
1860 befreien US-Marineeinheiten Hunderte afrikanische Sklaven an Bord dreier Slaverschiffe vor der kubanischen Küste. Die „Recaptives“ werden nachfolgend auf dem Marinestützpunkt Key West vor der Südküste Floridas interniert. Die Geschichte und das Schicksal der Afrikaner von Key West enthüllt am Vorabend des Amerikanischen Bürgerkrieges öffentlichkeitswirksam das ganze Grauen des atlantischen Sklavenschmuggels; einer Schmuggelökonomie, die auch Jahrzehnte nach dem formellen Verbot des Sklavenhandels über den Atlantik für monströse Gewinne sorgt.
Am 25. März 1807, inmitten der Napoleonischen Kriege, erlässt das britische Parlament ein für den Atlantikraum geltendes Verbot des Sklavenhandels über See (Abolition of the Slave Trade Act). Die Abschaffung der Sklaverei selbst wird in der britischen Karibik erst rund 30 Jahre später erfolgen. Die nicht-hegemonischen Sklavereien Britisch-Indiens (British Raj), etwa die Schuldsklaverei, sind von dem Parlamentsentscheid ohnedies ausgenommen ─ eine wichtige Voraussetzung für die spätere Integration des britischen Kuli-Systems in die Plantagenökonomie der Karibik nach der Emanzipation von 1833.
Philanthropie und Ökonomie
Der Beschluss des Parlaments, traditionell eine Bastion der berüchtigten Westindien-Lobby, gilt Großbritanniens Abolitionisten dennoch als großer Erfolg. Die philanthropischen Argumente der Abolitionisten allein dürften hierfür jedoch nicht ausschlaggebend gewesen sein. Der US-Historiker David Beck Ryden etwa betont insbesondere die ökonomischen Beweggründe der Parlamentarier: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die hoch subventionierte Zuckerwirtschaft in Westindien von einem dramatischen Preisverfall betroffen; um die ehrgeizigen Pflanzer nicht noch weiter expandieren zu lassen, will das Parlament offenbar auch den Zugriff der Plantagenbesitzer auf billige Sklavenarbeitskräfte einschränken. Die Schließung der berüchtigten Mittelpassage ist hierfür das tauglichste Mittel.
Krieg und Kontinentalspeere
Während der globalen Auseinandersetzungen mit dem revolutionär-imperialen Frankreich muss Großbritannien im Frühjahr 1807 vor allem an seine klamme Kriegskasse denken. Dank des Seesieges von Trafalgar rund 18 Monate zuvor konnte eine französische Invasion England gerade noch abgewendet werden. Nun droht im Gefolge der napoleonischen Kontinentalsperre ein ruinöser Wirtschaftskrieg mit den Franzosen. Für die Sonderinteressen der subventionshungrigen Pflanzerlobby in Britisch-Westindien gibt es in den Krisenjahren nach 1803 nur noch wenige Fürsprecher.
Am Wendepunkt der Weltgeschichte?
Dass der atlantische Sklavenhandel noch ein ganzes Menschenalter fortdauern wird und das 19. Jahrhundert den Aufstieg einer gigantischen Kontraökonomie, die sinistre Welt der atlantischen Sklavenschmuggler, kennzeichnen wird, ist den Zeitgenossen 1807 selbstredend nicht klar. Stattdessen wähnen sich gerade Britanniens Abolitionisten mit aufgeklärt-angelsächsischem Pathos gleichsam am Kairos der Weltgeschichte; zumal nur wenige Wochen zuvor amerikanische Gesinnungsfreunde eine ähnlich gerichtete Kampagne auf der anderen Seite des Atlantiks zum Erfolg führen konnten: In den Vereinigten Staaten tritt ab dem 1. Januar 1808 gleichfalls ein landesweites Handels- und Importverbot für Sklaven in Kraft. Auch dieses ist auf den atlantischen Seehandel in Sklaven gerichtet. Der US-amerikanische Binnenhandel mit Sklaven bleibt von dem Verbot ausgenommen.
Der atlantische Abolitionismus
Amerikas und Britanniens Antisklaverei-Aktivisten sind Teil einer atlantikweiten, zumeist stark religiös geprägten Bewegung. Neben den USA und den Britischen Inseln ist auch Frankreich ein wichtiges intellektuelles Zentrum dieser emanzipativen Bestrebungen. Im revolutionären Frankreich erwirken abolitionistische Aktivitäten zeitweilig gar die vollständige Aufhebung der antillianischen Sklaverei (1794-1802).
In den ehemaligen britischen Kolonien Nordamerikas haben abolitionistische Kampagnen bereits unmittelbar während des Amerikanischen Revolutionskrieges erste Erfolge gezeitigt. In der Dissidentenkolonie Pennsylvania etwa gelten seit 1780 zumindest Kinder von Sklaven als frei geboren. Die Einfuhr von Sklaven in das von Quäkern und Mennoniten geprägte Commonwealth of Pennsylvania wird im gleichen Jahr für illegal erklärt.
Ab 1794 werden der Bau und die Ausrüstung von Sklavenschiffen innerhalb amerikanischer Häfen durch den US-Kongress verboten. 1800 verschärft ein weiterer „Slave Trade Act“ formell jegliche Teilhabe von US-Bürgern im internationalen maritimen Sklavenhandel.
Angriff auf die Mittelpassage
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts scheinen abolitionistische Kampagnen, nun auch das als besonders grausam geltende Zentrum des atlantischen Sklavereikomplexes attackieren zu können: die berüchtigte Mittelpassage über den Atlantischen Ozean. Zwar hat das kriegsbedingt schwer unter Druck stehende Dänemark bereits 1803 ein Sklavenhandelsverbot über See für seine kolonialen Besitzungen verfügt; um jedoch ein Verbot des atlantischen Sklavenhandels effizient durchsetzen zu können, sind die Erwartungen, namentlich der anglo-atlantischen Abolitionisten, vor allem auf Großbritannien gerichtet.
Großbritannien als atlantischer Hegemon
Das Inselkönigreich hat zeitweilig nicht nur als größter Sklavenhändler des Planeten fungiert; Großbritannien ist nach den Hegemonialkriegen des 18. Jahrhunderts und dem erwähnten Sieg bei Trafalgar endgültig im Begriff, zur unumschränkten militärischen Vormacht auf dem Atlantischen Ozean zu werden; der französische Erzfeind steht einer atlantischen Pax Britannica nur noch für wenige Jahre im Weg. Aus Sicht der anglo-amerikanischen Sklavereigegner ist folglich auch allein Britanniens mächtige Kriegsmarine in der Lage, ein Verbot des Sklavenhandels auf dem Atlantik tatsächlich durchzusetzen.
Abolitionsverträge im Atlantikraum
Dem „Slave Trade Act“ von 1807 folgt unter britischem Druck zunächst eine Welle ähnlich gerichteter Handelsverbote oder Handelsbeschränkungen unter Englands bisherigen Machtrivalen im Atlantikraum. Bis 1817 kann Großbritannien sämtliche Kolonialmächte der Region in ein System bilateraler Abolitionsverträge einbinden. Allem voran die Verträge mit Frankreich, Portugal und Spanien zwischen 1810 und 1817 sind wichtige Ecksteine dieses atlantischen Vertragssystems. Um 1840 sind auch die neuen, unabhängig gewordenen Republiken Lateinamerikas diesem Verbotssystem vertraglich beigetreten. Schieds- und Kontrollkommissionen in wichtigen Hafenstädten beiderseits des Mittelatlantiks regeln alsbald Streitfälle und Konfiskationen.
Der Binnen- und Überlandhandel bleibt unangetastet
Das Vertragssystem der Briten, dass schließlich auch von den drei großen kontinentaleuropäischen Mächten Preußen, Österreich-Ungarn und Russland unterstützt wird, ist jedoch äußerst durchlässig. Dies hat mehrere Ursachen. Zunächst gilt: Formell ist der Sklavenhandel lediglich auf dem Atlantik, also zwischen Afrika und den Amerikas, untersagt; der Binnen- und Überlandhandel, der intrakoloniale, beziehungsweise interinsulare Handel mit Sklaven bleibt jedoch weitgehend unangetastet, von den innerafrikanischen Verhältnissen ganz abgesehen.
Expansion der Sklaverei
Da die Institution der Sklaverei in den Expansionsräumen der amerikanischen Plantagenökonomie nach 1807 noch für Jahrzehnte fortbesteht, bleibt auch die Nachfrage nach Sklaven und Sklavenarbeit ungebrochen. Der Bedarf an Sklaven steigt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sogar noch weiter an, namentlich in den neuen und alten Extensionsräumen der Plantagenwirtschaft, Brasilien, den Großen Antillen, Guyana oder dem Süden der Vereinigten Staaten, wo im Gefolge des Kaufs von Louisiana 1803 durch die USA riesige neue Anbaugebiete entstehen. Angefacht wird diese kontinentweite Entwicklung zudem durch neuartige agrikulturelle Rationalisierungsmaßnahmen, insbesondere innerhalb des verbliebenen kolonialspanischen Machtbereichs.
Lückenhafte Überwachung der Seewege
Als besonders problematisch für das atlantische Vertragssystem der Briten erweist sich vor allem jedoch die marinepolizeiliche Kontrolle der Mittelpassage selbst. Sie steht eigentlich im Zentrum der britischen Bestrebungen jener Jahre und wird partiell auch durch die Seestreitkräfte anderer Staaten, etwa Frankreichs, unterstützt. Gerade hier, bei der Überwachung der Seewege, zeigt sich jedoch, wie sehr der humanistische Interventionismus der Briten und ihrer Vertragspartner im Wesentlichen nur auf dem Papier Bestand hat.
Die verborgene Welt der Sklavenschmuggler
Den zur Durchsetzung des Handelsverbots abkommandierten Marinegeschwadern der Briten, welche die Hauptlast der Seeraumüberwachung tragen, stellen sich vor allem zwei grundsätzliche Probleme: Das Seegebiet zwischen Afrika, Westindien und den amerikanischen Küsten ist schlicht zu groß, um auch nur ansatzweise effizient kontrolliert werden zu können; ferner erweist sich, dass die Verträge der Briten mit diversen atlantischen See- und Handelsmächten zahlreiche Unzulänglichkeiten aufweisen, die in der Praxis gerade Schmugglern, Pflanzern und korrupten Behörden Tür und Tor öffnen. ─ Ungeachtet aller formellen Verbotsverfügungen und marinepolizeilicher Aktivitäten und ungeachtet aller abolitionstischen Zukunftshoffnungen kennzeichnet die Epoche nach den Napoleonischen Kriegen mitnichten das Ende der Sklaverei. Vielmehr expandiert diese durch den Aufstieg eines brutalen Schmuggelsystems, des Reichs der Slaver, Schmuggler und Schleichfahrer, immer weiter. Allein in die Vereinigten Staaten sollen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rund 1,2 Millionen Sklaven illegal eingeschmuggelt worden sein.
Visitationen und Inspektionen auf See
Eine Reihe praktischer und vertragsrechtlicher Probleme begünstigt die Welt des „Hidden Atlantic“ in besonderer Weise: So ist es für die Royal Navy bis weit in die 1830er Jahre nicht möglich, unter fremder Flagge fahrende Schiffe auf offener See selbst verdachtsabhängig zu durchsuchen und gegebenenfalls zu beschlagnahmen beziehungsweise ihre Besatzungen festzusetzen. Sofern die jeweiligen bilateralen Verträge dies überhaupt zulassen, sind ihnen jahrelang nur Schiffsvisitationen zur Überprüfung von Seepässen und Schiffspapieren gestattet; die Inspektion von Laderäumen indes nicht.
Selbst Schiffe, die unzweifelhaft für den Sklavenhandel ausgerüstet sind und in unmittelbarer Nähe zu Verladeplätzen vor der afrikanischen Küste angetroffen werden, dürfen britische Kriegsschiffe nicht ohne Weiteres aufbringen. Gelingt einmal doch die rechtskonforme Konfiskation von Sklavenschiffen, so sind die Strafen selbst für britische Slaver-Crews nicht allzu streng. Erst 1837 wird britischerseits eine aktive Beteiligung am atlantischen Sklavenschmuggel zuweilen mit Deportationen in Strafkolonien geahndet. ─ Wenn die anglo-atlantische Öffentlichkeit also tatsächlich geglaubt hat, mit den Parlamentsentscheidungen der Jahre ab 1807/08 wäre nunmehr das Zeitalter der universellen Sklavenbefreiung angebrochen, so wird sie rasch also eines Besseren belehrt.
Beträchtliche Gewinne durch den Sklavenschmuggel
Weil die karibisch-amerikanische Plantagenökonomie trotz aller Verbotsverfügungen und Risiken auf der Mittelpassage nach billiger Arbeitskraft weiterhin förmlich giert, locken die klandestinen Absatzmärkte für geschmuggelte Sklaven mit beträchtlichen Gewinnmargen. Entscheidend sind hierbei die Einstandspreise, die für die Sklaven an der west- und teils auch der ostafrikanischen Küste Afrika gezahlt werden.
Die in die Sklaverei verschleppten Afrikaner werden entweder mit Gold, Baumwollstoffen oder gegen mehr oder weniger günstig produzierte Massenwaren aus Europa und Amerika bezahlt; neben einfachen Haushaltsgütern auch Zigarren, Branntwein, Waffen und Schießpulver. Die hiermit verbundenen Möglichkeiten zur Preiskalkulation und Margenberechnung an allen Enden des Sklavenhandels und -schmuggels machen die verborgene Mittelpassage bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem höchst einträglichen Geschäft.
Geheime Übergabepunkte für afrikanische Sklaven
Das erste Teilstück dieser monströsen Schmuggelökonomie beginnt Wochen zuvor an geheimen Übergabe- und Sammelpunkten für Sklaven entlang der west- und teils auch ostafrikanischen Küste. Wichtige Ankerplätze der Sklavenschiffe befinden sich in unmittelbarer Nähe der Kongomündung (Cabinda) beziehungsweise entlang der Nordküste Angolas (Luanda). Mitunter mehrere Tage lang warten die Schiffe vor der Küste auf ihre menschliche Fracht aus dem Landesinneren. Erreichen die Trecks schließlich die vereinbarten Treffpunkte an der Küste, erfolgt die Verladung der Sklaven zumeist unverzüglich mit Kanus auf die wartenden Transportschiffe; insbesondere dann, wenn Inspektionsschiffe der Briten oder Amerikaner in unmittelbarer Nähe gesichtet wurden. Widerspenstige Sklaven werden dabei vollständig fixiert oder mit Rum betäubt.
Leiden an Bord der Sklavenschiffe
Die nachfolgende Überquerung des Atlantiks ist für die Sklaven eine extreme Tortur; auch wenn für die Atlantikpassage meist besonders schnelle Segelschiffe wie die berühmten Baltimoreklipper zum Einsatz kommen. Größtenteils unter Deck im Ladebauch der Schiffe, mit angewinkelten Beinen zusammengepfercht, müssen die Sklaven teils über Wochen hinweg ausharren. Die Luftzufuhr ist auf ein Minimum reduziert und die Sklaven leiden permanent Hunger und Durst. Krankheiten, Selbstmord, tödliche Flucht- und Aufstandsversuche, aber auch immer wieder Gewalt untereinander, sorgen durchwegs für hohe Todesraten an Bord der Sklavenschiffe. Derartige Ausfälle sind von den Sklavenhändlern und ihren Finanziers jedoch von Beginn an einkalkuliert. Dank der enormen Gewinnspannen auf den Sklavenmärkten des westlichen Atlantikraums können diese für die Slaver problemlos kompensiert werden.
US-Amerikaner im atlantischen Sklavenschmuggel
Die hohen Gewinnmargen und die beständige Ausweitung der Absatzmärkte im amerikanischen Süden locken auch viele Amerikaner in den transatlantischen Sklavenschmuggel. Doch es sind nicht allein die lukrativen Gewinnaussichten, die für viele amerikanische Reeder, Kaufleute, Spekulanten und natürlich auch Seeleute anziehend sind. Es ist auch das vergleichsweise geringe Risiko, das sie im verborgenen Schleichhandel auf der Mittelpassage zu erwarten haben. Wie zum Hohn auf die Leiden der Opfer ist das atlantische Schmuggelgeschäft auch für amerikanische Staatsbürger vergleichsweise leicht verdientes Geld.
Britisch-amerikanische Animositäten auf See
Ursächlich hierfür ist, dass bis 1862 amerikanische Schiffe vor Kontrollen durch die Royal Navy, der alles entscheidenden, weil marinepolizeilich aktivsten Kontrollinstanz im Atlantikraum, weitgehend geschützt sind. Es ist britischen Navy-Kapitänen bis in die Zeit des Amerikanischen Bürgerkrieges vertraglich nicht einmal gestattet, unter amerikanischer Flagge fahrende Schiffe verdachtsabhängig auch nur zu visitieren; von akribischen Untersuchungen von Schiffspapieren oder gar Laderäumen ganz zu schweigen. Argwöhnisch beäugen die Amerikaner jegliche Schmähung ihrer nationalen Souveränität, ihrer Flagge, auf dem Atlantik, zumal durch die einstige Kolonialmacht.
Souveränität der US-Flagge
Kommt es dennoch wegen Eigenmächtigkeiten enervierter britischer Navy-Offiziere auf See zu Übergriffen gegen US-Schiffe, hat dies, angetrieben durch die Washingtoner Pro-Sklaverei-Lobby, wütende Protestnoten und aufgeregte Presseberichte zur Folge. Über Jahre hinweg trägt die amerikanische Politik nicht unwesentlich dazu bei, dass eine auch nur ansatzweise Kontrolle des Sklavenschmuggels durch die mächtige Royal Navy weitgehend misslingt. Wie prekär diese souveränistische Politik ist, erweist auch, dass sich neben Investoren aus New York, Boston oder New Orleans auch nicht-amerikanische Sklavenhändler die Vorteile der US-Flagge auf See zunutze machen. Nötigenfalls auch unter Vorlage gefälschter amerikanischer Seepässe.
Verschärfung der Rechtsgrundlagen
Die von Beginn an höchst komplizierten Rechtsgrundlagen zur Visitation, Durchsuchung oder gar Aufbringung verdächtiger Schiffe ändern sich nur langsam. Erst ab den 1840er Jahren können Kontrollen mutmaßlicher Sklavenschiffe intensiver und effizienter betrieben werden. Insbesondere neue Vereinbarungen zwischen Großbritannien und einer Reihe südamerikanischer Staaten erlauben nun, auch solche Schiffe zu konfiszieren, die keine Sklaven an Bord haben, die jedoch erkennbar als Slaver gedient haben oder in Kürze dienen sollen. Typischerweise handelt es sich dabei um Schiffe, die offenkundig gefälschte Papiere mit sich führen, oder die eine für den Kauf und den Transport von Sklaven typische Ladung aufweisen, etwa beträchtliche Nahrungsvorräte, Zahlungsmittel oder schlicht: Fußfesseln.
Kooperation zwischen den USA und Großbritannien
Zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien kommt es 1842 lediglich zu der Übereinkunft, die Marineeinheiten beider Länder in der Atlantikregion zur Bekämpfung des Sklavenschmuggels enger kooperieren zu lassen. Gegenseitige Rechtsbefugnisse zur Durchsuchung von verdächtigen Schiffen erfolgen jedoch erst, wie erwähnt, 1862 unter der Regierung Abraham Lincolns.
Marineeinheiten im Kampf gegen den Sklavenschmuggel
Kontrollen auf See werden zumeist durch unabhängig operierende Kriegsschiffe oder kleine Marinegeschwader vorgenommen: Neben französischen Marineeinheiten und vereinzelt auch amerikanischen Marineverbänden sind vor allem Kriegsschiffe der Briten aktiv; namentlich Seefahrzeuge des bereits 1808 begründeten West African Squadron. Ähnliche Funktionen im Kampf gegen den Sklavenschmuggel übernehmen zudem Navy-Schiffe der Westindien-Station in der Karibik. Die US-Marine etabliert erst 1842 ein eigenes Afrikageschwader im Kampf gegen Interloper vor der afrikanischen Küste: das sogenannte Africa Squadron.
Sklavenschmuggler und das Africa Squadron
Vereinzelte amerikanische Marineschiffe sind bereits seit 1820 vor der westafrikanischen Küste im Einsatz gegen den Sklavenschmuggel. Doch gehört zu ihrem Aufgabenkreis ebenso, die amerikanische Handelsschifffahrt vor Zudringlichkeiten der Royal Navy zu schützen. ─ Dies führt bisweilen zu höchst widersprüchlichen Aktionen: Noch 1859 etwa rettet ein Schiff des Africa Squadron US-amerikanische Sklavenschmuggler von der westafrikanischen Küste. Das Schiff der Slaver war zuvor durch entschlusskräftige britische Seeoffiziere gekapert und anschließend in Brand gesetzt worden. Dem Kapitän des amerikanischen Schiffes war es zuvor noch gelungen, belastende Frachtpapiere über Bord zu werfen; eben dies galt den Navy-Offizieren jedoch als klarer Beweis, dass man hier auf einen Sklavenschmuggler gestoßen war.
Britische Erfolge gegen den atlantischen Sklavenschmuggel
Trotz eines beinahe aussichtslosen Kampfes im Angesicht komplizierter, bilateraler Vertragswerke, ausufernder Korruption und nationaler Animositäten, erhält die Hydra des Hidden Atlantic immer wieder empfindliche Schläge. Aufgrund ihrer militärischen Stärke sind vor allem Schiffe der Royal Navy im Kampf gegen den atlantischen Sklavenschmuggel zuweilen durchaus erfolgreich: zwischen 1808 und 1860 sollen britische Kriegsschiffe im gesamten Atlantikraum rund 1.600 Sklavenschiffe aufgebracht und dabei ca. 150.000 Sklaven befreit haben.
Der Kampf der Royal Navy gegen das Schmuggelunwesen
Um die Jahrhundertmitte machen im gesamten Atlantikraum bis zu 25 britische Kriegsschiffe Jagd auf Sklavenschmuggler. Im zunehmenden Maße werden hierbei auch Segelschiffe mit Dampfmaschinen und Schaufelrädern eingesetzt; diese neuartigen Navy-Schiffe werden für die Sklavenschmuggler vor allem bei einer Flaute zur Gefahr. Die wendigen Einheiten der Royal Navy nutzen zudem beständig das dichte Netz britischer Marinebasen zwischen der afrikanischen Küste und der Karibischen See. Neben den Atlantikbasen Ascension und St. Helena sowie Kapstadt (Cape Station) übernimmt vor allem der bereits 1787 gegründete Stützpunkt Freetown in Sierra Leone wichtige Funktionen im Kampf der Briten gegen die Sklavenschmuggler.
Die US-Marine im Kampf gegen die Atlantik-Slaver
Im Vergleich zu den Briten sind die Erfolge amerikanischer Marineeinheiten im Kampf gegen den transatlantischen Sklavenschmuggel deutlich bescheidener, zumal während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Zahl ihrer Schiffe in dem riesigen Seegebiet ist noch geringer, als jene der Briten; die meist völlig isoliert operierenden Marinefahrzeuge der Amerikaner können bis zum Beginn des Amerikanischen Bürgerkrieges gerade einmal 100 Sklavenschiffe aufbringen; der allergrößte Teil dieser Schiffe wird sogar erst ab Ende der 1850er Jahre aufgebracht.
Spektakulärere Erfolge im Kampf gegen den Sklavenschmuggel vor der westafrikanischen Küste gelingen 1859/1860 etwa dem Flaggschiff des Afrikageschwaders, der USS Constellation. Die Operationen des Afrikageschwaders und anderer regierungsamtlicher Seefahrzeuge haben über Jahre hinweg allenfalls symbolpolitischen Charakter. Sie unterstreichen vor allem den Anspruch der jungen Republik, als gleichberechtigte atlantische Seemacht anerkannt zu werden. Gerade gegenüber dem Rivalen England, mit welchem obendrein wachsende Handelskonkurrenzen an der westafrikanischen Küste bestehen.
Sklavenhandel, Sklaverei und die US-Innenpolitik
Abgesehen von gelegentlichen Presseberichten und diplomatischen Zwistigkeiten spielt die Schattenwelt des atlantischen Sklavenschmuggels im Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Dies mag überraschen, angesichts der großen innenpolitischen Relevanz des Abolitionismus und der beständigen Expansion der US-amerikanischen Sklavenwirtschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das anfängliche Desinteresse an der Welt der verborgenen Mittelpassage ändert sich erst in den 1850er Jahren merklich; zumal der atlantische Sklavenschmuggel in dieser Zeit, insbesondere nach 1858, nochmals deutlich ansteigt.
Der atlantische Sklavenschmuggel in der US-Presse
Berichte über spektakuläre Beschlagnahmeoperationen und die Perfidie und Brutalität des atlantischen Schleichhandels, gerade in der pro-abolitionistischen Presse, lenken um 1860 stärker als zuvor den Blick der Öffentlichkeit auf das Drama des Hidden Atlantic. Die mediale Präsenz des atlantisch-karibischen Sklavenschmuggels wächst gleichsam also parallel zur immer stärker drängenden Relevanz des Sklavereikomplexes in der US-Innenpolitik.
Kuba als boomendes Zentrum der Plantagenökonomie
In den Fokus gerät in dieser Phase wachsender innenpolitischer Spannungen insbesondere das boomende Zentrum des karibischen Plantagenkomplexes: Kuba. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebt Kubas hochmoderne Plantagenökonomie eine historisch wohl einzigartige Blüte. Neben Tabak und Kaffee sorgt vor allem der preisgünstige Anbau von Zucker für enorme Gewinne auf der Tropeninsel. Zeitweilig ist Kuba für rund ein Viertel der globalen Zuckerproduktion verantwortlich. Wahre Boomregionen sind die Anbaugebiete rund um die nordwestlichen Provinzstädte Matanzas und Trinidad. Die wirtschaftliche Blüte der kubanischen Plantagenökonomie lässt auch die Sklavenbevölkerung kontinuierlich anwachsen: Am Vorabend des Amerikanischen Bürgerkrieges leben auf der Karibikinsel rund 370.000 Sklaven.
Kuba und der Sklavenschmuggel
Zwar ist der Sklavenhandel formell auch in Kuba verboten, dieser letzten bedeutenden Kolonie des spanischen Imperiums in der westlichen Hemisphäre. Doch ein korruptes Netz aus kolonialspanischen Beamten, Kaufleuten und Plantagenbetreibern weiß die offiziellen Verbotsverfügungen der Metropole beständig zu unterlaufen. Selbst vor der Entführung Freier Schwarzer von der benachbarten britischen Kolonie Jamaika, wo seit 1833 die Sklaverei abgeschafft ist, schreckt man im boomenden Kuba nicht zurück. Der Bedarf nach Sklaven und Sklavenarbeit ist auf Kuba über Jahre hinweg enorm. Beinahe im Wochentakt laufen aus Afrika kommende Schmuggelschiffe die wirtschaftlich blühende Kolonie an.
Expansion der Plantagen- und Sklavenökonomie nach Süden
Unmittelbar vor der Küste Floridas gelegen, ist die karibische Insel nicht nur der größte Abnehmer von Sklaven im gesamten Karibikraum, sondern auch Innovationstreiber einer zunehmend technisierten Plantagen- und Sklavenökonomie. Die wirtschaftliche Potenz der Tropeninsel hat Kuba nicht nur zu einem wichtigen Absatzmarkt für geschmuggelte Sklaven werden lassen; sie ist geradewegs zum Objekt annexionistischer Aspirationen geworden, gleichsam als potenzieller Erweiterungsraum der südlichen US-Plantagenökonomie, die über das Mississippi-Delta und den Golf von Mexiko immer weiter nach Süden expandieren könnte. ─ Gleichermaßen Schreckensbild einer durchrationalisierten Sklavenökonomie wie Projektionsfläche expansionsfreudiger Plantagenbarone könnte Kubas Rolle in jener Epoche also kaum dramatischer sein.
Kuba als Drehscheibe für den Schmuggel in die USA
Nicht minder von Belang für die besondere Rolle Kubas in den US-Debatten der Vorkriegszeit: das prosperierende Tropeneiland jenseits der Florida-Straße ist nicht nur einer der Hauptabnehmer im atlantischen Sklavenschmuggel; es fungiert zuweilen auch als Drehscheibe für illegale „Reexporte“ afrikanisch-kubanischer Sklaven über den Golf von Mexiko in die Plantagenökonomie des Südens.
Operation des US-Heimatgeschwaders vor Kuba
Wachsender innenpolitischer Druck, zusätzlich angefacht durch die beständige Ausdehnung der Sklaverei in die neuen westlichen Territorien der USA und ihrer klandestinen Abhängigkeit vom Sklavenschmuggel, zwingt die US-Administration neuerlich zu symbolpolitischen Aktionen. Diesmal nun gezielt gegen jene letzte große Bastion des spanischen Imperiums in der Neuen Welt ─ direkt vor der eigenen Küste: Kuba.
Ab 1860 operieren schließlich gar drei Dampfschiffe der US-Navy gleichzeitig rund um die kubanischen Küsten, um den Sklavenschmuggel effektiv zu unterbinden. Die Kriegsschiffe sind Teil des 1838 gegründeten Heimatgeschwaders der Marine, dem sogenannten „Home Squadron“, das auch für den Küstenschutz der Vereinigten Staaten zuständig ist. Ein wichtiger Stützpunkt des Heimatgeschwaders im karibischen Seegebiet ist die Insel Key West, auf halbem Wege zwischen der Südspitze Floridas und der kubanischen Nordküste gelegen.
Aufbringung der Sklavenschmuggler WILDFIRE, WILLIAM, BOGOTA 1860
Besonders die Beschlagnahme dreier Slaverschiffe führt rund ein Jahr vor Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges das ganze Drama des atlantischen Sklavenschmuggels drastisch und öffentlichkeitswirksam vor Augen: Zwischen dem 28. April und dem 23. Mai 1860 gelingt es Einheiten des US-Heimatgeschwaders vor der kubanischen Küste die drei Sklavenschmuggler WILDFIRE, WILLIAM und BOGOTA in ihre Gewalt zu bringen. An Bord der drei Segler befinden sich insgesamt 1.432 Sklaven, die auf direktem Weg von Dahomey (Benin) und der Kongomündung über den Atlantik verschleppt wurden. Auch das Ziel dieser drei Sklavenschiffe sind die lukrativen Sklavenmärkte Kubas.
Verfolgungsfahrten vor der kubanischen Küste
Angesichts der Gewinnaussichten auf Kuba geht es um viel Geld für die Sklavenhändler an Bord der drei Schmugglerschiffe. Die Dampfboote der US-Navy können die Sklavenschiffe teilweise erst nach mehrstündigen Verfolgungsfahrten vor der kubanischen Küste aufbringen. Als besonders renitent erweist sich dabei die WILLIAM, die am 9. Mai 1860 durch den US Navy Steamer WYANDOTTE vor der kubanischen Südküste gestoppt werden kann: Noch kurz vor der Enterung des Schleichfahrers durch Einheiten der Navy töten Besatzungsmitglieder der WILLIAM sechs Sklaven unter Deck, heißt es in zeitgenössischen Berichten. Offenbar versucht die Mannschaft der WILLIAM hierdurch, einen drohenden Aufstandsversuch mit äußerster Gewalt niederzuschlagen.
Monströse Schweigegelder
Als die unter Deck versteckten Sklaven durch die Crew der WYANDOTTE schließlich entdeckt werden, unternimmt der Kapitän des Sklavenschmugglers WILLIAM einen letzten Versuch, seine kostbare Fracht zu retten: Kurzerhand bietet er dem Kommandanten der WYANDOTTE ein Bestechungsgeld von 25.000 US-Dollar an.
Zum Vergleich: ein einfacher New Yorker Arbeiter erzielt um 1860 im Metallgewerbe einen Jahresverdienst von bestenfalls rund 500-600 US-Dollar; bei einer Wochenarbeitszeit von 60-72 Stunden. Der Navyoffizier lehnt die beträchtliche Summe, die viel über das enorme, im Sklavenschmuggel zirkulierende Kapital verrät, offenbar völlig unbeeindruckt ab. Stattdessen werden nun sämtliche Crewmitglieder von der Marine in Gewahrsam genommen.
Entkräftet und dem Tode nah
An Bord der drei Slaver indes herrschen grauenhafte Zustände: Viele der verschleppten Afrikaner sind nach der wochenlangen Atlantiküberquerung völlig entkräftet und teils lebensgefährlich erkrankt; Dutzende Afrikaner liegen tief unter Deck bereits im Sterben. Unter den Verschleppten befinden sich auch zahllose Kinder und Jugendliche; die menschliche Fracht der Bark WILDFIRE etwa besteht zum größten Teil aus völlig erschöpften Kindern; darunter 400 Jungen im Alter zwischen 10 und 16 Jahren. Gerade die älteren Jungen hätten die höchsten Preise auf den kubanischen Sklavenmärkten erzielen können.
New Yorker Finanziers des Sklavenschmuggels
Die Besatzung und Ladepapiere der Sklavenschiffe zeigen deutlich, wie sehr gerade auch amerikanische Crews und Reeder in den atlantischen Sklavenschmuggel verstrickt sind: Die Kapitäne der WILDFIRE und der WILLIAM sind US-Amerikaner; Gleiches gilt offenbar auch für Teile der Besatzung. Zu ihrer Schmuggelfahrt nach Afrika sind alle drei Schiffe ursprünglich von New York aus gestartet; dort sind auch die Geldgeber der Slaver-Fahrten beheimatet. Die florierende Finanz- und Handelsmetropole New York ist am Vorabend des Amerikanischen Bürgerkrieges eine wichtigte Drehscheibe für verdecktes Investitionskapital im atlantischen Sklavenhandel, für die Ausrüstung von Schiffen und die Anwerbung von Slaver-Crews. Die Besatzung der BOGOTA indes ist spanisch-portugiesischer Herkunft, mutmaßlich stammen sie von den iberischen Atlantikinseln, einem wichtigen Rekrutierungsraum etwa auch für amerikanische Walfänger in jener Zeit; der Kapitän der BOGOTA stammt aus Frankreich.
Sklavenschmuggel als Piraterieakt
Eigentlich unterliegt der US-amerikanische Teil der Delinquenten nun unmittelbar der, zumindest auf dem Papier, recht harschen Antisklaverei- und Anti-Piraterie-Gesetzgebung der Vereinigten Staaten. Insbesondere die beiden amerikanischen Kapitäne gelten nach dem Gesetz als Piraten und sind aufgrund ihrer führendenden Rolle bei den Schmuggeloperationen mit dem Tode bedroht; Sklavenschmuggel gilt in den USA seit 1820 formell als Piraterieakt und Kapitalverbrechen.
Freisprüche für die Sklavenhändler
Doch die Reaktion eines lokalen US-Gerichts gegenüber den Sklavenschmugglern einige Zeit später ist denkbar lax: Zwar werden alle drei Schiffe enteignet und durch ein US-amerikanisches Marinegericht versteigert; die Mannschaften selbst jedoch werden nach kurzer Untersuchungshaft in Key West auf Kaution freigelassen; die Kapitäne der beiden genuin amerikanischen Schiffe, der WILLIAM und der WILDFIRE, werden schließlich durch ein Gericht in Florida freigesprochen. Noch glimpflicher geht die brutale Schmuggeloperation für die Besatzung der BOGOTA aus, die man kurzerhand nach Kuba ausweisen lässt.
Geringes Risiko für Slaver
Der Fall der drei Sklavenschiffe vor Kuba zeigt somit, wie wenig risikoreich, nach damaligen Maßstäben, die Schmuggeltätigkeit für die atlantischen Schleichfahrer und Slaver noch kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges gewesen sein muss. Gerade entlang der Küsten der späteren Konföderation. Auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Erlass eines US-weiten Einfuhrverbots für Sklaven können Sklavenschmuggler selbst in unmittelbarer Nähe amerikanischer Marinebasen ohne Gefahr ihren brutalen Geschäften nachgehen. Lediglich ein einziges Mal, 1862, also inmitten des Amerikanischen Bürgerkrieges, wird mit Nathaniel Gordon ein amerikanischer Slaver-Kapitän gemäß des Anti-Piraterie-Gesetzes von 1820 in New York hingerichtet. Eine drastische Ausnahme, die vonseiten der Abolitionistenbewegung vermutlich kaum Unterstützer gefunden haben dürfte.
Ankunft auf Key West
Während selbst die amerikanischen Slaver-Besatzungen nebst ihren Kapitäne nach kurzer Frist wieder auf freien Fuß sind, ist die dramatische Odyssee der rund 1.400 überlebenden Afrikaner an Bord der WILDFIRE, WILLIAM und BOGOTA im Mai 1860 noch längst nicht vorbei. Bereits zwei Tage nach der Aufbringung der Bark WILDFIRE durch den Marinedampfer MOHAWK werden die ca. 500 überlebenden Afrikaner dieses Slavers an den US-Marschall auf Key West übergeben. Ein Verbringung nach dem Festland, nach Florida, was ihre Versorgung deutlich einfacher würde gestalten können, soll behördlicherseits unbedingt vermieden werden. Bis Ende Mai 1860 folgen weitere 900 Afrikaner von den Schiffen WILLIAM und BOGOTA. Bei ihrer Ankunft auf Key West sind viele der Afrikaner selbst nicht mehr in der Lage, zu laufen. Mit Kutschen müssen die völlig entkräfteten Menschen auf die Insel gebracht werden.
Warten im Barackenlager
An Land werden die Afrikaner in hastig errichteten Holzbaracken interniert. Zu Versorgung der Kranken wird auf dem Barackengelände am Strand von Key West zudem ein „Hospital“ errichtet. Das weitläufige Barackenlager befindet sich in unmittelbarer Nähe einer Militärgarnison, Fort Zachary Taylor. Rund um die Uhr bewachen Soldaten des Forts die provisorischen Wohnbaracken der Afrikaner. Ohne Erlaubnis darf keiner der befreiten Sklaven das eingezäunte Gelände verlassen. Für die als „Recaptives“ bezeichneten Afrikaner beginnt nun eine 85 Tage währende Periode stumpfen Wartens hinter mannshohen Zäunen.
Die Afrikaner von Key West
Engere Kontakte mit den internierten Afrikanern ergeben sich für die Bevölkerung von Key West in der Folge kaum. Von der gerade einmal 3.000 Menschen zählenden Bevölkerung von Key West werden die verschleppten Afrikaner vor allem als lokale Kuriosität bestaunt. Eine Verständigung ist ohnedies nur in wenigen Fällen möglich: Lediglich ein kleiner Teil der Überlebenden stammt aus der Nähe einer katholischen Missionsstation in Angola und hat somit rudimentäre Portugiesischkenntnisse. Bruchstückhaft enthüllen sich die dramatischen Umstände ihrer Verschleppung und Befreiung: Viele Afrikaner wurden ursprünglich bei Razzien im Kongogebiet gefangen genommen oder von Familienangehörigen in die Sklaverei verkauft; eine größere Zahl hielt man bereits in Afrika als Sklaven und verhandelte sie schließlich nach den Slaversammelpunkten an der angolanischen Küste.
Rassensegregation und Schutz vor Entführungen
Die Separierung der Afrikaner von der örtlichen Bevölkerung ist nicht allein dem unverhohlenen Rassismus der Verantwortlichen vor Ort geschuldet, der sich als Sorge um Sitte und Besitz zu kaschieren sucht. Der diffuse „Rassensegregationismus“ der Behörden ist zugleich mit weiteren Besorgnissen verknüpft: der Furcht vor einer Gelbfieberepidemie und möglichen Entführungen der Afrikaner durch amerikanische und kubanische Slaver. Gerade letztere Befürchtung ist durchaus real. Presseberichte, etwa in der auflagenstarken New Yorker Illustrierten „Harper’s Weekly“, locken offenbar tatsächlich US-amerikanische Sklavenhändler, oder zumindest deren „Kundschafter“, vom Festland an. Der auf Key West primär verantwortliche Bundesbeamte, ein US-Marschall namens Fernando Moreno will Entführungsversuche nötigenfalls mit Gewalt abwenden.
Schlechte Versorgung der Afrikaner auf Key West
Mehr noch als von der Skrupellosigkeit amerikanischer Sklavenhändler sind die Überlebenden der drei Sklavenschiffe jedoch von Mangelernährung, Krankheit und den desolaten hygienischen Bedingungen vor Ort bedroht. Wochenlang erhalten die Afrikaner auf Key West vor allem Reis und gesalzenen Fisch. Für Abwechslung sorgen allenfalls Lebensmittelspenden durch die lokale Bevölkerung, die den Internierten zudem auch Kleider schenken. Ferner ist Trinkwasser auf Key West streng rationiert. Key West gründet seine Wasserversorgung lediglich auf das Sammeln von Regenwasser in Zisternen sowie Frischwasserlieferungen vom Festland oder aus Kuba.
Hektische Korrespondenzen mit Washington
Die Versorgung und Unterbringung von 1.400 Menschen erweist sich für die Behörden auf Key West von Beginn an als kaum lösbar. Ohnedies schwer zu organisieren, verursacht die Verpflegung von Hunderten Menschen zudem beträchtliche Kosten, für die zunächst offenbar niemand recht aufkommen will, zum Wenigsten die Bürger von Key West. Hektisch korrespondiert US-Marschall Moreno in der Folge mit seinen Vorgesetzten in Washington und berichtet diensteifrig über den permanenten Wassermangel und die bevorstehende Gelbfiebersaison in der Region.
Sofortige Verbringung nach Afrika
Moreno rät dem Innenministerium, die Afrikaner schnellstmöglich auf das Festland zuverlegen, wo er sie zweifelsohne besser versorgt wähnt, oder besser gleich nach Afrika „zurückzuschicken“; angesichts der Umstände ihrer brutalen Verschleppung an Bord amerikanischer oder amerikanisch-kapitalisierter Sklavenschiffe erscheint gerade letzterer Vorschlag offenbar keinem der Zeitgenossen grotesk ─ weit mehr lässt sich ihre vermeidliche „Repatriierung“ mit den frühen kolonial- und segregationspolitischen Bestrebungen der US-Administration verknüpfen, wie sich rasch zeigen wird. Verbleiben die Afrikaner noch längere Zeit auf Key West, so Moreno weiter, drohen der Inselgemeinschaft und den Recaptives in jedem Falle unkalkulierbare Risiken.
Key West als Zwischenstation für befreite Sklaven?
Vorausschauend lässt Moreno zudem anfragen, ob Key West auch längerfristig als Zwischenstation für befreite Sklaven aus der Karibik genutzt werden soll. In einem solchen Fall benötige Key West unbedingt zusätzliche Wohnbaracken; insbesondere jedoch Zisternen, wegen der prekären Wasserversorgung. Die Verantwortlichen auf Key West rechnen offenbar täglich mit der Ankunft weiterer Recaptives an Bord amerikanischer Marineschiffe.
Das Sterben auf Key West
In dem überfüllten Barackenlager am Strand von Key West indes entwickeln sich die Dinge allmählich zu einer humanitären Katastrophe: Von der strapaziösen Atlantiküberquerung zum Teil bereits lebensbedrohlich geschwächt, fordert die Mangelversorgung der Afrikaner immer mehr Todesopfer. Zwischen dem 1. Mai und dem 19. Juli 1860 sterben auf Key West noch 295 weitere Afrikaner. In ihrer Mehrheit handelt es sich um Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren, die, wie erwähnt, einen signifikant hohen Anteil unter den Sklaven an Bord der drei Schmuggelschiffe gebildet haben. Die steigende Zahl der Toten macht auf Key West schließlich die Einrichtung eines eigenen Friedhofes für die Afrikaner erforderlich. Das Gräberfeld entsteht am Higgs Beach an der Südküste von Key West.
Verbringung der Recaptives nach Westafrika
Auch ohne Morenos Einlassungen ist in Washington unstrittig, dass die befreiten Sklaven auf Key West möglichst bald nach Afrika verbracht werden sollen. Dies ist auch vor der westafrikanischen Küste zumeist übliche Praxis, wenn Sklaven auf See durch amerikanische oder britische Marinegeschwader befreit werden können. Zentraler Verbringungsort für Recaptives sind die beiden britisch-amerikanischen Einflusszonen Sierra Leone und Liberia. Die Geschichte dieser benachbarten Territorien an der Westküste Afrikas ist eng mit den frühen abolitionistischen, segregationistischen aber auch schlicht handelspolitischen Bestrebungen der Briten und Amerikaner in der Region verknüpft.
Sierra Leone als britisch-afrikanische Siedlungskolonie
Bereits 1787 kann die britische Regierung in Sierra Leone eine Siedlungskolonie für aus Großbritannien, Kanada und Westindien emigrierte oder weggeführte Afrikaner etablieren. Unter den dorthin ziehenden Afrikanern oder als afrikanisch Geltenden befinden sich ehemalige Soldaten, frei gelassene Sklaven oder afrikanischstämmige Angehörige der Londoner Unterschicht. Insbesondere nach den Napoleonischen Kriegen intensiviert sich diese afrikanisch-amerikanische Emigration aus Kanada und der Karibik in die britische Kolonie. Mit Beginn des formellen Sklavenhandelsverbotes auf der Atlantikpassage ab 1807 werden in regelmäßigen Abständen nun auch Recaptives in Sierra Leone angesiedelt.
Liberia und die American Colonization Society
Eine gleichfalls segregationistisch-abolitionistische Funktion übernimmt ab 1816 auch der amerikanisch-kontrollierte Küstenstreifen „Liberia“. Auch in Liberia werden nach und nach ehemalige amerikanische Sklaven oder afrikanische Recaptives, beziehungsweise „Congos“, angesiedelt. Treibende Kraft des Unternehmens ist die American Colonization Society (ACS) mit besten Verbindungen in das Washingtoner Politestablishment.
Ein Vetter des während der Key-West-Krise amtierenden Präsidenten Buchanan, dient von 1839 bis 1841 gar als erster Gouverneur des Küstenstreifens. Die besonderen Beziehungen zwischen der American Colonization Society und dem Washingtoner Regierungsapparat bleiben noch bis in die Zeit nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg überaus intensiv.
Libera als amerikanisch-afrikanische Plantagenkolonie
In Liberia soll nach dem Willen der Politeliten Washingtons und Monrovias eine Plantagenkolonie nebst atlantischen Handels- und Stapelplätzen für amerikanische und europäische Kaufleute entstehen. Als günstige Arbeitskräfte sollen nötigenfalls auch Congos und andere Recaptives dienen, die man von Slaverschiffen lediglich in das neue Kolonisationsgebiet umleiten muss.
Liberia, der Kongo oder der Norden der USA
Auch die befreiten Sklaven von der BOGOTA, der WILDFIRE und der WILLIAM sollen also in dem amerikanisch-kontrollierten Küstenterritorium angesiedelt werden. Der Plan der Regierung in Washington sieht vor, dass ihre Versorgung in Liberia zunächst durch die American Colonization Society organisiert wird; während die US-Regierung die Kosten hierfür trägt. Eine Verbringung ins Mündungsgebiet des Kongo, von wo, wie erwähnt, ein größerer Teil der überlebenden Afrikaner stammt, ist für die US-Behörden indessen ausgeschlossen.
Durchaus ist die Gefahr für die völlig mittellosen Afrikaner groß, im Kongogebiet erneut versklavt zu werden; auch die Afrikaner selbst fürchten offenbar dieses Risiko. Letztlich ist die Verbringung nach Liberia für die Afrikaner auf Key West ohne wirkliche Alternative. Ein etwaiger Verbleib auf US-Territorium als „Freie Schwarze“, etwa in den nördlichen Bundesstaaten, wird wie selbstverständlich von den amerikanischen Behörden ausgeschlossen.
Neue Arbeitskräfte für Liberia
Von der segregationistisch-paternalistischen Warte Washingtons aus gilt es vielmehr, die nach 1862 unabhängige Satellitenrepublik Liberia mit neuen Arbeitskräften zu versorgen. Auch die Verbringung der Afrikaner von Key West nach Liberia erweist somit die enge Verknüpfung des Liberia-Projektes mit den segregationistischen und imperialen Interessen der Antebellum-Epoche. ─ Jenseits aller hell strahlenden Zukunftsvisionen für eine amerikanisch-afrikanische „Negro Republic“ beziehungsweise eines merkantilen Brückenkopfs in Westafrika, beginnt für die Recaptives aus Key West auf ihrer zweiten Atlantikpassage neuerlich ein Martyrium.
Widerstand gegen eine erneute Atlantiküberquerung
Die Schiffe, auf welchen die Recaptives nach Liberia verbracht werden sollen, sind in Regierungsauftrag bereits im Juni 1860 von New York aus Richtung Florida gestartet. In Key West angekommen, stößt die aus drei Seglern bestehende Flotte bei den Afrikanern auf größte Skepsis; sofern noch bei Kräften, bekunden Überlebende der BOGOTA, der WILLIAM und der WILDFIRE ihren offenen Widerwillen, erneut den Atlantik überqueren zu müssen. Die Ängste und Befürchtungen der Afrikaner sind mehr als berechtigt: Viele der ehemaligen Sklaven sind von der Verschleppung aus Afrika und der ersten Reise über den Ozean auch nach Wochen noch immer gefährlich geschwächt; zumal die Versorgung auf Key West, wie erwähnt, meist einseitig und mangelhaft gewesen ist.
Nicht wenige der Recaptives sind derart krank und geschwächt, dass sie die New Yorker Schiffe nicht ohne Hilfe besteigen können. Mehr Zeit, sich auf Key West wiederherzustellen, wird ihnen nun nicht mehr gewährt. Viele der Afrikaner ahnen bereits, dass sie diese zweite Atlantikpassage nicht überleben werden.
Mangel- und Durchfallerkrankungen
Auf den ersten Blick scheinen die drei Segler SOUTH SHORE, THE STAR OF THE UNION und CASTILIAN für eine Atlantikpassage vergleichsweise gut ausgestattet zu sein. So verfügen die Schiffe etwa auch über Liegeplätze und Waschgelegenheiten. Doch vom Beginn der Reise ab Mitte Juli 1860 erhalten die afrikanischen Passagiere, unter ihnen noch immer zahlreiche Kinder und Jugendliche, erneut keinerlei frische Lebensmittel ─ aus Kostengründen. Ihre einseitige Kost an Bord besteht über Wochen hinweg aus Reis, Brot und Pökelfleisch. In der Folge kommt es offenbar neuerlich zu typischen Mangel- und Durchfallerkrankungen wie Skorbut oder Ruhr, Krankheiten, die bereits auf der Mittelpassage und auf Key West grassierten.
Überfahrt in den Tod
Die Lage an Bord der Schiffe ist binnen Kurzen schlicht katastrophal zu nennen. Ein junger Arzt, dessen Vater zum Vorstand der American Colonization Society gehört, beschreibt in mehreren Briefen die bedrückende Situation auf der SOUTH SHORE; zeitweilig ist er mit lediglich einem Pfleger für die Betreuung von 80 lebensbedrohlich erkrankten Personen gleichzeitig zuständig. Allein 152 Personen versterben auf seiner provisorischen Krankenstation an Bord der SOUTH SHORE bis zur Ankunft in Liberia. Insgesamt lassen weitere 315 Afrikaner auf den drei amerikanischen Schiffen ihr Leben.
In der Obhut der Americo-Liberians
Laut Vertrag mit der US-Regierung soll die American Colonization Society die überlebenden Recaptives aus Key West für genau ein Jahr in Liberia mit Kleidung und Nahrung versorgen. Um sie auf das agrokulturelle Plantagensystem in Liberia vorzubereiten, werden sie in die Obhut afrikanisch-amerikanischer Kolonisten übergeben, den sogenannten Americo-Liberians; sie bilden die künftige Oligarchie der Republik Liberia.
Die Spur verliert sich
Nach ihrer Ankunft in Liberia verliert sich die Spur der befreiten Sklaven von Key West weitgehend. Gemäß einer letzten statistischen Erhebung im März 1861 sind lediglich noch 781 Personen dieser Gruppe in Liberia am Leben. Somit ist fast die Hälfte der im Sommer 1860 vor der kubanischen Küste noch lebend aufgebrachten Afrikaner inzwischen verstorben; und das innerhalb von gerade einmal neun Monaten. Inzwischen ist der ehemalige Begräbnisplatz der Afrikaner auf Key West dank archäologischer Untersuchungen in den Jahren zwischen 2002 und 2010 identifiziert worden. Seit 2012 steht der Afrikanische Friedhof am Higgs Beach unter Denkmalschutz.
Literatur
- David Beck Ryden, West Indian Slavery and British Abolition 1784-1807. Cambridge 2010
- Rodney Carlisle, The Right of Search Controversies, 1839-1842 and 1857-1858. In: The Northern Mariner/Le marin du nord. Vol. XXII, No. 4, (October 2012), S. 409-420.
- Corey Malcom, Transporting African refugees from Key West to Liberia. In: Florida Keys Sea Heritage Journal. Vol. 19; No. 2. Winter 2008/2009. S. 1, S. 3-6.
- ders., Key West and the Slave Ships of 1860. Paper presented at the 98th Annual Convention of the Association for the Study of African American Life and History, Jacksonville, Florida – October 4, 2013.
- Michael Zeuske, Handbuch der Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin; Boston 2013.
- ders., Schwarze Karibik. Sklaven, Sklavenkultur und Emanzipation. Zürich 2004.