „Eroberung“ des Brimstone Hill 1690
Auf St. Kitts gehen die englischen Invasionstruppen rigoros vor; innerhalb von drei Wochen können Codringtons Verbände die Insel vollständig von den Franzosen erobern. Fort Charles indes bemächtigt sich Codrington im Juli 1690 mit einer reichlich waghalsigen und für die Geschichte des Brimstone Hill entscheidenden Aktion: Zur Überraschung der französischen Garnison in Fort Charles erklimmen Codringtons Einheiten die abschüssigen Hänge des Brimstone Hill. Zwei schwere Mörser befinden sich in ihrem Schlepptau. Das kühne Unterfangen ermöglicht den Engländern nun ein scharfes Bombardement auf die französischen Besatzer in Fort Charles. Von See nehmen die Festung zudem englische Fregatten unter Beschuss. Nach rund zwei Wochen schließlich geben die rund 500 Franzosen, Soldaten und Pflanzer, in Fort Charles auf. Codringtons Eroberung von St. Kitts ist abgeschlossen.
Die Anfänge der Brimstone Hill Fortress auf St. Kitts
Die kühne Besetzung von Brimstone Hill während des Neunjährigen Krieges rückt das steile Hügelplateau fortan ins Zentrum englischer Verteidigungsanstrengungen für den englischen Teil von St. Kitts. Ein jahrzehntelanger Baumarathon beginnt nun rund um den Brimstone Hill und seine Hügelkuppen. Aus englischer Perspektive lohnt dieser offenbar alle Kosten und Mühen: Von der über 200 Meter hohen Extrusion lassen sich nicht nur Fort Charles und die Reede von Sandy Point Town hervorragend beschirmen ─ der Schwefelberg bietet auch genug Platz, um im Kriegsfalle großen Teilen der Pflanzer- und Sklavenbevölkerung Schutz zubieten. Nötigenfalls auch über Wochen hinweg. Der Brimstone Hill wird nun zu einer Art westindischer Trutzburg in Europas atlantischen Erbfolge- und Hegemonialkämpfen ausgebaut.
In den Hegemonial- und Kaperkriegen des 17. und 18. Jahrhunderts kommen derartigen, militärisch gesicherten Zufluchtsorten wichtige Funktionen zu. Bei einer Inselinvasion drohen den Bewohnern regelmäßig Massaker, Brandschatzungen und Entführungen. Reiche Pflanzer und Kaufleute bringen mitunter enorme Lösegelder ein. Auch gilt es im Krisenfalle, die stetig wachsende Zahl von Sklaven unter Kontrolle zu halten. Nichts fürchten die englischen Kolonisten während einer Invasion so sehr wie Massenfluchten, Aufstände oder gar die Verschleppung ihrer Sklaven auf die Inseln ihrer Erzfeinde und Konkurrenten.
1706, während des Spanischen Erbfolgekrieges, müssen sich die neuen militärischen Anlagen auf dem Brimstone Hill erstmals bewähren. Der Schwefelberg, nun gleichermaßen Fluchtburg und Sklavenfestung in einem. Erneute Plünderungen und Zerstörungen im englischen Teil von St. Kitts kann die Festung auf dem Brimstone Hill jedoch auch nicht verhindern. Erst der Frieden von Utrecht ermöglicht in der Folge, die Gefahren für die englischen Kolonisten auf St. Kitts dauerhaft zumindern: Mit dem Friedensabkommen von 1713 sind die Briten nunmehr Alleinherrscher über St. Kitts.
Zuckerboom und karibische Schmuggelgeschäfte
Den anglo-französischen Rivalitäten in den Amerikas tut dies jedoch keinen Abbruch: Noch weitere einhundert Jahre lang, zwischen 1688 und 1815, ringen Frankreich und Großbritannien intensiv um die Herrschaft auf den Ozeanen; kämpfen beide Länder unerbittlich um Kolonien, Einflusssphären und Handelsmonopole. Nordamerika und die karibische Inselwelt werden dabei immer wieder zum Schauplatz blutiger See- und Landschlachten, Invasionen und Belagerungen. 1763, mit dem britischen Sieg im Siebenjährigen Krieg über Frankreich, gewinnt das zunehmend atlantisch gerichtete Inselreich der Briten die Oberhand.
Wirtschaftlich indes, vor allem im engeren Bereich der Antillen, sehen sich die Briten jedoch weiter unter Druck. Hier ist es vor allem die expandierende Zuckerökonomie der Franzosen, etwa in Saint-Domingue, die das streng-merkantilistische Wirtschaftssystem der Briten beständig herauszufordern weiß. So kaufen neuenglische Rumbrennereien statt teurer kittitianischer Melasse ihren Zuckersirup lieber heimlich auf den Französischen Antillen; oder auf Sint Eustatius, einem niederländisch-kontrollierten Schmuggler-Emporium und Freihafen. Über Jahrzehnte erwächst so zwischen Britisch-Nordamerika und den Antillen, eine immer schwerer zu kontrollierende Schmuggelwirtschaft, in welcher Franzosen und Niederländer ein zentrale Rolle spielen.
Diese Kontraökonomie der Schmuggler und Schleichfahrer nimmt das politische Unabhängigkeitsstreben der englischen Kolonien im Norden gleichsam wirtschaftlich-klandestin vorweg. Mag der britische Sieg im Siebenjährigen Krieg 1763 Frankreich auch für aus den Wäldern Kanadas vertrieben haben, seine Zuckerökonomie zwischen Saint-Domingue und den Kleinen Antillen prosperiert kräftig weiter. Und mit ihnen die Schmuggelgeschäfte zwischen Boston und Barbados, Rhode Island und der Reede von Oranjestad, Sint Eustatius.
Brimstone Hill und der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg
Während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges streben die jahrzehntelangen Kämpfe Frankreichs und Großbritanniens um die Herrschaft im Atlantik- und Karibikraum einem neuen Höhepunkt entgegen. In diesem erneuten Konflikt kämpft Frankreich gemeinsam mit Spanien und den Niederlanden aufseiten der amerikanischen Rebellen. Auch St. Kitts und die kontinuierlich ausgebaute Festung auf dem Brimstone Hill werden nun erneut zum Schauplatz französischer Attacken.
Im Januar 1782 gelingt es dem Oberkommandierenden der französischen Streitkräfte in den Antillen, François Claude Amour, Marquis de Bouillé (1739-1800), eine Streitmacht von mehreren tausend Mann auf St. Kitts zu landen. Nachdem er wenige Wochen zuvor das benachbarte Sint Eustatius aus den Händen der Briten befreien konnte, greift der französische General mit St. Kitts und Nevis nun zwei der inzwischen reichsten Plantagenkolonien in Westindien an. Rasch kann sich de Bouillé in den Besitz von Nevis bringen. Das nur drei Kilometer entfernte St. Kitts wird von de Bouillé Truppen schließlich ebenfalls geplündert; zuletzt treiben die französischen Invasoren die britische Bevölkerung in die Festung auf dem Brimstone Hill.
Die erfolgreiche Invasion der Insel trifft die britische Miliz offenbar völlig überraschend: Bei de Bouillés Landung auf St. Kitts befinden sich im Hafen von Sandy Point Town noch Dutzende Kanonen und Mörser. Unstimmigkeiten wegen der Beschlagnahme kittitianischer Schmuggelwaren durch die Navy verzögern offenbar die Entsendung von Arbeitssklaven durch einige Plantagenbesitzer. Ihre Sklaven sollen die angelandeten Waffen eigentlich schnellstmöglich auf die Festung Brimstone Hill transportieren. Der Plan misslingt. Die Franzosen können mit den erbeuteten Geschützen stattdessen ihre Feuerkraft nochmals deutlich erhöhen. Die Pflanzeraristokraten, Inselmilizen, Soldaten und Sklaven hinter den Mauern der Brimstone Hill Fortress, insgesamt rund 1.000 Menschen, versuchen stoisch auszuharren. Man hofft auf die Schlagkraft der Royal Navy. Doch die Versuche der britischen Marine, von See her den Belagerungsring um Brimstone Hill Fortress aufzubrechen, scheitern beständig.
Mehr als drei Wochen hält sich die britische Garnison auf dem Hügel, dann ergibt sie sich am 13. Februar 1782 der französischen Übermacht. Letztmalig können die Franzosen die Insel „Saint-Christophe“, die sie mit den Engländern für die Dauer von fast einhundert Jahren teilten, vollständig unter ihre vollständige Kontrolle bringen. Trotz des Verlustes von Nevis und St. Kitts sichert das wochenlange Ausharren der Briten auf dem Schwefelberg wichtige taktische Vorteile im westindischen Seekrieg; über Wochen hinweg bindet die Belagerung des Brimstone Hill zahlreiche französische See- und Infanteriestreitkräfte im Bereich der Leeward Islands.
Großbritannien: noch einmal gerettet
Die Festung auf dem Brimstone Hill ist in französischer Hand. Zweifelsohne ein Prestigeerfolg für Frankreich. Fast sieht es nun so aus, als könnten die Franzosen gemeinsam mit ihren Verbündeten der britischen Machtposition in den Amerikas unverhofft einem schweren Schlag versetzen; ihre Hegemonialstellung im Atlantikraum gar beenden: Bereits im Herbst 1781 sind die britischen Kampagnen in den amerikanischen Rebellengebieten des Nordens endgültig zusammengebrochen; eine spanisch-französische Flotte setzt zum Angriff auf Jamaika an, seit den 1720er Jahren das Kronjuwel der britischen Zuckerökonomie.
Doch bereits wenige Wochen nach der vollständigen Eroberung von St. Kitts gelingt der Royal Navy der entscheidende Seesieg bei den Saintes unter den Admirälen Rodney und Hood. Die britische Vorherrschaft zur See kann verteidigt werden. Die mehrere Tage wogende Schlacht im Seegebiet zwischen Guadeloupe und Dominica verhindert in der Folge, dass sich zur Niederlage in Nordamerika auch noch der Zusammenbruch Britisch-Westindiens gesellt. Albion ist noch einmal gerettet. Die amerikanische Unabhängigkeit muss England dennoch anerkennen.
Brimstone Hill Fortress: „Das Gibraltar Westindiens“
Im Frieden von Paris 1783 erhalten die Briten St. Kitts erneut zurück. Die erfolgreiche französische Belagerung am Brimstone Hill im Januar und Februar 1782 bleibt für Großbritanniens Militärstrategen dennoch eine tiefe Zäsur. Die militärische Anlage auf dem Brimstone Hill wird nun belagerungssicher ausgebaut und erhält im Wesentlichen erst jetzt ihr markantes Gepräge. Der Mythos der Anlage als „Gibraltar Westindiens“ entsteht just in dieser Zeit systematischer Erweiterungen und Verstärkungen rund um das zentrale Hügelplateau.
Zwischen dem Ende des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und Napoleons Niederlage in der Schlacht von Waterloo 1815 erwächst nun Jahr um Jahr ein weitläufiger Festungskomplex; eine kleine Militärsiedlung auf beinahe 250 Höhenmetern. Verbunden durch eine lange Garnisonsstraße und steile Treppenaufgänge. Auf dem Brimstone Hill entwickelt sich so alsbald die größte je von den Briten erbaute Militäranlage in der östlichen Karibik. Eine massiv verstärkte Hügelfestung mit Magazinen, Kasernen, Kasematten, Werkstätten und einem eigenen Wasserversorgungssystem.
Eine britisch-westindische Militärsiedlung aus Vulkangestein
In dieser Hochphase der Nutzung und Erweiterung von Brimstone Hill konstruieren britische Armeeingenieure auch mehrere starke Geschützstellungen rund um den Hügel. Im Falle einer neuerlichen Belagerung lassen sich von hier aus feindliche Batterien nunmehr unter schweres Feuer legen. Eine dieser Basteien ist die heutige „Prince of Wales Bastion“, von der aus Fort Charles und der Hafen von Sandy Point Town direkt verteidigt werden können. Das eigentliche Zentrum der nunmehr stark erweiterten Festungsanlage bildet jedoch die ab 1789 entstehende Zitadelle Fort George. Ihre massive, polygonale Bauweise folgt einer in den 1790er Jahren als besonders innovativ geltenden Festungsarchitektur. Die auf dem nördlichen Gipfelpunkt des Hügels befindliche Zitadelle stellt eine der frühesten und am Besten erhaltenen Beispiele dieser Form des britischen Festungsbaus dar.
Die neuen Erweiterungsbauten auf dem Brimstone Hill Fortress verschlingen naturgemäß große Summen. Um die Kosten für die gewaltigen Anlagen möglichst gering zu halten, nutzten die Briten vor allem das vulkanische Gestein des Brimstone Hill als Baumaterial. Den Mörtel zum Zementieren der Steine beziehen die britischen Festungsbaumeister direkt von den unteren Kalksteinrändern des Hügels. Überdies kommen beim Bau der Anlage beständig Sklaven zum Einsatz.
Die enormen Aufwendungen für den Bau und den Unterhalt der Militärsiedlung auf dem Brimstone Hill lohnen sich für die britischen Machthaber in Westindien: Während der langjährigen militärischen Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich zwischen 1791 und 1815 wird Brimstone Hill Fortress von keiner feindlichen Macht mehr eingenommen. Ein 1806 unternommener Versuch der Franzosen in Sandy Point Town zu landen, endet schnell unter den Kanonaden der Bastionen von Brimstone Hill.
Das Ende der karibischen Zuckerepoche
Am Ende der Napoleonischen Kriege mag Brimstone Hill Fortress den Briten noch als steingewordene Manifestation ihrer Machtstellung in der Karibik erscheinen ─ doch die Zeiten ändern sich. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt der schleichende Niedergang des westeuropäischen Kolonialzuckers. Auch St. Kitts und andere Inseln Britisch-Westindiens sind hiervon betroffen. Die Böden der Karibik sind nach Jahrzehnten des monokulturellen Zuckeranbaus vielfach ausgelaugt. Britisches Kapital fließt zunehmend ab und wird nun verstärkt in die beginnende Industrialisierung Englands und Europas investiert. Auch die Absatzmärkte Nordamerikas und Britisch-Indiens bieten nun weitaus bessere Gewinnaussichten.
Zudem ist die kontinentaleuropäische Zuckerrübe bald auf dem Vormarsch: Bereits 1801, während beiderseits des Atlantiks der Krieg tobt, entsteht im preußischen Kunern (Konary), Schlesien, die erste Zuckerrübenfabrik der Welt. Bis in die 1830er Jahre entwickelt sich hieraus auf dem europäischen Festland eine blühende Industrie. Sie macht dem kolonialen Rohrzucker auf seinen traditionellen Absatzmärkten allmählich ernste Konkurrenz.
Und noch ein weiterer Faktor treibt das System der englisch-antillischen Zuckerwirtschaft in die Krise: Die atlantische Konfliktperiode der Jahre zwischen 1791 und 1815 hat die Kosten für den Unterhalt militärischer Anlagen enorm steigen lassen. Zwar erscheinen diese Militäreinrichtungen nach den erfolgreichen Sklavenaufständen in Saint-Domingue noch um so dringlicher. Gerade aus der Sicht der weißen Pflanzeraristokratie. Die damit verbundenen Kosten lassen die Zuckerrohrproduktion Westindiens jedoch immer unrentabler werden.
Das Ende der Sklaverei im Britischen Empire
Jenseits dieser ökonomischen Einflusskräfte steht das rigorose Ausbeutungssystem der antillisch-amerikanischen Sklavenwirtschaft auch moralethisch immer mehr unter Beschuss. Beiderseits des Atlantiks hat sich längst eine öffentlichkeitswirksame abolitionistische Bewegung etabliert. Diese erstrebt nichts Geringeres als die vollständige Abschaffung der Sklaverei. 1807, während der Napoleonischen Kriege, wird der Sklavenhandel innerhalb des Britischen Empire bereits formell verboten. Zwischen 1833 und 1843 vollzieht sich dann endgültig die Emanzipation der Sklavenbevölkerung in sämtlichen Kolonien der Briten. Die Sklaverei ist abgeschafft. Großbritanniens Zuckerbarone indes erhalten für den Verlust ihrer Arbeitskräfte riesige Entschädigungssummen ausbezahlt.
Die Brimstone Hill Fortress wird zum Steinbruch
Die Abolition und die damit verbundenen ökonomischen Wandlungsprozesse wirken sich auch direkt auf das britische Militärwesen in Westindien aus. Drastische Haushaltskürzungen führen zwischen 1852 und 1853 schließlich dazu, dass die Garnison auf dem Brimstone Hill aufgelöst wird. Ein Jahr später folgt die Garnison des benachbarten Fort Charles. Das verbliebene Inventar der weitläufigen Militärsiedlung auf dem Schwefelberg wird versteigert und die Kanonen zu Altmetall eingeschmolzen.
Für Großbritanniens Empire-Strategen haben die Antillen keinen besonderen Wert mehr. Der militärstrategische Fokus der Briten verlagert sich jetzt zusehends nach Indien, nach Asien ─ und nach Afrika. 1850 haben die Briten dort etwa die einstigen dänischen Sklavenforts an der sogenannten „Goldküste“ erworben. Bis 1872 folgen die dortigen Niederlassungen der Niederländer, deren einstige Westindien-Compagnie von hier aus den westafrikanischen Sklavenhandel zu dominieren suchte. In harscher Konkurrenz zuweilen mit englischen Sklavenhändlern. Die stolze Brimstone Hill Fortress indes, das einstige „Gibraltar Westindiens“, verfällt nach und nach; zunehmend von Buschwerk überwuchert wird die alte britische Festung schließlich zu einer Art Steinbruch des lokalen Baugewerbes.
Britische Geschichtspolitik auf dem Brimstone Hill
Der Prozess des Verfalls von Brimstone Hill Fortress setzt sich bis zu Anfang des frühen 20. Jahrhunderts fort, als die britische Kolonialverwaltung beginnt, die verbliebenen Strukturen der Festung nach und nach zu sanieren. Mehrere Regierungsprogramme werden nun aufgelegt, um die dichte Vegetationsdecke über den Ruinen der Garnison zu roden und die alte Veste wieder instand zu setzen. Die Sanierung der Brimstone Hill Fortress ist dabei wohl gleichermaßen britische Geschichtspolitik wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die vielfach verarmte afrokaribische Inselbevölkerung von St. Kitts. Das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnenden Tourismusgewerbe in der Karibik tut sein Übriges, die riesige Festungsanlage stärker in den Fokus regionaler Planungs- und Entwicklungsaufgaben zu rücken.
1965 gründet sich unter der Leitung eines örtlichen britischen Militärs die Brimstone Hill Restoration Society. Sie koordiniert und systematisiert fortan die Instandsetzungsmaßnahmen rund um den ehemaligen Militärkomplex. Bereits ein Jahre später beehrt das britische Staatsoberhaupt, Königin Elisabeth II., Brimstone Hill. Ein Besuch mit hohem symbolischen Wert für die kleine britische Kolonie. Anlässlich des royalen Besuches wird eine neu gepflasterte Zufahrtsstraße auf den Hügel in Dienst genommen. 1973 schließlich wird im Beisein des ältesten Sohnes der Queen, Prinz Charles, die erste vollständig restaurierte Bastion auf dem Brimstone Hill der Insel- und Commonwealth-Öffentlichkeit präsentiert. Sie trägt seither den Titel des britischen Thronfolgers, „Prince of Wales Bastion“.
Die Brimstone Hill Fortress auf der Weltkultur-Erbeliste der UNESCO
Noch rund 20 Jahre dauern die aufwendigen Restaurierungsarbeiten auf dem Brimstone Hill an. Als eines der letzten Gebäude wird in den 1990er Jahren das ehemalige Kommissariatsgebäude nahe der Zitadelle Fort George wiederhergestellt; in dem Haus war bis etwa 1853, ein Teil des Materiallagers der Brimstone Hill Fortress untergebracht. Mit der Eröffnung des Besucherzentrums auf dem Festungshügel über Sandy Point Town 1992 wird die Vermarktung der berühmten Armeesiedlung um ein Weiters professionalisiert.
Bereits fünf Jahre zuvor wurde das Gebiet um den Schwefelberg Teil eines rund 15 ha großen Nationalparks. Der Brimstone Hill Fortress National Park bildet fortan ringförmig eine ca. 1,6 Kilometer breite Schutzzone um den eigentlichen Festungskomplex auf dem Brimstone Hill. Das 1987 etablierte Schutzgebiet ist eine wichtige Voraussetzung für ein weiteres ehrgeiziges Unterfangen: die Brimstone Hill Fortress auf die Weltkultur-Erbeliste der UNESCO zu bringen. Dieses gelingt der Regierung der seit 1983 von Großbritannien unabhängigen Inselföderation von St. Kitts und Nevis schließlich tatsächlich. Im Oktober 2000 erfolgt die offizielle Einweihungszeremonie der UNESCO für die Welterbestätte auf dem Brimstone Hill.
In der Begründung zur Aufnahme des karibischen Verteidigungsbollwerks in die Welterbeliste des UNESCO heißt es, der Festungskomplex sei ein herausragendes Beispiel für die britische Militärarchitektur des 17. und 18. Jahrhunderts in der Region; die Geschichte der Brimstone Hill Fortress zeige zudem die große Bedeutung, die afrikanische Sklaven beim Bau und beim Unterhalt militärischer Anlagen in der Karibik besaßen. Zwischen 1996 und 1999 hatten archäologische Grabungskampagnen auf dem Festungsgelände, die kontinuierliche Anwesenheit von Sklaven auf dem Brimstone Hill nochmals umfassend nachweisen können.
Die wichtigste Touristenattraktion von St. Kitts
Heute bildet die Brimstone Hill Fortress die wichtigste Touristenattraktion von St. Kitts. Als eines der am besten erhaltenen Festungsbauwerke in Nord- und Südamerika zieht der Brimstone Hill Fortress National Park jährlich rund 50.000 Besucher an. Ein Besuch des legendären Schwefelhügels ist dabei häufig Teil von Landausflügen amerikanischer oder europäischer Kreuzfahrtreedereien. Deren Schiffe machen regelmäßig in Basseterre fest. Zu den Landprogrammen der Seereiseschiffe gehören zuweilen auch andere historisch bedeutsame Ziele der kittitianischen Zuckergeschichte; ehemalige Plantagenhäuser oder Zuckermühlen im Inselinneren und entlang der Küste von St. Kitts etwa.
Zentraler Anlaufpunkt des Brimstone Hill Fortress National Parks für die Touristen aus aller Welt bildet die Zitadelle Fort George. Das Fort stellt den militärarchitektonisch bedeutendsten Teil der britischen Armeesiedlung auf dem Brimstone Hill dar. Hier befindet sich auch das Museum der Festung Brimstone Hill, das nicht nur die Historie der Militäranlage dokumentiert, sondern auch über geologische Geschichte des Brimstone Hill informiert. Beliebte Fotomotive der Hügelwanderer bei ihrem Schlendergang über das Festungsgelände bilden neben der Zitadelle die Kolonnaden der einstigen Offiziersunterkünfte. Nicht minder begeisternd: die Fernsicht von den verschiedenen Bastionen der Befestigung aus. Von den ehemaligen Geschützbatterien hat man nicht nur einen guten Blick nach Sandy Point Town hinab, sondern auch auf St. Kitts’ karibische Inselnachbarn: die niederländischen Eilande St. Eustatius und Saba.
Dank dieses Panoramablicks wird das Gelände der Brimstone Hill Fortress mit seinen weitläufigen Basteien und Paradierplätzen regelmäßig auch für Bankette, Konzerte und Kulturfestivals genutzt. Verschiedentlich fanden in den letzten Jahren auf Brimstone Hill auch Reenactment-Veranstaltungen statt. 2014 etwa präsentierten sich Angehörige der kittitianischen Inselstreitkräfte, der „Saint Kitts and Nevis Defence Force“, in historischen Uniformen des „4th West India Regiment“. Der Infanterieverband afrokaribischer Soldaten unter dem Kommando weißer britischer Offiziere war während der Kriege mit dem revolutionären Frankreich ebenfalls auf Brimstone Hill Fortress stationiert.
Literatur:
Parker, Matthew, The Sugar Barons. Family Corruption, Empire and War. London 2011.