1630 beginnt die niederländische Westindien-Compagnie (WIC) mit einem groß angelegten Eroberungsfeldzug im Nordosten Brasiliens. Vordringliches Ziel der Landungsoperationen mit einem Heer von 7.000 Söldnern: Die Aneignung der größten Zuckeranbaugebiete der Neuen Welt. Mit ihrem Eroberungskrieg im Nordosten der portugiesischen Kolonie will die Westindien-Compagnie den atlantisch-europäischen Zuckermarkt weitgehend unter ihre Kontrolle bringen: von den Zuckerrohrfeldern Pernambucos, über das lukrative Frachtgeschäft bis hin zur Veredelung des Zuckers in den zahlreichen Zuckersiedereien Hollands und Seelands.
Bis 1637 gelingt dem Söldnerheer der Westindien-Compagnie tatsächlich die Inbesitznahme breiter Küstenstreifen im Nordosten Brasiliens. Die Feldzüge sind epochentypisch auf beiden Seiten von großer Grausamkeit geprägt. Bei ihrem Vordringen entlang der Küsten bleibt den Niederländern lediglich der strategisch wichtige Hafenort Salvador im Süden Brasiliens dauerhaft verwehrt.
Die niederländische Westindien-Compagnie in Brasilien
Doch auch das Hinterland der von der ihnen allmählich okkupierten Küstenfortifikationen und Hafenplätze können die Invasoren nur eingeschränkt unter ihre Herrschaft bringen. Immer wieder sehen sich die Niederländer in ihrer „Nieuw Holland“ genannten Kolonie Angriffen einer widerspenstigen portugiesischen Siedlerguerilla ausgesetzt. Effektive Kontrolle über den Zuckerrohranbau im Umland ihrer zentralen Stützpunkte, Recife etwa oder Natal, üben die Niederländer lediglich über ein Netz aus kostspieligen Befestigungsanlagen, Fortbesatzungen, Agenten und indigenen Hilfstruppen aus.
Die Verbindungsmänner der Westindien-Compagnie
Gerade zu den indianischen Verbündeten der WIC halten spezielle Verbindungsmänner der Handelscompagnie weit im Hinterland der Küstenstädte Fühlung. Dabei handelt es sich zumeist um schon längere Zeit in Brasilien weilende Söldner und WIC-Bedienstete. Diese „Liaisonofficiers“ haben mitunter selbst Plantagen im Umland der niederländischen Fortifikationen erworben und besitzen das besondere Vertrauen der Räte in Recife und Mauritsstad, dem Verwaltungszentrum der niederländischen Kolonie in Brasilien.
Nieuw Holland in der Krise
Obgleich sich die Niederländer zeitweilig sogar in den Sklavenjagdzonen der Portugiesen in Angola, auf der anderen Seite des Atlantiks, festsetzen können, bleibt die Westindien-Compagnie im Südatlantikraum, allem voran in der Kolonie Nieuw Holland, permanent unter Druck. Hinterhalte, lokal begrenzte Aufstände, eine siechende brasilianische Zuckerwirtschaft infolge des jahrelangen Dschungel- und Kaperkrieges sowie eine dauerhaft angespannte Finanzsituation drängen die WIC immer mehr in die Defensive.
Aufstand der portugiesischen Siedler in Nieuw Holland
Im Juli 1645 schließlich bricht in der bedeutenden Zuckerkapitanie Pernambuco ein größerer und gut organisierter Aufstand der luso-brasilianische Siedler aus. Rasch breitet sich die Rebellion auch auf andere Distrikte von Nieuw Holland aus; eine mörderische Dschungeloffensive beginnt, die von den Propagandisten beider Seiten geradewegs zum katholisch-calvinistischen Religionskrieg stilisiert wird. Bei der Aufstandsbekämpfung rücken niederländischerseits vor allem die verschiedenen regionalen Allianzen der WIC mit indigenen Gemeinschaften des Küstenvorlandes und der entlegeneren Savannenregionen strategisch ins Zentrum; und mit ihnen auch die zumeist europäischstämmigen Verbindungsmänner der Westindien-Compagnie.
Das Massaker von Cunhaú und Uruaçu, 1645
Im Juli und Oktober 1645 kommt es in zwei Landgemeinden der Kapitanie Rio Grande do Norte nahe der heutigen Küstenmetropole Natal zu zwei folgenschweren Massakern unter der portugiesischen Bevölkerung. Mutmaßlich rund 100 Männer, Frauen und Kinder sollen bei diesen Blutbädern getötet worden sein. Nur ein Teil der Opfer ist namentlich bekannt. Für die Massaker von Cunhaú und Uruaçu am 16. Juli bzw. 3. Oktober 1645 verantwortlich sind Einheiten der Westindien-Compagnie sowie ihre teils Hunderte Mann starken indianischen Verbündeten; unter ihnen insbesondere Angehörige der Tarairiú und Potiguara.
Krieg im brasilianischen Hinterland
Die Einheiten operieren wenige Woche nach Beginn des portugiesischen Siedleraufstandes im Hinterland von Natal und dem niederländischen Fort Ceulen. Formell unterstehen sie den Vertretern der WIC in Natal und Recife, handeln faktisch jedoch auf eigene Rechnung. In Rio Grande do Nortre werden diese Truppen von einem deutschstämmigen Offizier, Jacob Rabe, angeführt. Rabe fungiert seit vielen Jahren als Verbindungsmann der niederländischen Regierung in Recife und örtlichen Indio-Gemeinschaften der Kapitanie; ungeachtet seiner Bindungen an die offiziellen der Vertreter der Westindien-Compagnie in Brasilien agiert Jacob Rabe tatsächlich jedoch wie eine Art lokaler Kriegsherr.
Tarairiú und Potiguara
Gerade mit Beginn des großen Aufstandes von 1645 sehen viele Compagnie-Soldaten die Gelegenheit gekommen, sich am Besitz der portugiesischen Siedler zu bereichern; seitens der Indigenen indes dürften auch Rachegelüste gegenüber den Portugiesen eine Rolle gespielt haben: die Siedlungsgebiete der Tarairiú und Potiguara werden immer wieder von luso-brasilianischen Sklavenjägern heimgesucht. Gerade das Verhältnis zwischen den als besonders kampfstark und grausam geltenden Tarairiú und den lusitanischen Kolonisten gilt in der Ära der „Holländischen Invasion“ Brasiliens als höchst angespannt. Vermutlich auch deshalb, weil sich die portugiesischen Sklavenjagden in den Savannen durch die Eroberungen der Niederländer an der Goldküste und in Angola noch verstärkt haben könnten.
Die Folgen des Massakers von Cunhaú und Uruaçu
Die Nachricht von den brutalen Attacken auf die Zivilbevölkerung in den Gemeinden Cunhaú und Uruaçu verbreitet sich rasch in den Aufstandgebieten der portugiesischen Siedlermilizen; der Widerstandswille der Luso-Brasilianer wird durch die Ereignisse im Hinterland von Natal erwartungsgemäß um ein Weiteres angefacht; zumal unter den Toten auch katholische Geistliche sind. Überdies fand das Massaker von Cunhaú am 16. Juli 1645 während einer Heiligen Messe statt, was den Gläubigen als besonders schändlich gilt.
Antijudaismus
Vermutlich entstehen bereits in dieser Zeit Gerüchte, bei dem Kommandeur der marodierenden WIC-Truppen und ihrer Verbündeten, Jacob Rabe, habe es sich um einen „talmudischen Juden“ gehandelt. Das dem katholischen Antijudaismus der Epoche geschuldete Gerücht ist so bösartig wie falsch. Ungeachtet dessen wird es bis heute in Brasilien kolportiert; zuletzt etwa in der Figur eines deutschen Juden, „Jacob Rabbi“ (sic), in dem brasilianischen Film „Nova Amsterdam“ von 2016. Rabe stammt mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch aus einer protestantischen Familie im Waldeckischen. Bereits rund ein Jahr nach den Massakern von Cunhaú und Uruaçu wird Rabe durch einen Rivalen mit engen familiären Verbindungen in die luso-brasilianische Siedlergemeinschaft ermordet.
Gedenken an die Märtyrer von Cunhaú und Uruaçu
Das Gedenken an die „Märtyrer von Cunhaú und Uruaçu“ (Portugiesisch: „Santos Mártires de Cunhaú e Uruaçú“) erhält sich auch nach dem endgültigen Abzug der niederländischen Westindien-Compagnie im Februar 1654 unter der portugiesisch-katholischen Bevölkerung Brasiliens. Ursächlich hierfür sind insbesondere die zahlreichen Legenden, die sich frühzeitig um die Märtyrer und ihre Glaubenszeugnisse während der Massaker von Cunhaú und Uruaçu ranken. Dies gilt in besonderer Weise für die bei den Blutbädern getöteten Priester.
Seligsprechung durch Johannes Paul II. im Jahre 2000
Durch die katholische Kirche seliggesprochen werden die Toten von Cunhaú und Uruaçu jedoch erst mehr als 350 Jahre später. Die Seligsprechung als Glaubensmärtyrer, in odium fidei („getötet im Hass auf den Glauben“), erfolgt am 5. März 2000 durch Johannes Paul II. (1920-2005) anlässlich der 500-Jahr-Feier der ersten katholischen Messe auf brasilianischen Boden im Jahre 1500.
Pilgerstätte für die Märtyrer von Cunhaú und Uruaçu
Rund neun Monate nach ihrer Seligsprechung wird für die „Santos Mártires de Cunhaú e Uruaçú“ am Ufer des sogenannten „Blutflusses“ (Riacho de Sangue) eine Pilgerstätte eingeweiht. Neben einer Kapelle ziert den Pilgerort heute auch eine Marmorplastik des brasilianischen Künstlers Manxa. Sie zeigt drei während der Massaker von Cunhaú und Uruaçu getötete Personen, die in den Märtyrerlegenden von 1645 eine zentrale Rolle spielen: die beiden Geistlichen André de Soveral und Ambrósio Francisco Ferro sowie der katholische Laie Mateus Moreira.
Schauplatz des zweiten Massakers vom 3. Oktober 1645
Das Flussufer rund 17 Kilometer westlich von Natal gilt als Schauplatz des zweiten Massakers vom 3. Oktober 1645. Vor ihrer Ermordung sollen die am Fluss zusammengetriebenen Männer, Frauen, Jugendlichen und Kinder zum Übertritt zu Calvinismus aufgefordert worden sein, welchem sie sich jedoch standhaft weigerten, wie es in der historischen Überlieferung heißt.
Heiligsprechung der Märtyrer im Oktober 2017
Die Glaubensmärtyrer von Cunhaú und Uruaçu sind nun am 15. Oktober 2017 auf dem Petersplatz in Rom durch Papst Franziskus heiliggesprochen worden. Der Gedenktag im katholischen Heiligenkalender ist der 3. Oktober. Seit 2006 bereits gilt der 3. Oktober als regionaler Feiertag im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Norte.