Start Biologie Guadeloupe: Massives Artensterben ab dem 17. Jahrhundert

Guadeloupe: Massives Artensterben ab dem 17. Jahrhundert

Marie-Galante Studie Massensterben Kolonisation Guadeloupe
Ausgrabungen fossiler Überreste in der „Grotte Blanchard“auf Marie-Galante im Guadeloupe-Archipel. Die auf Marie-Galante entdeckten Squamatenfossilien lieferten als einzige sowohl pleistozäne als auch frühholozäne Fossildaten für die Guadeloupe-Studie der Jenaer Archäologen Corentin Bochaton und Prof. Nicole Boivin. Credit: Arnaud Lenoble

1635 gründen französische Siedler auf Basse-Terre im Guadeloupe-Archipel eine Tabakpflanzerkolonie. Die Agrarsiedlung steht formal unter der Ägide der „Compagnie des Îles d’Amérique“; Anteilseigner und wichtigster Förderer der kolonialmerkantilistischen Handelsorganisation ist der berüchtigte französische Staatsmann und Kardinal Richelieu. Die Ansiedlung steht zunächst in enger Beziehung mit der nahe gelegenen Kolonie auf der „Île Saint-Christophe“ (St. Kitts) sowie mit dem benachbartem Martinique, das ebenfalls 1635 in Compagnie-Besitz genommen wird. Bereits 1648 erfolgt ein Ausgriff nach dem südlichen Teil des Guadeloupe-Archipels, den Inseln Marie-Galante und La Désirade. Die Compagnie-Siedler stammen vielfach aus der der Bretagne und der Normandie; ein beträchtlicher Teil von ihnen wurde als Vertragsknechte, als sogenannte „Engagés“, angeworben.

Guadeloupe-Archipel: Verdrängung der indigenen Karibenbevölkerung

Die indigene Karibenbevölkerung der Region hingegen muss in den ersten Jahren des Bestehens der Richelieu‘schen Ansiedlung vor der Übermacht der Compagnie und ihrer „Colons“ weichen, leistet jedoch erbitterten Widerstand. 1660 kommt es auf Guadeloupe nach jahrelangen, blutigen Auseinandersetzungen zu einer Friedensvereinbarung mit den verbliebenen „Caraïbes“. — Im Guadeloupe-Archipel und auf seinen Nachbarinseln sind die Kariben durch Krieg und Krankheiten inzwischen jedoch weitgehend dezimiert. Unter dem Ansturm französischer, englischer und niederländischer Kolonisationsunternehmungen wird der größere Teil von ihnen zuletzt immer weiter verdrängt. Im 18. Jahrhundert bestehen noch bedeutende indigene Refugien in den bergigen Zentralregionen der größeren Antilleninseln weiter südlich, etwa auf Dominica oder St. Vincent. Auf den Küstenforts bis hinab zum südlichen Ende der Antillenkette, auf Grenada, wehen längst die blauweißen Banner der Bourbonenkönige. Bis 1763 kann Frankreich formal seine Position im Zentrum der „Îles du Vent“, der Region zwischen Guadeloupe und Grenada, halten.

Zuckerrohr: agrarwirtschaftlicher Raubbau auf Guadeloupe

Im Guadeloupe-Archipel expandieren die Kolonisten indessen immer weiter in das Innere der Hauptinseln Basse-Terre und Grand-Terre. In der Folge werden diese Gebiete für neue Pflanzungen, Küchengärten und Viehweiden gerodet. Auf dem Tabakanbau folgen Baumwolle, Indigo und Zuckerrohr. Letztere Nutzpflanze wird auch durch eine größere Anzahl niederländischer „Habitans“ und „Sucriers“ angebaut. Jene gelangen ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts teilweise aus Nordostbrasilien (Nieuw Holland, 1630-1654) in die Karibik. 1687 zählt diese Gruppe auf Guadeloupe noch rund 100 Personen.
Die Siedler dringen schließlich bis an die Ränder der Hochlagenwälder Guadeloupes vor. Dieser Prozess beschleunigt sich noch ab den 1670er-Jahren. In dieser Zeit steht die Region bereits unter der Aufsicht der „Compagnie française des Indes occidentales“, einer durch den französischen Staatsmann Jean-Baptiste Colbert initiierten Monopolgesellschaft. Jene treibt vor allem den Zuckerrohranbau großflächig voran und ersetzt Engagés und indigene Kriegsgefangene zunehmend mit afrikanischen Sklaven als Zwangsarbeitskräfte. Diese Entwicklung wird unter königlicher Direktverwaltung ab 1674 noch weiter beschleunigt.

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Guadeloupes Bioinvasoren: Ratten, Katzen und „Schlangenkämpfer“

Mit den atlantischen Schiffsverkehren kommen nicht nur Menschen, ob freiwillig oder gewaltsam, sondern auch europäische Bioinvasoren nach dem Guadeloupe-Archipel, insbesondere Ratten, Ziegen und Katzen; Letztere vornehmlich zum Schutz der Pflanzer und Arbeiter gegen Giftschlangen. Aus Furcht vor endemischen Gifttieren und im Gefolge einer zunehmenden Rattenplage werden von den französischen Plantagenbesitzern schließlich auch Mungos nach Guadeloupe eingeführt. Sie gelten den lokalen Pflanzern als wahre „Schlangenkämpfer“. Die jagdfreudigen Mangusten gelangen im ausgehenden 19. Jahrhundert nach Guadeloupe. Zu diesem Zeitpunkt ist die Fauna Guadeloupes jedoch bereits weitreichend beschädigt; vor allem die gefürchteten Giftschlangen sind verdrängt, oder gar ausgestorben: Mehrere Generationen von Kolonisten haben im Guadeloupe-Archipel ein massives Artensterben verursacht.

Zerstörerische Wirkung: Artensterben unter Schlangen und Eidechsen

Das katastrophale Ausmaß der kolonialen Landnahme seit dem 17. Jahrhundert dokumentiert jetzt eine aktuelle Studie des „Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte“ in Jena. Demnach war das Artensterben infolge der französischen Kolonisation weitaus größer als bisher angenommen. 50-70 % der Squamatenarten, insbesondere also Schlangen und Eidechsen, seien im Guadeloupe-Archipel unter dem Anprall der expansiven Siedlerökonomie ausgestorben, so die Wissenschaftler. Die robusten Wirbeltiere hätten im Laufe der Evolutionsgeschichte Perioden großer klimatischer Veränderungen in der Karibik überstehen können, einschließlich der Gletscherzyklen des Pleistozäns; nicht jedoch die ab der Mitte der 1630er-Jahre beginnende Kolonisierung des Archipels im Zeichen des Lilienbanners.

Unter den neu eingeführten Räubern aus den Schiffsbäuchen der Kolonisatoren hätten insbesondere mittelgroße, terrestrische Arten gelitten, heißt es in der im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlichten Studie — die Reptilien der Inselwelt Guadeloupes. Ihre größten Feinde: tag- und nachtaktive Ratten und Katzen im Umkreis der neu aufsprießenden Hafenplätze, Parochien und Plantagengebiete.

Expansive Monokulturen

Jene prädatorischen und schnell anwachsenden Ratten- und Katzenpopulationen folgen Generation um Generation von den küstennahen Siedlungsgebieten beständig in neu entstehende Plantagenareale nach; die expandierenden Anbauzonen beschränken und fragmentieren schließlich auch die letzten unberührten Habitate der gestressten Schuppenkriechtiere, reduzieren die Bodenqualitäten und dezimieren schließlich die Insektenpopulationen der Zuckerinsel — den wichtigsten Nahrungsquellen der Landwirbeltierfauna Guadeloupes also.

Guadeloupe-Archipel: Studie mit 43.000 Knochenresten

In ihrer Studie untersuchten die Forscher rund 43.000 tierische Überreste von den sechs Hauptinseln des Guadeloupe-Archipels, die aus verschiedenen fossilen und archäologischen Sammlungen stammten. Sie rekonstruierten dabei die Evolutionsgeschichte der lokalen Fauna in den vergangenen 40.000 Jahren und konnten hierdurch die besondere Dynamik des Artensterbens auf den Inseln nachvollziehen. Dabei zeigte sich unter anderem, wie unmittelbar das Aussterberisiko für jene Arten stieg, deren bevorzugter Lebensraum zu den Expansionszielen der kolonialen Plantagenökonomie gehörte und deren Körpergröße sich zugleich in die Beuteschemata der Bioinvasoren fügte.

Indigene förderten Guadeloupes Biodiversität

Gegenüber dieser fatalen, kolonialwirtschaftlichen Dynamik steht die stabile Biodiversität des Archipels in der langen Phase indigener Besiedlung der Guadeloupe-Inseln. Die Wissenschaftler des Jenaer „Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte“ betonen, dass die hochangepasste Lebensweise der indigenen Bevölkerung die Artenvielfalt der Schlangen und Echsen zeitweilig sogar förderte. An der wissenschaftlichen Untersuchung unter Leitung der in Jena tätigen Archäologen Corentin Bochaton und Prof. Nicole Boivin waren auch zahlreiche französische Forscher beteiligt, darunter Mitarbeiter des Pariser Muséum National d’Histoire Naturelle (MNHN).

Guadeloupe als französisches Überseedépartement

Auf dem Höhepunkt des antillianischen Zuckerbooms in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden auf Guadeloupe Hunderte Zuckerplantagen betrieben. Die großagrarischen Strukturen der Plantagenwirtschaft auf den Französischen Antillen wurden erst Anfang der 1960er-Jahre durch eine Landreform beseitigt. Seit 1946 ist Guadeloupe, ebenso wie Martinique und Guyane (Französisch-Guayana) ein Überseedépartement Frankreichs. Mit seinen rund 387.000 Einwohner ist das Archipel die bevölkerungsreichste Gebietskörperschaft der Französischen Karibik. Der einst so bedeutende landwirtschaftliche Sektor spielt auf Guadeloupe nur noch eine untergeordnete Rolle.

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