In der Riege der niederländischen Piraten der Karibik gilt Roche Braziliano („Rock de Brasiliaen“) als der Grausamste. — So will es zumindest die Legende. Bei Alkoholexzessen in den Tavernen und Gassen von Port Royal soll der berüchtigte Freibeuterkapitän regelmäßig Kumpane und Passanten brutal attackiert haben. Zuweilen schießt “Rock“ nächtens gar wild um sich; und wer mit Roche Braziliano partout nicht trinken will, lebt in den Schankhäusern des Hafenviertels mit klingenden Namen wie „The Three Tuns“ oder „The Sign of Bacchus“ besonders gefährlich. Saufgelage unter Roches Beteiligung geraten offenbar regelmäßig außer Kontrolle. Der Alkoholmissbrauch unter den Seeräubern ist massiv; Bier und Wein werden bei derlei Ausschweifungen gleich fassweise — herbeigerollt.
Folterung spanischer Kolonisten?
Ungleich gefährlicher erscheint allein eine Begegnung mit Roche Braziliano fernab des verrufenen Bukanierhafens von Jamaika: Bei seinen Raubzügen nach den Küsten Mexikos soll der Seeräuberkapitän bisweilen auch spanische Kolonisten gefoltert haben; mit unversöhnlichem Hass einstmals gar einen solchen Spaniarden, einem Spanferkel gleich, an einem Fleischspieß aufgehängt, damit jener endlich die versteckten Triften lokaler Weideschweine preisgäbe. So behauptet es zumindest makaber-effekthascherisch Alexandre Olivier Exquemelin, wichtigster Chronist und literarischer Kronzeuge des „Brasilianers“.
Der Seeräuberchronist Alexandre Olivier Exquemelin
Der mutmaßlich hugenottische Schiffschirurgo Alexandre Olivier Exquemelin gelangt 1666 erstmalig in die Karibik und verdingt sich zunächst als Vertragsknecht auf der verrufenen Seeräuberinsel Tortuga. Unter diversen Raubfahrerkapitänen dient Exquemelin schließlich als Wundarzt in Westindien. Exquemelin kehrt einige Jahre später nach Europa zurück und lässt dort 1678 in Amsterdam eine berüchtigte Piratenrelation drucken: „De Americaenschen Zee-Rover“. Geziert mit reichlich grimmigen Bukanierporträts sind die „Americaenschen Zee-Rover“ die wohl berühmteste Sammlung von Seeräubergeschichten aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Roche Braziliano und seine „Mackers“ an der Küste von Campeche
Eines der Kupferstiche in den „Americaenschen Zee-Rovern“ zeigt auch das angebliche Konterfei Roche Brazilianos: Während Roche Brazilianos entschlossener Blick unmittelbar dem Betrachter zugewandt ist, verweist der Bildhintergrund auf ein durch Exquemelin offenbar literarisch überzeichnetes Freibeuterunternehmen des Bukanierkapitäns in Mexiko. — Bei Exquemelin heißt es hierzu, Roche Braziliano habe mit seinen „Mackers“ an der Küste von Campeche einstmals eine komplette spanische Reiterschwadron ausgeschaltet. Nach einem Schiffbruch nahe der neuspanischen Hafensiedlung Campeche sei dem rund 30 Seeräuber umfassenden Trupp durch berittene Milizen nachgesetzt worden; anstelle einer weiteren Flucht nach den Holzfäller- und Kaperstützpunkten der Bukaniere um die Laguna de Términos habe Roche Brasiliano seine darbende Mannschaft schließlich zu einem waghalsigen Hinterhalt motivieren können, so Exquemelin.
Feuergefecht mit kolonialspanischen Reitermilizionären
Nach einem einstündigen Feuergefecht kann die kolonialspanische Kavallerie schließlich in die Flucht geschlagen werden; im Felde zurückgelassene und sterbende Spanier werden von den Seeräubern kurzerhand mit den Kolben ihrer Musketen erschlagen, heißt es lapidar bei Exquemelin. Im weiteren Verlauf ihres Zuges auf der Halbinsel Yucatán können sich die Seeräuber unter Brazilianos Kommando eines Küstenseglers bemächtigen und wieder in See stechen. Im Golf von Mexiko machen sie schließlich doch noch reiche Beute, als sie ein spanisches Handelsschiff kapern können. Zurück auf Jamaika wird das üppige Prisengeld des Seebeutertrupps binnen Kurzem in den Krügen und Bordellen von Port Royal durchgebracht, so der Piratenchronist Exquemelin geflissentlich.
Roche Braziliano in einem spanischen Verlies
Weit weniger glimpflich entwickelt sich zunächst Roche Brazilianos zweites, von Exquemelin beschriebene Wagestück: Während eines neuerlichen Kaperzuges vor der Küste von Campeche geraten Roche Braziliano und seine „Mackers“ unversehens in spanische Gefangenschaft. Von den spanischen Behörden samt und sonders als Piraten und Häretiker betrachtet und sogleich eingekerkert, droht Roche und seiner Crew nun unmittelbar die Todesstrafe. Den Galgenhügel bereits vor Augen schreibt Roche Braziliano nun unverrichteter Dinge an den örtlichen Gouverneur, heißt es bei dem schriftstellernden Wundarzt aus der Normandie.
Drohschreiben aus dem Kerker
Dem von Braziliano verfassten Brief scheint es an verwegenem Selbstbewusstsein offenbar nicht zu mangeln, so will es zumindest Exquemelin Raubfahrerchronik glauben machen; offen droht Roche in seinem Schreiben, seine Seeräuberkumpane auf Jamaika und andernorts würden bittere Rache an den spanischen Küstenbewohnern nehmen, sollten Braziliano und seine Männer tatsächlich exekutiert werden. Das Drohschreiben aus dem Kerker erzielt nach Exquemelin die erhoffte Wirkung: Roche und seine Mannschaft werden aus Mexiko verbannt und mit dem nächsten spanischen Schiff nach Cádiz verfrachtet; unter der Maßgabe, der Seeräuberei fortan abzuschwören. — Tatsächlich kehren die Seeräuber alsbald jedoch in die Karibik zurück, heißt es bei Exquemelin lakonisch.
Legenden und Geschichten über „Rock de Brasiliaen“
— Ein Seeräuberkapitän, der im kargen Dickicht der Halbinsel Yucatán einen spektakulären Hinterhalt gegen 100 Reitermilizionäre befehligt; ein Bukanierbaas, dessen Kaperzüge ihn und seine Mannen an beinahe alle Küsten der Karibik führen; ein Anführer, der sich mit geradezu irritierendem Selbstvertrauen auch noch aus spanischen Verliessen zu schreiben vermag; der, wenn nötig, unbeschränkte Grausamkeit gegen seine Opfer walten lässt. — Wer war dieser Mann nun wirklich, den Exquemelin in seiner reißerischen Charakterskizze dem Leser als „Rock de Brasiliaen“ präsentiert? — Gewiss scheint zunächst nur, dass Exquemelins pointenreiche und anekdotenhafte Geschichten über den „Brasilianer“ wie gemacht sind für mitternächtliche Prahlereien über dunklen, schweren Portweinen in den Trinkhäusern von Port Royal. Dies gilt womöglich auch für Exquemelins Brief-Episode, deren Kern möglicherweise eine nicht ungewöhnliche Politik der Spanier beschreibt, gefangene Piraten zunächst in Amerika oder auf der Península zu karzerieren, um sie bei Bedarf mit spanische Kolonisten oder Seeleuten auszutauschen. Gleiwohl: Bei aller gebotenen Skepsis sind Exquemelins unzweifelhaft literarisierten Darstellungen in den „Americaenschen Zee-Roovers“ nicht allein als Seemannsgarn zu betrachten.
Brasilien-Kolonist oder Pernambuco-Veteran?
Hinter der legendarischen Gestalt des Exquemelin’schen Roche Braziliano könnte sich tatsächlich ein ursprünglich aus Groningen stammender Brasilien-Kolonist oder Pernambuco-Veteran verbergen. Exquemelin nennt keinerlei nähere Details, wohl aber Groningen als Geburtsort und einen offenbar langjährigen Aufenthalt Roches im Lande „Brasil“. Der Nordosten der portugiesischen Kolonie mit seinen reichen Zuckeranbaugebieten, allem voran der Kapitanie Pernambuco und dem Hafenzentrum Recife, ist zwischen 1630 und 1654 unter der Kontrolle der niederländischen Westindien-Compagnie (WIC). Die Handels- und Kaperkriegsgesellschaft entsendet in dieser Zeit Tausende Soldaten, Kontoristen, Handwerker und Siedler aus Europa in die neu eroberten brasilianischen Kapitanien zwischen Salvador da Bahia und dem heutigen São Luís do Maranhão.
„Rock, der Brasilianer“
Es ist denkbar, dass Roche Braziliano bereits als Kind aus den Vereinigten Provinzen nach Südamerika gelangte; spätestens Mitte der 1650er Jahre, nach dem Rückzug der Niederländer aus Nordostbrasilien, muss Roche Braziliano die lusitanischen Zuckerkapitanien am Atlantik jedoch wieder verlassen haben. Sein Kampfname könnte als Hinweis auf ausgeprägte sprachlich-kulturelle Kompetenzen gedeutet werden, die er in Brasilien erwirbt und die ihn von anderen Freibeutern aus der Region zwischen Ärmelkanal und Nordsee deutlicher unterscheiden lassen. Denkbar ist in diesem Zusammenhang auch die Betonung einer Art kreolischen Selbstidentifikation, Inszenierung oder Fremdzuschreibung Roche Brazilianos gegenüber in Europa aufgewachsenen See- und Beutefahrern.
Bukaniere: Seeräuber der Karibik
Die Welt der karibischen Bukaniere entsteht in ihren Grundstrukturen bereits Anfang des 17. Jahrhunderts, insbesondere entlang der Nordküste Hispaniolas. In abgelegenen Küstenstreusiedlungen formiert sich aus entflohenen Sklaven — späterhin auch Vertragsknechten -, marodierenden Seeleuten und Soldaten europäischer, indigener und afrikanischer Provenienz allmählich eine hochangepasste, kreolische Frontierkultur von Jägern, Fischern und Küstenpiraten. Durch die Etablierung festerer, nicht-spanischer Stützpunkte auf Tortuga, Jamaika und Hispaniola (Petit-Goâve) können sich diese Gruppen etwa ab den 1630er Jahren in stabilere Tauschhandels-, Schmuggel- sowie Migrationssysteme des Antillen- und Atlantikraums integrieren. Dabei kommt es vermutlich zu einer Verbindung jener kreolisierten Küstenbukaniere mit einem stärker atlantisch ausgerichtetem Hafenfreibeutertum, das unmittelbarer mit den neuen lokalen Kolonialadministrationen verbunden ist; oder diese zumindest effektiv korrumpieren kann.
Kaperbriefe aus Port Royal und Tortuga
Die regelmäßigen Kontakte insbesondere nach Tortuga und Port Royal markieren ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sodann einen Übergang von echter Küstenpiraterie zu einem staatlich-kommissionierten Freibeutertum; namentlich englische und französische Marke- und Repressalienbriefe, zumeist gegen die spanische Schifffahrt, sichern die Kaperfahrten der Seeräuber zumindest formalrechtlich ab; insbesondere ermöglichen diese Kaperkommissionen jedoch den regelmäßigen Verkauf von Bukanierprisen in Port Royal und Tortuga. In Verbindung mit dieser Verrechtlichung eines karibikweiten Beutefahrersystems und dem beständigen Zugang zu sicheren Versorgungs- und Rekrutierungsräumen, erhöht sich die Kampfkraft der Bukaniere und erweitert sich in der Folge auch ihr maritimer Aktionsradius. Gerade die jagderfahrenen Küstenbukaniere Hispaniolas gelten als besonders kampfstark. 1670 etwa werden Einheiten von hispaniolischen Bukanieren als Scharfschützen vor den Mauern von Ciudad de Panamá (Panamá Viejo) eingesetzt.
Bukaniere als informelle Marinemiliz Westindiens
Ihre Kampferfahrung und ihre vielberüchtigte Brutalität empfehlen sie geradezu als eine Art informeller Marinemiliz der nordwesteuropäischen Kolonialmächte in Amerika. Zumeist treten die Bukaniere in die Dienste englischer und französischer Kolonialadministrationen. Höhepunkt dieser Entwicklung bildet die Beteiligung von Bukanierschiffen und Landungseinheiten in den europäisch-amerikanischen Seekriegen der 1660er und 1670er Jahre. Dies bringt die Bukaniere schließlich unmittelbar auch an die Küsten Neuspaniens, Kubas und der Tierra Firme — mit katastrophalen Folgen für seine Bewohner.
„Garrett Garretson alias Rocky“?
Zum Zeitpunkt der Abfassung des Zee-Roover-Manuskripts, ab der zweiten Hälfte der 1670er Jahre, soll der Bukanierkapitän Roche Braziliano noch am Leben gewesen sein. — „[…] Een […] Rover die tegenwoordig nog op Jamaica woond“, lässt Exquemelin seine niederländischen Leser wissen, als er seine Roche-Braziliano-Geschichten einleitet. — Der kanadische Historiker David F. Marley identifiziert Roche Braziliano sehr unmittelbar mit einem mutmaßlich niederländischen Seeräuberkapitän namens Gerrit Gerritszoon. Dieser begegnet offenbar in mehreren englischen Quellen mit Bezug auf die Raub- und Kaperzüge jamaikanisch-westindischer Bukaniere ab den 1660er Jahren; wiewohl in einer anglisierten Namensversion: „Garrett Garretson“. Ein Schiffsführer namens „Garrett Garretson alias Rocky“ wird etwa in Protokollen der kolonialenglischen Justiz auf Jamaika genannt.
„Roca, der Felsen“
Die jamaikanisch-westindischen Verhörniederschriften, die im 19. Jahrhundert erstmalig für das britische Public Record Office kompiliert wurden, erwähnen jenen „Garrett Garretson alias Rocky“ im Zusammenhang mit Verfolgungsjagden und Kanonaden gegen spanische Küstenpatrouillen und Freibeuter vor Kuba; und zwar für die Zeit um das Jahr 1665. Der Beiname „Rocky“ könnte vom spanischen „Roque“ („Rochus“ respektive „roca“, der Felsen) stammen. Er fügt sich somit exzellent in Exquemelins Erzählungen von den Gewaltstücken eines unbeugsamen Kaperkapitäns, der mit seinen „Mackers“ selbst gegen eine Übermacht neuspanischer Caballeros besteht.
Der Bukanierkapitän Garrett Garretson/Gerrit Gerritszoon
Folgt man der Identifikation Roches Braziliano mit Garrett Garretson/Gerrit Gerritszoon enthüllen sich in englischen Archiven offenbar bei Exquemelin nicht näher beschriebene Details aus der mutmaßlichen Seeräuberkarriere seines ominösen Groninger Bukanierbaas‘: Demnach wäre Roche etwa bis Mitte der 1660er Jahre zum Kapitän eines eigenen Kaperschiffs aufgestiegen. Dieses Avancement vollzieht sich offenbar in den Jahren zuvor während Braziliano an mehreren englisch-kommissionierten Plünderungs- und Kaperoperationen nach den Küsten Campeches beteiligt ist; anfänglich nur als einfacher Seemann. Zeitweilig geht er auf Fahrt mit dem niederländischen „Zee-Rover“ Adriaen van Diemen Swart, der späterhin in spanische Dienste wechseln wird. Im März 1663 könnte er Zeuge eines gescheiterten Proviantierungszuges jamaikanischer Seeräuber im Südosten Kubas gewesen sein, welcher jedoch größtenteils durch spanische Milizen aufgerieben wird. 1665 sähe man ihn dann bereits als Kapitän seines eigenen Schiffes, welches während des Zweiten niederländisch-englischen Seekrieges (1663-1667) bei der Eroberung der WIC-Besitzungen Sint Eustatius‘ und Sabas beteiligt ist.
Raubzüge nach Nicaragua und Panama
Ein wichtiger Schritt in Brazilianos Bukanierlaufbahn ist der 1668 erfolgende Erwerb einer Brigantine aus dem Besitz des französischen Seeräubers Jean-David Nau, alias François l’Olonnais, einem als besonders grausam geltenden Tortuga-Boucanier. Der Kauf des Seglers qualifiziert Braziliano nun zu größeren Beutefahreraktionen und gleicherweise erhöhter Schlagkraft, welche ihn schließlich auch in den Besitz eines zweiten Schiffes bringt. 1668 ist er mit dem Niederländer Jelles de Lecat (Kampfname: „Yellahs“) als erstem Offizier an Angriffen auf die Moskitoküste (Nicaragua) sowie gemeinsam mit dem legendären englischen Freibeuterkapitän Henry Morgan (um 1635-1688) an einem Zug auf Portobelo (Panama) und schließlich Cumaná beteiligt; das venezolanische Küstengebiet bei Cumaná ist bereits um 1600 Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen mit niederländischen Handelskorsaren, Salz- und Schleichfahrern.
Havarie an der Küste Yucatáns 1669
Im Dezember 1669 könnte es tatsächlich zu dem bei Exquemelin beschriebenen Gefecht mit spanischen Reitermilizionären gekommen sein: Demnach wäre Roche Braziliano, alias Gerrit Gerritszoon, in jenem Jahr neuerlich mit einer überwiegend niederländischen Mannschaft an Kaperfahrten entlang der Halbinsel Yucatán zwischen den Raubfahrerstützpunkten an der Laguna de Términos (Triste) und Campeche beteiligt gewesen. Bei Gefechten mit spanischen Küstenpatrouillen wäre sein Flaggschiff offenbar havariert und die gestrandete Mannschaft östlich des heutigen Progreso durch spanische Kavalleristen aus Merida attackiert worden. Roche Braziliano und seine Spießgesellen seien dann aber glücklich durch den vor der Küste kreuzenden Jelles de Lecat gerettet worden und nach Jamaika zurückgekehrt.
Roche Braziliano und Henry Morgan in Panama 1670/71
Letztmalig begegnet Roche Braziliano, alias Gerrit Gerritszoon, nach dieser Lesart 1670/71 im Zusammenhang mit einem neuerlichen Angriff unter Henry Morgan auf eine Schlüsselposition des spanischen Imperiums in Amerika, dem Isthmus von Panama, welcher die Karibische See vom Südmeer, dem Pazifik, trennt. Über die Landenge verläuft die wichtigste Edelmetallroute des spanischen Weltreichs. Ihre Beherrschung ermöglicht insbesondere Zugriff auf die reichen Silbervorkommen Perus. An der Operation gegen Panama sind neben englischen Freibeuterkapitänen auch der seeländische Beutefahrer Jan Erasmus Reyning sowie erneut Jelles de Lecat beteiligt.
Alexandre Olivier Exquemelin und Roche Braziliano
Nach erfolgreichen Angriffen auf den ehemaligen englisch-puritanischen Kaperstützpunkt Providence Island vor der mittelamerikanischen Küste — spanisch seit 1641 – und der Karibikküstenfestung San Lorenzo am Rio Chargres stoßen die jamaikanischen Bukaniere durch den Urwald Panamas nach dem spanischen Pazifikhafen Ciudad de Panamá vor. Braziliano-Gerritszoon soll gemeinsam mit Lecat bei dem Angriff auf das spanische Kastell an der Karibikküste verwundet worden sein; einige Zeit später ist er jedoch an dem entbehrungsreichen Zug auf Ciudad de Panamá beteiligt. Auch Alexandre Olivier Exquemelin nimmt als Schiffsarzt und Feldscher unter Henry Morgan an der Kampagne gegen Ciudad de Panamá teil; seine amerikanische Seeräuberrelation enthält also zweifelsohne auch Augenzeugenberichte. Im Zusammenhang mit Morgans Panama-Zug wäre eine persönliche Begegnung mit Roche Braziliano nicht unwahrscheinlich. Seine offenkundig stilisierte und legendarische Darstellung des Roche Braziliano könnte aber als Hinweis gedeutet werden, dass er mit ihm nicht näher vertraut war.
Das schleichende Ende der Bukaniere von Jamaika
Sofern Roche Braziliano tatsächlich mit Gerritszoon identisch ist, verliert sich dessen Spur nach 1670/71. Das Jahr 1670 markiert bereits einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der jamaikanischen Bukaniere: Ein in jenem Jahr vereinbarter Friedensvertrag zwischen Spanien und England widerruft formal alle bisherigen Kaper-, Marke- und Repressalienbriefe der Bukaniere im englischen Machtbereich. Jegliche offene oder versteckte Unterstützung von westindischen Beutefahrern soll die Kolonialverwaltung der „English Caribbees“ und Jamaikas umgehend einstellen. Im Gegenzug anerkennt das in London geschlossene Abkommen erstmalig die territorialen Handelsmonopole und Besitzungen der Engländer in Westindien. Jamaikas Gouverneure bewegen sich fortan also auf schwierigem rechtlichen Terrain. Henry Morgans Bukanierarmee versegelt 1670 bereits gegen ein ausdrückliches Verbot des Gouverneurs von Jamaika in Richtung Panama. Das hat Folgen für den Bukanierkapitän: Nach seiner Rückkehr nach Port Royal wird Morgan deshalb sogar gefangen gesetzt; wenn auch nur vorübergehend.
An einem niederländischen Bukanierbaas, Peter Johnson/Pieter Janszoon, statuieren die jamaikanischen Behörden indes ein ungleich grausameres Exempel: der Piratenkapitän wird 1672 von einer Jury zunächst freigesprochen, nach skandalträchtiger Usurpation des Gerichts durch den amtierenden Gouverneur dennoch zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Exekution ist 1672 zwar eine unmissverständliche Drohung; doch Port Royals Hafenwirtschaft, seine korrupten Beamten und kriegsgeplagten Gouverneure bleiben noch lange Zeit auf die Dienste der karibischen Seesöldner und Kaperkaufleute angewiesen. Erst ab den 1680er Jahren beginnen die Repräsentanten der englischen Krone auf Jamaika eine dezidiert antipiratische Politik.
Vom Seeräubernest zur Zuckerkolonie
Obgleich das im Frieden von London vereinbarte Vorgehen gegen die Bukaniere zunächst also eher halbherzig erfolgt, könnte sich Roche Braziliano bereits in dieser Zeit aus dem karibischen Kapergeschäft zurückgezogen haben. Längst haben sich weit weniger gefährliche, aber nicht weniger einträgliche Wirtschaftsformen auf Jamaika etabliert. An die Stelle der jahrzehntelang so bedeutenden Prisenökonomie der Bukaniere tritt während der 1670er Jahre nun immer stärker eine prosperierende Plantagen- und Sklavenwirtschaft; diese verlegt sich auf Jamaika insbesondere auf den Anbau von und den Handel mit Zucker.
Roche Braziliano kämpft mit den Haien
Ende der 1680er Jahre scheint die legendarische Gestalt des berüchtigten Seeräubers Roche Braziliano jedoch nicht gänzlich vergessen. Dem anglo-schottischen Naturwissenschaftler Hans Sloane (1660-1753), der 1687 als Leibarzt des seinerzeitigen Gouverneurs von Jamaika, Christopher Monck (1653-1688), auf die Antilleninsel kommt, wird über die vor den Küsten Jamaikas jagenden Haie berichtet: ein Freibeuter namens „Rockey“ sei regelmäßig an diesen Gestaden in das Meer gestiegen und habe dort mit den Haien gekämpft. — Ob mit bloßen Fäusten, einer Harpune oder dem Degen ist nicht überliefert.