Zwölf Studierende aus den kanadischen Seeprovinzen sind in dieser Woche zu einer archäologischen Grabungsexpedition nach Kuba aufgebrochen. Ziel der Forschungsreise sind die Überreste einer rund 200 Jahre alten Kaffeeplantage nahe der kubanischen Stadt Artemisa, rund 80 Kilometer westlich von Havanna. Die Grabungen auf dem Plantagenkomplex des ehemaligen Cafetal Angerona dauern bis zum 17. Juni an und werden gemeinsam mit kubanischen Archäologen durchgeführt; sie bilden den Auftakt einer auf fünf Jahre angesetzten Partnerschaft zwischen kanadischen Universitäten unter der Federführung der Saint Mary’s University in Halifax und dem Colegio Universitario San Gerónimo in Havanna.
Die kanadischen Anthropologen und Archäologen suchen während ihrer zweiwöchigen Grabungskampagne insbesondere nach Artefakten aus dem Alltagsleben der afrikanisch-kreolischen Sklaven von Angerona. Archäologische Grabungen werden zu diesem Zweck vor allem im Bereich der ehemaligen Sklavenunterkünfte und des einstigen Plantagenfriedhofs von Angerona durchgeführt.
Das Cafetal Angerona und der Hanauer Pflanzer Cornelio Souchay
Das Cafetal Angerona war während des 19. Jahrhunderts eine der größten Plantagenkomplexe Kubas. Bis zu 450 Sklaven lebten und arbeiteten während der Hochzeit des kubanischen Kaffeebooms auf der Plantage. Die Pflanzung Angerona erstreckte sich seinerzeit über eine Gesamtfläche von 500 Hektar und soll bis zu 750.000 Kaffeebäume umfasst haben. In späteren Jahren begann man auf Angerona auch mit der Produktion von Zuckerrohr.
Das Cafetal Angerona ist überdies eine der bekanntesten Großpflanzungen Kubas. Dies ist insbesondere dem einstigen Besitzer der Kaffeeplantage, Don Cornelio Souchay, und seiner Geliebten, Ursula Lambert, geschuldet. Souchay wurde 1784 als Sohn eines hugenottischstämmigen Goldschmieds und einer Hessin in Hanau bei Frankfurt geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung in Bremen und einer Zwischenstation in Baltimore ließ sich Souchay 1805 zunächst in Havanna nieder. Durch Spekulations- und Handelsgeschäfte in Havanna zu beträchtlichem Reichtum gekommen, erwarb Souchay schließlich Ländereien im Gebiet westlich von Artemis; aus diesen erwuchs ab 1813 seine Kaffeepflanzung Angerona.
Cornelio Souchay und Urusla Lambert auf Angerona
Seit 1822 lebte Don Cornelio mit Ursula Lambert in einer Art „wilder Ehe“ auf Angerona. Lambert entstammte einer Familie von frei gelassenen haitianischen Sklaven, die nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Saint-Domingue mit ihrem einstigen Herren nach Kuba geflohen war. Neben ihrer Rolle als informelle Hausherrin führte Lambert auf der Pflanzung auch eine Art Plantagenladen; dort verkaufte sie auf eigene Rechnung einfache Verbrauchsgüter an die Sklaven von Angerona. Die Beziehung zwischen Souchay und Lambert und das Sklavenleben auf Angerona sind in der Folklore der Region immer wieder zum Gegenstand legendarischer Verklärung geworden. Zuletzt spekulierte ein kubanischer Liebesfilm, „Roble de Olor“ (2002), über den Charakter der Liaison zwischen Lambert und Souchay im Zeichen der kubanisch-karibischen Pigmentokratie und Rassensegregation des 19. Jahrhunderts.
Sklavenschmuggel zwischen Afrika und Kuba
Der hugenottische Hesse starb bereits 1837 ─ kinderlos und unverheiratet. Zum Zeitpunkt seines Todes gehörten mehr als 60 % der Sklaven von Angerona zur Gruppe der sogenannten „Bozales“; Sklaven also, die unmittelbar aus West- und Ostafrika in die Karibik verschleppt worden waren. Obgleich die spanische Kolonialmacht den Sklavenhandel für ihre letzte große Plantagenkolonie ab 1820 formell verbieten musste, grassierte in den Gewässern und Buchten um Kuba der Sklavenschmuggel. Mit Perfidie und Brutalität sicherte sich die kubanische Plantagenökonomie hierdurch ein schier unerschöpfliches Reservoir an Arbeitskräften.
Cafetal Angerona: Zwischen Herrenhaus und Wachturm
Die mithilfe der Sklaverei gewonnenen Reichtümer der Zucker- und Kaffeebarone auf Kuba waren selbstredend beträchtlich. Kubas Pflanzeraristokratie, und nicht nur diese, zeigte ihren Wohlstand bevorzugt in Gestalt repräsentativer Herrenhäuser, die sich zumeist im Zentrum der ländlichen Plantagen befanden. Auch das im neo-klassizistischen Stil errichtete Herrenhaus der Cafetal Angerona steht ganz im Zeichen dieser großkaribischen Tradition. Die Ruinen des einstigen Herrensitzes von Don Cornelio Souchay westlich von Havanna stehen noch immer; ebenso haben sich auf Angerona Überreste einiger Wirtschaftsgebäude sowie eines Wachturmes erhalten.
Der Wachturm befindet sich am ehemaligen Ostrand einer fast gänzlich verschwundenen Einfriedung rund um das ehemalige Herrenhaus von Angerona. Die Mauer, von der lediglich ein Eisentor erhalten ist, bildete einst die Grenze zwischen dem Refugium Souchays und den Sklavenunterkünften. Das Areal des ehemaligen Cafetal Angerona, das in diesen Tagen nun zum Ziel einer internationalen Grabungskampagne wird, steht seit den 1980er Jahren in Kuba unter Denkmalschutz.