Start Archäologie Paläoindianer: neue Funde an Yucatáns Karibikküste

Paläoindianer: neue Funde an Yucatáns Karibikküste

Höhlentaucher in der Unterwasserhöhle Chan Hol, Tulum an Yucatáns Karibikküste. Photo by Eugenio Acevez.

Südlich von Cancún, entlang der Karibikküste Yucatáns, erstreckt sich eines der größten Höhlensysteme der Erde. Die geheimnisvolle Unterwelt im Gebiet um die alte Maya-Stätte Tulum ist seit Jahrtausenden von Meer und Regenwasser überflutet und bildet ein verwirrendes Labyrinth aus dunklen Tunneln, Gängen und Höhlen. Einstiegspunkte in das riesige Unterwasserhöhlensystem an der Riviera Maya bilden wassergefüllte Dolinen (Cenotes); seenartige Sinklöcher, die einst durch eingestürzte Höhlendecken entstanden. Bisher sind lediglich 1.500 Kilometer dieser, bis weit ins Hinterland reichenden Kavernensysteme erforscht.

Paläoindianische Kultur an Yucatáns Karibikküste

Vor etwa 8.000 Jahren versank dieses hoch über dem damaligen Meeresspiegel thronende Höhlensystem in den Fluten. Bis dahin hatten Gemeinschaften paläoindianischer Jäger und Sammler am Ende der Eiszeit die trockenen Karsthöhlen regelmäßig als Zufluchts- und Lagerstätten genutzt; in tiefer gelegenen Arealen möglicherweise auch als Begräbnisplätze. Seit mehreren Jahren erforschen nun Höhlentaucher das unterirdische System. Dabei stoßen sie an Yucatáns Karibikküste immer wieder auf Spuren einer bislang unbekannten paläoindianischen Kultur, die seit einigen Jahren neuartige Erkenntnisse über die Klima- und Besiedlungsgeschichte der Halbinsel liefern. Neben Überresten prähistorischer Lagerplätze und Feuerstellen fanden Forscher in dem gefluteten Höhlenlabyrinth auch paläoindianische Skelette.

Cenote Chan Hol: paläoindianische Skelettfunde

Als besonders lohnend für die Forschung erwies sich in der Vergangenheit dabei die Chan-Hol-Höhle 15 km südwestlich von Tulum. Von den insgesamt 10 paläoindianischen Skelettfunden an Yucatáns Karibikküste stammten drei aus den Kavernen unterhalb der Doline Chan Hol. Sie wurden im Abstand von mehreren Hundert Metern südlich des Sinklochs Chan Hol gemacht. Der letzte Skelettfund mit dem Namen Chan Hol 3 erfolgte im September 2016 mehr als einem Kilometer von dem Cenote entfernt. Etwa 30 % des Skeletts konnten in der Unterwasserhöhle geborgen werden.

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Internationales Forscherteam untersucht Höhlensysteme an Karibikküste Yucatáns

Das schwer zugängliche Höhlenareal von Chan Hol liegt 13 Meter unter dem heutigen Meeresspiegel und wird seit einigen Jahren durch ein internationales Forscherteam unter Federführung des Instituts für Geowissenschaften an der Universität Heidelberg untersucht. Als wissenschaftlicher Leiter des Projekts fungiert der Heidelberger Paläontologe und Geologe Prof. Dr. Wolfgang Stinnesbeck. Das Team um Prof. Dr. Wolfgang Stinnesbeck hat im Februar nun in der Fachzeitschrift „PLOS ONE“ die Ergebnisse seiner Untersuchung von Chan Hol 3 veröffentlicht.

Skelett einer 30 Jahre alten Frau von der mexikanischen Karibikküste

Die aus mexikanischen, deutschen und britischen Wissenschaftlern bestehende Forschgruppe um Wolfgang Stinnesbeck identifizierte Chan Hol 3 als Skelett einer etwa 30 Jahre alten Frau. Die Knochen könnten mindestens 9.900 Jahre alt sein. Zeitlebens erlitt die Frau drei schwere Schädeltrauma, die jedoch allesamt nicht als Todesursache identifiziert wurden. Ferner fanden die Wissenschaftler Hinweise auf eine Bakterieninfektion im Kopfbereich, die vermutlich durch eine Schädelverletzung ausgelöst wurde. Es ist unklar, ob die Frau in Chan Hol starb oder nach einem Begräbnisritual dort zurückgelassen wurde.

Kraniometrische Untersuchungen und Vergleiche

Aufschlussreich waren insbesondere kraniometrische Untersuchungen des Schädels und ein Vergleich desselben mit 452 Schädeln aus Nord- und Südamerika, darunter auch die erwähnten neun weiteren prähistorischen Krania aus den Höhlen von Tulum; neben Chan Hol 1 und 2 unter anderem auch die sogenannte „Frau von Las Palmas“; ihr Skelett konnte in 36 m Tiefe im benachbarten Höhlensystem von Naharon vollständig geborgen werden. Chan Hol 3 weist demnach ebenso wie die anderen neun Schädel aus der Region spezifische Schädelmerkmale auf, die sie insbesondere von zentralmexikanischen Kraniafunden aus der Zeit des Übergangs vom Jungpleistozän zum Altholozän unterscheiden lassen.

Tulum-Skelette: neue Erkenntnisse zur prähistorischen Siedlungsgeschichte Amerikas

Die spezifisch rundköpfige Schädelmorphologie der Chan-Hol-Skelette liefert interessante Erkenntnisse über die prähistorische Siedlungsgeschichte Amerikas, so die Forscher in ihrer Studie. Zur Erklärung der schädelmorphologischen Unterschiede führen die Wissenschaftler demnach zwei Möglichkeiten an:

  1. auf der Halbinsel Yucatán lebte über einen längeren Zeitraum eine weitgehend isolierte Gruppe von Siedlern, welche jene spezifisch mesozephalen, also rundköpfigen Schädelmerkmale ausbildete — als Teil eines mikro-evolutionären Prozesses; oder:
  2. die schädelmorphologischen Unterschiede könnten darauf hindeuten, dass mehrere von einander unabhängige Gruppen den nordamerikanischen Kontinent erreichten und besiedelten; wobei die geografische Herkunft dieser Gruppe noch ungeklärt bleiben muss.

Andere Ernährungsweisen und Subsistenzstrategien an Yucatáns Karibikküste

Diesen Überlegungen entspricht auch ein weiterer wichtiger Befund von Chan Hol 3 und den anderen Tulum-Skeletten: Sie alle weisen Spuren von Karies auf, im Gegensatz zu vergleichbaren Schädelfunden in Zentralmexiko und Nordamerika. Dies deutet gleichermaßen auf andersgeartete Ernährungsweisen, respektive Subsistenzstrategien dieser offenbar hochmobilen Gruppe an Yucatáns Karibikküste. Die prähistorische Besiedlungsgeschichte Amerikas könnte somit weitaus komplexer gewesen und auch zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt sein, als bislang angenommen, so zwei weitere an der Studie beteiligte Forscher, Prof. Dr. Silvia Gonzalez und Dr. Sam Rennie von der Liverpool John Moores University, in einer Mitteilung der Universität Heidelberg.

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