Start Politik Rastafaris, Antigua und Barbuda: Historische Entschuldigung

Rastafaris, Antigua und Barbuda: Historische Entschuldigung

Rastafari-Siedlung, Shashamane, Äthiopien
"Der Löwe von Judah": Wandgemälde in der Rastafari-Siedlung Shashamane, Äthiopien, mit dem Konterfeis des von den Rastas als Messias verehrten Kaisers von Äthiopien, Haile Selassie I. (1892-1975) und seiner zweiten Frau Menen Asfaw (1889-1962), "Empress Menen". Bildurheber: Rod Waddington; Bild lizenziert unter CC BY-SA 2.0

Historisch einer der radikalsten religio-politischen Protestbewegungen der Karibik blieben die Rastafaris auch nach dem Ende der britischen Herrschaft in Westindien eine diskriminierte Minderheit. Entstanden während der 1930er Jahre in Jamaika, kollidierte ihr afrozentrischer Messianismus jahrzehntelang mit den Selbstverständnissen des postkolonialen, anglo-protestantischen Establishments in der Karibik.

Rastafaris am Rande der Gesellschaft

Strukturelle Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, im Schulwesen und im Öffentlichen Dienst hielten die Rastafaris auch nach dem Beginn der Entkolonialisierung beständig am Rande der Gesellschaft. Bezeichnend für die Diskriminierung der Rastas in den karibischen Gesellschaften der Nachkriegszeit: Regelmäßig schnitt man ihren Kindern an öffentlichen Schulen die berühmten Dreadlocks ab. Ein Sakrileg für jeden Rastafari.

Nicht minder konfliktträchtig gestaltete sich der rituelle Gebrauch des heiligen Marihuana-Krauts der Rastafaris, Ganja. Tief in ihrer täglichen religiösen Praxis verwurzelt, brachte das jahrzehntelang in der Karibik verbotene Betäubungsmittel die Rastafaris in Auseinandersetzungen mit den Polizeibehörden; indes nicht nur in der Inselwelt der Antillen, sondern auch in den Zentren der afrokaribischen Migration, Großbritannien und den USA.

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Rastafaris in der Popkultur

Dessen ungeachtet entwickelten sich die Dreadlocks der Rastafaris und ein esoterisch angehauchter Ganjakrautkonsum ab den 1970er Jahren zum Merkzeichen popkultureller Dissidenz. Namentlich in den Metropolen des Westens; dieser Prozess vollzog sich dort gleichsam im Kielwasser des karibischen Kreuzfahrttouristikbooms und der Reggaewelle jener Jahre. Die bis heute von einigen Rastafari-Gemeinschaften gepflegten homophoben und segregationistischen Tendenzen taten dieser Popularität jedoch keinen Abbruch.

Afrozentrisch-neuisraelitische Landtheologie

Die Kultur der Rastafaris und ihre Verbreitung über Jamaika hinaus war von Beginn an komplexe historische Wanderungs- und Austauschbewegungen geknüpft. In ihren religiösen Vorstellungen verbinden die Rastafaris bis heute die geschichtlichen Erfahrungen der Sklaverei und der nachfolgenden transkontinentalen Arbeitsmigration mit einer afrozentrisch-neuisraelitischen Land- und Heimkehrtheologie.

Bob Marley und der Rasta-Glaube

Dem wohl berühmtesten Rasta der Geschichte, Bob Marley (1945-1981), ermöglichten diese Beziehungsnetze über die Kontinente hinweg eine bis dato wohl einzigartige internationale Popkarriere. In der Folge katapultierten Marleys Songtexte ab Mitte der 1970er Jahre zentrale Begriffe und Bilder der Rastafari-Religiosität von der karibischen Commonwealth-Peripherie in das Herz der globalen Popkultur.

Das 1976 erschienene Album „Exodus“ machte Marley zum Star einer damals als besonders authentisch wahrgenommen Protestsongkultur des globalen Südens. — Legendär in diesem Zusammenhang etwa auch sein Auftritt während der Unabhängigkeitsfeiern in Simbabwe, der vormaligen britischen Siedlerkolonie Rhodesien, im April 1980.

Messias der Rastafaris: Haile Selassie I., Kaiser von Äthiopien

1980, kurz vor seinem Tode, ließ sich Marley jedoch auf den Namen „Behane Selassie“ („Licht der Dreifaltigkeit“) taufen und trat der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche bei, der Heimatkirche des von den Rastafaris traditionell als Messias verehrten Kaisers von Äthiopien, Haile Selassie I. (1892-1975). Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche leugnet jedoch die Messianität Haile Selassies.

Dessen ungeachtet ist Äthiopien bis heute mystischer Sehnsuchtsort der Rastafaris und ideelles Ziel ihrer afro-neuisraelitischen Heimholungstheologie. Seit den 1970er Jahren besteht in Sheshemene, Äthiopien, eine ursprünglich von Jamaikanern gegründete Rastafari-Siedlung. Weltweit geht man von rund einer Millionen Rastafaris aus, die in unterschiedlichen „Häusern“ organisiert sind.

Premier Gaston Browne: Entschuldigung bei Rastafaris

Als erster Regierungschef eines karibischen Staates hat sich nun der Premierminister von Antigua und Barbuda, Gaston Browne, für die jahrzehntelange Unterdrückung und Diskriminierung der Rastafari-Bewegung entschuldigt. In seiner offiziellen Verlautbarung kritisierte Browne dabei ausdrücklich, dass sich die Marginalisierung der Rastafaris auch nach dem Ende der britischen Kolonialzeit fortgesetzt habe.

Der Vorsitzende der Antigua and Barbuda Labour Party war als Kind selbst in einer von Rastafaris geprägten Landgemeinde Antiguas aufgewachsen; regelmäßig hatte er dabei auch von ihren gemeinschaftlichen Speisungen profitiert, wie er in seiner über weite Strecken sehr emotional gefärbten Deklaration bekannte.

Historische Rede vor OAS-Rat in Washington

Dem karibikweit beachteten Statement des Premiers am 1. Mai folgte rund zwei Wochen später eine Erklärung Antiguas und Barbudas vor der Versammlung des Ständigen Rates der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Washington. In dieser kritisierte der Botschafter des Inselstaates bei der OAS und den Vereinigten Staaten, Ronald Sanders, ebenfalls die teils versteckte Diskriminierung der Rastafaris in den karibischen Gesellschaften, ihre soziale Ausgrenzung und Herabwürdigung.

Namens seiner Regierung in St. John’s kündigte der Diplomat eine verstärkte Integration der Rastafaris in den Öffentlichen Dienst des Commonwealth-Mitgliedes an. Die Browne-Regierung wolle hierdurch in Übereinstimmung mit der OAS-Charta für inter-amerikanische Demokratie die völlige Gleichstellung der Rastafari-Gemeinschaft in Antigua und Barbuda vorantreiben.

Marihuana in religiöser Praxis der Rastafaris

Diese affirmative Politik seitens der antiguanischen Labour-Regierung schließe ausdrücklich auch die Verwendung von Marihuana in der täglichen religiösen Praxis der Rastafaris ein, so Sanders vor der OAS. Die zeremonielle Verwendung von Marihuana ist erst seit wenigen Monaten in Antigua und Barbuda erlaubt. Dem Wunsch nach einer vollständigen Legalisierung des Betäubungsmittels, wie von den Rastafaris gefordert, wurde von der Regierung Browne jedoch nicht entsprochen.

Teillegalisierung von Marihuana in der Karibik

Die Regierung des Inselstaates hatte im Februar 2018 als erstes Mitgliedsland der Organisation Ostkaribischer Staaten (OECS), der wichtigsten zwischenstaatlichen Organisation der östlichen Anglo-Karibik, den Besitz geringer Mengen von Marihuana weitgehend straffrei gestellt. Sie folgte damit dem Vorgehen der Regierung von Jamaika. Diese hatte den Konsum von Marihuana für religiöse und medizinische Zwecke sowie den Besitz von Cannabis-Kleinstmengen bereits im April 2015 legalisiert beziehungsweise straffrei gestellt.

Rede des Rasta-Aktivisten Franklyn Francis

Sanders Rede in Washington am 14. Mai schloss sich unmittelbar eine Erklärung des prominenten Rasta-Aktivisten Franklyn Francis, King Frank I., an. Mit Franklyn Francis sprach damit zum ersten Mal auch ein Vertreter der Rastafari-Gemeinschaft vor der intergouvernementalen Vereinigung in Washington. Francis vertrat die Interessen der Rastafaris bereits in einer seit 2015 tätigen antiguanischen Parlamentskommission über die Teilegalisierung von Marihuana. Der antiguanische Rastafari fungiert seit 2017 zudem als Botschafter seines Landes in Äthiopien.

Reparationen für das Verbrechen der Sklaverei

In seiner Rede vor der OAS verknüpfte Francis die jahrzehntelange Diskriminierung der Rastas mit der Notwendigkeit internationaler Reparationsleistungen für die Nachfahren afrikanischer Sklaven in der Karibik und den Amerikas. Rastafari-Organisationen sind seit vielen Jahren entschiedene Befürworter von Reparationsleistungen für das historische Verbrechen der Sklaverei; in der Diktion der Rastafaris und anderer panafrikanischer Aktivisten wird dieses auch als „Maafa“ bezeichnet, was auf Swahili in etwa die „große Katastrophe“ bedeutet.

Medizinisches Ganja: Bevorzugung bei Anbaulizenzen für Rastafari

2004 bereits hatten jamaikanische Rastafaris gefordert, die Emigration von 500.000 Rastas nach Afrika aus einem künftigen, milliardenschweren Reparationsfonds zu finanzieren. Dieser solle, so die Aktivisten, insbesondere von einem der Hauptprofiteure des atlantischen Sklavenhandels, Großbritannien, aufgebracht werden. Inzwischen ist auch eine Kommission der von ehemaligen Empire-Kolonien dominierten CARICOM mit der Frage von Reparationsleistungen befasst.

Auch die Regierung Browne hatte das in der Karibik bis heute viel diskutierte Schlagwort in ihrem Statement zum 1. Mai zumindest indirekt aufgegriffen und erklärt: Die bevorzugte Vergabe von Lizenzen für den Anbau von Marihuana für medizinische Zwecke an die Rastafaris des Landes sei auch als Entschädigung (reperation) für die historische Ausgrenzung der religiösen Bewegung zu verstehen.

Wachsender Weltmarkt für medizinisches Cannabis

Jenseits dieser symbolpolitischen Dimension erhoffen sich Regierung und Bevölkerung von Antigua und Barbuda von der Teillegalisierung des Ganjakrauts zweifelsohne auch Anteil am stetig wachsenden Weltmarkt für medizinisches Cannabis. Da zuletzt immer mehr Länder die medizinische Verwendung von Marihuana straffrei gestellt haben, wird sich der globale Bedarf nach Anbaubauflächen für die vielseitige Hanfpflanze weiter verstärkten.

Allein in Europa und Nordamerika wird der Markt für medizinisches Cannabis bis 2025 auf 55,8 Milliarden US-Dollar steigen, so eine Analyse des Marktforschungsinstituts Grand View Research. Ursprünglich durch indische Kontraktarbeiter ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die Karibik eingeführt, war Marihuana 1913 im Rahmen einer weltweiten Prohibitionswelle auch in Britisch-Westindien verboten worden.

Sozialprogramme für Rastas in Antigua und Barbuda

Das erklärte Ende der Diskriminierung der antiguanischen Rastafaris soll sich jedoch nicht allein auf die privilegierte Vergabe von Anbaulizenzen für medizinisches Marihuana beschränken: Die Regierung Antiguas und Barbudas will die wirtschaftlich schwachen Landgemeinden, in welchen Rastafaris wohnen, außerdem mit einer Reihe von Sozialprogrammen fördern. Viele dieser Kommunen sind teils noch heute ohne Anschluss an das öffentliche Strom- und Wassernetz. Zudem soll das örtliche Schulwesen in den Gemeinden weiter verbessert werden.

2016 lag die Arbeitslosenrate für Antigua und Barbuda bei 14,1 %. Die Wirtschaft des rund 100.000 Einwohner zählenden Landes ist im besonderen Maße vom Tourismus abhängig. 2017 wurde ein Großteil Barbudas durch den Hurrikan „Irma“ zerstört.

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