
Bereits den Guineafahrern des Spätmittelalters gelten sie als eines der gefährlichsten Segelreviere Afrikas: die Sandbänke und Riffe südöstlich des Cabo Branco. Doch das Wattenmeer vor der Küste des heutigen Mauretaniens birgt ein wertvolles Gut, lebensentscheidend in jenen Breiten: ein verstecktes Süßwasserreservoir im Untergrund einer kleinen Wüsteninsel, genannt Arguin. Von See her ist das baumlose und karge Eiland jedoch nur durch eine schmale Fahrrinne zu erreichen. — Überdies: um in den Fahrwassern sicher navigieren zu können, bedarf es guter Lotsen und ausreichend Tageslicht.
„Ilha de Arguim“: Sklaven, Gold, Gummi arabicum
Von den Exponenten der portugiesischen Atlantikexpeditionen — Geografen, Seefahrern, Kaufleuten und Sklavenjägern – wird das strategische Potenzial des Küstenstreifens rasch erkannt. Von Arguin aus lassen sich nicht nur Handels- und Erkundungsfahrten mit frischem Trinkwasser versorgen, sondern langfristig auch Handelskarawanen aus dem Inneren des Kontinents anziehen. Diese vermögen, den portugiesischen Karavellen insbesondere Sklaven zu liefern; nebstdem Gold und wertvolle Naturharze, das sogenannte „Gummi arabicum“, einem wichtigen Werkstoff der europäischen Papier- und Textilproduktion. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts entsteht so auf der „Ilha de Arguim“ der erste befestigte Versorgungs- und Handelsstützpunkt der Portugiesen an der westafrikanischen Küste. Fast zweihundert Jahre währt die Kontrolle der Portugiesen über den europäischen Handel mit der nur 22 km² großen Küsteninsel.
Handelsverbindungen und Machtstrukturen
Als die eigentlichen Herren verbleiben jedoch die Nomaden und Fischer der Region. Sie sind nicht allein die entscheidenden Makler der Handelsverbindungen mit dem Hinterland, sondern garantieren gleicherweise das Überleben der portugiesischen Negotianten am Rande der Sahelzone. Die arabisch-berberischstämmige Bevölkerung der Großregion ist klan- und kastenartig organisiert. Während des 17. Jahrhunderts entwickelt sie sich schließlich in ein mächtiges Stammesbündnis, das sogenannte Trarza-Emirat.
Die niederländische Westindien-Compagnie (WIC) im Atlantikraum
Etwa zur gleichen Zeit gerät die portugiesische Festung unter die Herrschaft der niederländischen Westindien-Compagnie (WIC). Die agile Handels- und Kaperkriegsorganisation expandiert ab den 1630er-Jahren auf Kosten des spanisch-portugiesischen Imperiums im Südatlantikraum. Niederländischerseits erstrebt man in dieser Phase nichts weniger als die Kontrolle des frühneuzeitlichen Weltmarktes — für Zucker. Nach erfolgreicher Invasion der brasilianischen Zuckerkapitanie Pernambuco 1629/1630 erobert die WIC alsbald auch Sklavenfestungen und Handelsstützpunkte der Portugiesen im westlichen und südwestlichen Afrika — von Arguin bis nach Angola. Die Depots und Faktoreien an der afrikanischen Küste sollen das erhoffte Plantagenreich in Brasilien mit Sklaven versorgen.
Aufstieg der merkantilistischen Seemächte England und Frankreich
Die ehrgeizige Atlantikstrategie der WIC erweist sich jedoch als militärisches und finanzielles Desaster — um die Mitte des 17. Jahrhunderts hat die niederländische Atlantik-Compagnie ihren Zenit bereits überschritten. Hoch verschuldet, strategisch überdehnt und von Meutereien und lokalen Aufständen zerrüttet, muss sie sich 1654 endgültig aus Brasilien zurückziehen. Die Schwäche der Vereinigten Niederländischen Provincien und ihrer halbstaatlichen Atlantik-Compagnie machen sich insbesondere die aufstrebenden See- und Handelsmächte England und Frankreich zunutze. Im Verlauf von rund 20 Jahren werden die Niederlande und die WIC schließlich aus ihren bisherigen Hegemonialpositionen verdrängt sein. Der Aktienwert der niederländischen Westindien-Compagnie verfällt rapide. — Als sich in der ersten Hälfte der 1670er-Jahre mit der Royal African Company und der Compagnie du Sénégal zwei zentrale atlantische Sklavenhandelsorganisationen etablieren können, ist die WIC bereits bankrott. Nur mit Mühe kann die Gesellschaft ihre Kapitalstruktur schließlich neu ausrichten.
Die WIC gibt Arguin auf
Die Sicherung des bisherigen WIC-Stützpunktsystems gelingt jedoch nur zu einem Teil: Vermutlich bereits 1672, zum Zeitpunkt schwerer kriegerischer Auseinandersetzungen mit Frankreich während des sogenannten „Rampjaars“, muss die Festungsbesatzung den WIC-Stützpunkt auf Arguin überstürzt verlassen. Ein kurzes französisches Intermezzo auf Arguin endet 1678 mit einer Teilsprengung der Forteresse: In Unkenntnis der dramatischen Lage in den Niederlanden fürchten die Franzosen eine baldige Rückkehr der WIC, die insbesondere an der Goldküste noch immer starke Positionen besetzen. Für einige Jahre bleibt das strategisch wichtige Wüsteneiland mit seinen Wasserbecken und Zisternen von europäischen Kaufherren verlassen. Niederländer und Franzosen halten ihre formellen Ansprüche jedoch weiterhin aufrecht.
Benjamin Raule zwischen Seeland und Brandenburg
Das besondere nautische und merkantile Wissen um die alte Festung vor der Küste Mauretaniens erhält sich auch über die Wirren des „Holländischen Krieges“ (1672-1678) hinweg. Ein seeländischer Kaperkaufmann und Seekriegsunternehmer fungiert dabei als entscheidender Mittler: Benjamin Raule (1634-1707). Der Krieg mit Frankreich hat den Spross einer hugenottisch-südflämischen Exilantenfamilie ruiniert, woraufhin er sich 1676 in brandenburgische Dienste begeben muss. — Als „Marine-Directeur“ organisiert er alsbald ein von Berlin und Emden aus agierendes Kaper-, Fernhandels- und Versklavungsnetzwerk. Neben Vertretern des Hofes, voran dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688) selbst, spielen in diesem eigentümlichen Beziehungsgeflecht zunehmend auch niederländische und hugenottische Investoren eine wichtige Rolle; verstärkt ab den 1690er-Jahren.
Atlantische Netzwerke: Kaufmanns- und Bankiersfamilien
— Zu Raules Netzwerk im Westen gehören etwa einflussreiche Kaufmanns- und Bankiersfamilien aus Flandern, Seeland und Holland. Mitglieder dieser Patriziergeschlechter sind als Faktoren in Spanien und der Karibik ansässig und fungieren dort teils als Zwischenhändler für kolonialspanische Sklavenmärkte. Zu Raules Geschäftspartnern gehören unter anderem Mitglieder der Familien van Belle, de Pedy und Coymans. — Letztere sind über den Hamburger Zweig des Hauses bereits in früheren Jahren in Compagnieaktivitäten zwischen Dänemark und Westafrika beteiligt gewesen. Beständig sucht man in diesen Kreisen nach neuen Investitionsmöglichkeiten außerhalb der niederländischen Handelsmonopolsysteme.
Johan Maurits van Nassau-Siegen, der „Brasilianer“
Für die Atlantisierung des brandenburgischen Merkantilismus bedeutsam sind zunächst jedoch ungleich ältere Verbindungen des Kurfürsten; etwa mit dem Herzog von Kurland, Jakob I. (1610-1682), oder dem ehemaligen Gouverneur von Neu-Holland („Niederländisch-Brasilien“), Johan Maurits van Nassau-Siegen (1604-1679). Mit ihm pflegt Friedrich Wilhelm bereits in jungen Jahren enge Freundschaft und ernennt ihn 1649 sodann auch zum Statthalter seiner Territorien in Kleve und Mark.
Im Auftrag der Amsterdamer Leitungsgremien der WIC hat Johan Maurits während seiner Amtszeit in „Nova Holanda“ zwischen 1636 und 1644 die Versklavungsgeschäfte der Compagnie auf dem Atlantik und in Brasilien maßgeblich vorangetrieben. Unter Johann Maurits‘ Ägide gelingt den Niederländern 1637 etwa die Eroberung des portugiesischen Sklavenhandelszentrums Elmina an der Goldküste.
Versklavte prägen auch unmittelbar die brasilianische Hofhaltung des Gouverneurs aus deutschen Landen. Allein für 1642 lässt sich die Versklavung von 50 Afrikanern und Afrikanerinnen in Angola für des Gubernators Hof nachweisen; verschleppt möglicherweise nach Johan Maurits‘ repräsentativem brasilianischen Landsitz — „Vrijburg“.
Joachim Friedrich Kornmesser und Westafrika
Eine weitere, mutmaßlich bereits in der Frühphase der Raule’schen Projektierungen bedeutsame Figur ist jedoch ein gebürtiger Berlin-Cöllner, Joachim Friedrich Kornmesser (1641-1715), späterhin einer der Bürgermeister der „Königlichen Residenzstädte“ an der Spree. Schon in jungen Jahren hat Kornmesser als Wundarzt Reisen nach den Niederlanden und Guinea unternommen. Es ist anzunehmen, dass er für die WIC an der Goldküste tätig und auch mit den dortigen Versklavungsgeschäften vertraut war. 1668 ernennt ihn Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688) zum brandenburgischen „Hof- und Reisechirurgus“; er soll in kurfürstlichem Auftrag wiederholt weitere Fahrten nach Westafrika unternommen haben. Kornmesser bekleidet in den Folgejahren hohe Ämter am Hofe, beteiligt sich ab 1680 an einer Berliner Zuckersiederei und steigt schließlich auch in den Überseegeschäften des Herrscherhauses in führende Positionen auf.
Einstieg in den Sklavenhandel: Raule und der „Große Kurfürst“
Organisationspolitisch im Zentrum steht hierbei alsbald eine eigens für diese Zwecke gegründete Handelsgesellschaft: die sogenannte „Brandenburgisch-africanische Compagnie“ (BAC), formiert in den Jahren zwischen 1681 und 1682. Ihr wichtigster Aktivposten ab 1683: eine Festung an der Küste des heutigen Ghana, genannt: Groß Friedrichsburg. Sie dient der brandenburgischen Unternehmung, neben dem Handel mit Gold und Elfenbein, zeitweilig vor allem als Ausgangspunkt für Versklavungsgeschäfte; abgewickelt insbesondere vor den Küsten des heutigen Benin, Togo und Nigeria. — Anfang der 1680er-Jahre sind die Erwartungen an die neu aufgerichtete Handelscompagnie noch groß; angetrieben durch den Ehrgeiz des Herrscherhauses in der Person des erwähnten Kurfürsten Friedrich Wilhelm und einem allseitig zu bemerkenden Aufschwung der sklavereigetriebenen, atlantischen Zuckerwirtschaft.
Aussichten im atlantischen Sklavenhandel
Der auch als „Großer Kurfürst“ apostrophierte Souverän sinnt bereits seit Jahrzehnten auf überseeische Handelsunternehmungen zur Aufrichtung seiner im Dreißigjährigen Krieg verheerten Territorien. — Der vorerwähnte „Brasilianer“ Johan Maurits von Nassau-Siegen ist nur einer von vielen Stichwortgebern, Beratern und Projektemachern in der europaweiten Korrespondenz des Fürsten. Mit Raule kann Friedrich Wilhelm nun nicht allein auf ein großes Netz aus kapitalstarken Kaufleuten und Sklavenhändlern zurückgreifen; seine Compagnie erhält hierdurch überhaupt erst das nötige Detailwissen über die Negotien des Atlantiks und als Teil derselben, über den afrikanisch-karibischen Sklavenhandel. Jener gilt zwar als hochkompetitiv, verspricht jedoch auch große Gewinne. Bereits in einer Denkschrift aus dem Dezember 1679 empfiehlt Raule seinem Fürsten ausdrücklich auch den Einstieg in die atlantischen Versklavungsgeschäfte, von Raule euphemistisch als „Handlung in Schwarzen“ bezeichnet. — Allein, mit Ostseeschiffern und märkischen Bauern ist ein solches „Commerzium“ im 17. Jahrhundert nicht zu etablieren.
„Asiento de Negros“
Dennoch scheint die politische Ausgangslage im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts besonders günstig: Über spezielle Sklavenhandelslizenzen und Subkontrakte, den sogenannten „Asientos de Negros“, bieten Geschäftspartner Raules vorübergehend Zugang nach den Sklavenabsatzmärkten Spanisch-Amerikas. 2.000-3.000 Versklavte sollen die Brandenburger jährlich liefern — fürs Erste. Idealerweise besäßen sie hierfür auch einen eigenen Hafenplatz in der Karibik; gleicherweise verspräche eine solche unmittelbare Präsenz in der Region lukrative Handelsgeschäfte mit den antillianischen Plantagenkolonien Englands und Frankreichs. Diese gelten in den 1680er-Jahren noch als chronisch unterversorgt mit versklavten Arbeitskräften; und die für sie eigentlich zuständigen Monopolcompagnien als wenig effizient und konkurrenzfähig.
Die WIC und die Negotien des Atlantiks
Nach Konkurs und Reorganisation ist die WIC zwar zu kostspieligen Invasionen und Hegemonialkriegen nicht mehr in der Lage; wohl aber zu einer bedeutenden Rolle im atlantischen Sklavenhandel; zumal sie nach den Kriegen mit England und Frankreich ihre Besitzungen an der afrikanischen Westküste und in der Karibik größtenteils behalten kann. Neben der Veste Elmina sind dies vornehmlich ihre karibischen Emporien Curaçao und Sint Eustatius. — Und diese Position, als Makler und Mittler in den atlantischen Negotien, allem voran im Sklavenhandel, wollen die Anteilseigner der niederländischen Westindien-Compagnie nicht auch noch verlieren.
Tarnorganisation für niederländische Investoren?
Den Aktivitäten der Brandenburger und ihrer niederländischen Netzwerke steht die WIC also von Beginn an entgegen. Die Leitungsgremien der WIC betrachten den neuen Konkurrenten unter dem Banner des „Roten Adlers“ lediglich als Tarnorganisation für niederländische Kapitaleigner. Deren einziges Interesse, so der Vorwurf der WIC: mithilfe fremder Seepässe und dem diplomatischen Schutz eines ausländischen Fürsten, das WIC-Monopol im Atlantikraum zu umgehen. Konflikte mit der machtbewussten niederländischen Konkurrenzorganisation scheinen somit unausweichlich.
Die brandenburgische Afrika-Compagnie und Arguin
Auf Raule und seinem Herren scheinen die Drohungen der WIC zunächst wenig Eindruck zu machen: Nachdem 1683 die Etablierung an der Goldküste gelungen ist, erweitern sich die Pläne der BAC rasch um das Eiland Arguin. In den Konzeptionen Raules nimmt die Wüsteninsel gleichfalls die Funktion eines Verproviantierungspunktes im Schiffsverkehr zwischen Europa und Afrika sowie eines zusätzlichen Handelspostens ein. Grundlage der potenziellen Handelsbeziehungen: das erwähnte Trarza-Emirat und seine lokale Bevölkerung von Küsten- und Wattfischern, von welchen seinerzeit etwa 300-400 Menschen allein auf Arguin leben; desgleichen die Nomadenstämme des Hinterlandes, welche auch der BAC Handelsverbindungen nach dem Landesinneren sichern, insbesondere das begehrte Gummi arabicum liefern sollen.
Etablierung Arguins als regionalem Stapelplatz
Bereits 1684 entsendet Raule ein erstes Vorauskommando nach Arguin. Ein zweites erreicht unter dem Niederländer Cornelius Reers im Oktober 1685 die Riffe und Sandbänke um Arguin. Mit an Bord des ROTHEN LÖWEN: ein kleines Kontingent Soldaten, welches noch in Brandenburg angeworben wurde. Mit Erlaubnis des Emirs können die Brandenburger die verlassene Veste auf Arguin besetzen und wiederherrichten. Zugleich fädeln sie weitergehende Bündnisverhandlungen ein. Ein in der Folge zustande kommender Allianzvertrag überträgt Arguin formell der Schutzmacht des brandenburgischen Kurfürsten, was vor allem bedeutet, dass Trarza künftig auf Arguin keine andere europäische Handelsmacht dulden mag. Für einige Jahre kann sich so auf Arguin tatsächlich ein bedeutender Stapelplatz etablieren, namentlich für das lukrative Gummi arabicum.
Eine geringere Rolle spielen indes Sklaven, desgleichen Handelsgüter wie Ambra, Straußenfedern, aber auch Fisch und Salz, für welche Güter sogar nach den Kanaren Verbindungen geknüpft werden können. Zeitweilig gestalten sich auch die Beziehungen mit weiter südlich gelegenen französischen Handelsposten kooperativ bis freundschaftlich. Ein gleichfalls 1685 abgeschlossner Vertrag zwischen den Generalstaaten und Brandenburg über eine Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Westafrika scheint die Positionen der BAC in Arguin um ein Weiteres zu festigen.
St. Thomas: Bündnis mit der dänischen Westindien-Compagnie
Partiell profitiert der BAC-Stützpunkt auch von einer Einbindung in das zeitgleich entstehende Karibik-Netzwerk der BAC. In Amerika gelingt es der brandenburgischen Gesellschaft unter Raule, 1686 nun tatsächlich Pacht- und Nutzungsverträge mit der Dänisch-Westindisch-Guineischen Compagnie (DWGC) abzuschließen. Damit verfügt sie nun zumindest indirekt über einen regionalen Handelsplatz, während Versuche des Kurfürsten, Antilleninseln fremder Potentaten zu kaufen oder zu besetzen, allesamt scheitern werden. Die DWGC agiert bereits seit 1672 im Gebiet der heutigen Amerikanischen und Britischen Jungferninseln und betreibt dort Plantagen und einen zentralen Hafenplatz auf St. Thomas. Die westindischen Besitzungen der Dänen sind ebenfalls mit Stützpunkten an der westafrikanischen Küste verknüpft und konkurrieren dort ebenfalls mit der niederländischen WIC.
Dänischerseits erhofft man sich von dem Vertrag also nicht allein steigende Pachterträge und Abgaben durch künftige Wirtschaftsaktivitäten der BAC, sondern ingleichen Stabilisierung der dänischen Positionen an der Goldküste und in Westindien. — In der Karibik sitzen mächtige Konkurrenten um den lukrativen Schleichhandel mit französischen und spanischen Kolonisten etwa im englisch-jamaikanischen Port Royal, einem berüchtigten Raubfahrerzentrum, oder auf Sint Eustatius, dem nördlichsten WIC-Emporium in der Region.
Brandenburg im karibischen Sklavenhandel
— Angetrieben durch ihr Investorennetzwerk lautet das Primärziel der Brandenburger jedoch: die dänisch-kontrollierte Inselregion im atlantischen Dreieckshandel zu einem Umschlagplatz für versklavte Afrikaner zu entwickeln; strategisch günstig zwischen den Spanischen Antillen und den prosperierenden Pflanzerkolonien im Südosten gelegen. Bereits 1682 gelingt einem ersten Sklavenschiff unter brandenburgischer Flagge die Überfahrt mit 334 versklavten Afrikanern und Afrikanerinnen; dieses läuft vorerst noch die niederländische Kolonie Berbice in Guiana an. Ein erster Sklaventransport unter brandenburgischer Flagge nach dem dänischen St. Thomas trifft schließlich1686 ein.
In der Folgezeit konzentrieren sich die Versklavungsgeschäfte der Compagnie sodann hauptsächlich auf den Nordbogen der Antillenkette.
Neben Pflanzern im unmittelbaren Einflussgebiet der DWGC sind bis 1695 insbesondere auch französische Kolonisten vom benachbarten St. Croix wichtige Abnehmer der Sklaventransporte aus Guinea — deutlich seltener treffen diese aus Arguin ein. St. Croix‘ Siedler liefern hinwiederum Zucker für Emden oder die niederländischen Heimathäfen der Westindienfahrer in BAC-Diensten. — Der Brandenburgisch-Africanischen Compagnie ist der Einstieg in den atlantischen Dreieckshandel somit fürs Erste gelungen. Zeitweilig bdient sie somit drei Absatzmärkte für Versklavte in Amerika: spanische Kolonisten über ihre Asientistas-Verbindungen; dänische Pflanzer auf St. Thomas und schließlich französische und englische Siedler auf den benachbarten Inseln der nördlichen Antillenkette.
Niederländische Kaufleute und Plantageneigner in der Karibik
Für die Geschäfte der BAC sind dabei immer wieder zwei besondere interkoloniale Handelsnetzwerke relevant: zum einem die kleineren hugenottischen Kaufmannskolonien und Planteurs-Gemeinschaften der Region, etwa auf St. Thomas; zum anderen alteingesessene niederländisch-kreolische Kaufmanns- und Pflanzernetzwerke bis auf die Linie der Guadeloupe-Passage. Der Einfluss der Letzteren sinkt zwar bereits lokal infolge der merkantilistisch-monopolistischen Konkurrenz aus England und Frankreich; aber gerade im Bereich des dänischen Westindien ist ihr Einfluss noch signifikant. Allein auf St. Thomas stellen Holländer, Seeländer und deren Nachfahren während der 1680er-Jahre noch rund die Hälfte der europäischstämmigen Bevölkerung.
Die brandenburgische Compagnie auf St. Thomas
Die Faktoren und Comptoirdiener der brandenburgischen Compagnie auf St. Thomas werden zum Teil aus diesen atlantikweiten, niederländisch-calvinistischen Netzwerken und Familienverbünden rekrutiert; darunter ein Spross des Rotterdamer Clans der van Belle, die traditionell über exzellente Handelsverbindungen nach Spanien verfügen; oder der aus La Rochelle stammende Kaufmann Jacques Barbot de la Porte, einem hugenottischen Émigré und BAC-Teilhaber. Aufgabe der brandenburgischen Handelsagenten und Direktoren: Verwaltung und Betrieb von Warenmagazinen, Sklavendepots — und größeren, compagnieeigenen Plantagenzonen auf St. Thomas; deren Unterhalt soll das wirtschaftliche Gefüge der dänischen Hauptinsel St. Thomas weiter stabilisieren und ist ein wesentlicher Bestandteil des Pachtvertrages.
Die „Brandenburgisch-Africanisch-Americanische Compagnie“ (BAAC)
Die zynischen Geschäftswartungen der BAC-Anteilseigner und ihrer Geschäftspartner im afrikanisch-karibischen Menschenhandel erfüllen sich jedoch nur partiell. Lediglich in den 1690er-Jahren kann die BAC einen signifikanten Anteil an den atlantischen Versklavungsgeschäften an sich ziehen; insbesondere gegenüber niederländischer und englischer Konkurrenz. Dennoch kommt es auf St. Thomas wegen ausbleibenden Pachtzinsen frühzeitig zu Konflikten mit der dänischen Compagnie. Bereits 1691 ist die BAC in schwere finanzielle Schieflage geraten und wird kurzerhand in eine neue Aktiengesellschaft überführt, die sogenannte „Brandenburgisch-Africanisch-Americanische Compagnie“ (BAAC); so geheißen ab 1692. Bei der Dänisch-Westindisch-Guineischen Compagnie sind die Brandenburger jedoch weiterhin verschuldet; die lokalen Repräsentanten der DWGC reagieren schließlich mit Beschlagnahmungen und mutwilligen Zerstörungen von Packhäusern und Plantagen.
Niedergang der BAAC-Aktivitäten in Dänisch-Westindien
Die englisch-französischen Hegemonialkriege der Epoche tun ein Übriges, die Geschäftsentwicklung im Dänischen Westindien vollends zu ruinieren: Zwischen 1688 und 1714 währt in der Karibik eine schier endlose Folge von Kaper- und Plünderungszügen. Überdies ist die Ära eine Hochphase der karibischen Piraterie. Hiervon sind auch die Aktivitäten der BAAC unmittelbar betroffen, zumal das Kurfürstentum im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) zeitweilig mit Frankreich selbst verbündet ist. In der Folge werden immer wieder Schiffsverbindungen unterbrochen, kommt es zu Kaperungen und Konfiskationen. In Dänisch-Westindien verlegen sich die Vertreter der BAAC notgedrungen auf Prisenschiebereien; selbst mit dem Feind, gar mit karibischen Piraten, trieben sie Handel, heißt es vonseiten der dänischen Westindien-Gesellschaft.
Um 1699 haben die BAAC-Vertreter ihre zeitweilig dominierende Stellung in Dänisch-Westindien weitgehend eingebüßt. Dies gilt auch für ihre Rolle als Asiento-Subkontraktoren. Der ursprünglich Plan Raules, selbst den „Asiento de Negros“ zu übernehmen — gegen alle Konkurrenten, insbesondere Niederländer und Portugiesen – gelingt der brandenburgischen „Africa-Compagnie“ nicht. Vielmehr ist das damit verbundene Antichambrieren nur ein weiterer, schwer zu kalkulierender Kostenfaktor. Als 1715 schließlich auch der auf dreißig Jahre angesetzte Pachtvertrag mit der DWGC endet, belaufen sich allein die dänischen Forderungen gegen die BAAC auf die gewaltige Summe von einer Million Achterstücken, die Münze zu acht Spanischen Reales.
Niedergang der Geschäfte an der westafrikanischen Küste
Auch entlang der westafrikanischen Küsten macht sich ab den 1690er-Jahren die Krise bemerkbar. Brandenburgische Seepässe schützen nicht vor Kaperung; und teure Geleitzüge lassen sich angesichts volatiler Geschäfte und einer mangelhaften und korruptionsanfälligen Buchführung unmöglich refinanzieren. Neben Beschlagnahmen, Kaperungen und Scharmützeln an der Goldküste hat die BAAC auch mit den Wechselfällen auf den europäischen Kriegsschauplätzen zu kämpfen. — In Emden etwa liegen voll ausgerüstete Handels- und Orlogschiffe mitunter über Monate hinweg fest. Garnisonen und Faktoreien verbleiben isoliert zurück; notgedrungen verlegen sie sich auf Geschäfte mit Interlopern, Schmugglern und korrupten Handelsagenten von der Konkurrenz. Hierzu gehören auch die Dauerrivalen von der niederländischen Westindien-Compagnie. Deren gut armierte Schiffe erbeuten in jenen Jahren immer wieder brandenburgische Atlantikfahrer.
Handelsfahrten mit Seepässen der BAAC
In der Folge nimmt die Bedeutung der compagnieeigenen Guinea- und Westindienfahrt ab. Hingegen kann die Ausgabe von brandenburgischen Seepässen an niederländische Schiffer die gestiegenen Risiken in den Negotien des Atlantiks minimieren helfen. Allein für die Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) lassen sich 14 Handelsfahrten niederländischer Schiffe mit brandenburgischen Seepässen nachweisen. Letztmalig ist für 1714 ein mit Seepässen der BAAC fahrender Sklavenholer nachweislich: die aus Rotterdam kommende KÖNIG VON PREUSSEN unter dem Niederländer Jan Wijnen versklavt 265 Afrikaner und Afrikanerinnen und verschleppt sie nach St. Thomas.
Die Rolle der BAC/BAAC im atlantischen Sklavenhandel
Neben dem guinesischen Goldhandel bilden Versklavungsfahrten die gewinnträchtigsten Negotien der Compagnie; doch nur unter der Voraussetzung, dass die lukrativen westindischen Rückfrachten tatsächlich auch in Emden gelöscht werden. Nicht selten wird dies durch die zumeist niederländischen Kapitäne bewusst vermieden und die kostbaren Ladungen, insbesondere Braunzucker, direkt in Holland verkauft. Veruntreuungen und sogenannte „Lorrendrayerei“, das heißt das widerrechtliche Eindringen fremder Kaufleute in das eigene Oktroi- oder Monopolgebiet, nehmen gerade in der Endphase der Gesellschaft stärker zu. Mit Josua van Belle sind selbst Hauptinvestoren der Compagnie an derartigen Geschäften beteiligt.
— Insgesamt sind für die Zeit zwischen 1682 und 1714 mindestens rund 24.000 Afrikaner und Afrikanerinnen versklavt und verschleppt worden — sowohl durch die Brandenburgisch-Africanische beziehungsweise -Americanische Compagnie als auch durch Schiffe unter dem Schirm brandenburgischer Seepässe. Genauere Zahlen lassen sich aufgrund der Quellenüberlieferung und der zeittypisch nur defektiven Buchhaltung nicht ermitteln. Versuche, den Sklavenhandel von Arguin aus nach den Kanarischen Inseln voranzutreiben, kommen aufgrund der Kriegsläufte nicht zustande; direkte Sklavenfahrten auf Westindien von Arguin aus bleiben, wie vorerwähnt — Episode.
Arguin während des Spanischen Erbfolgekrieges
Für Arguin bedeutet insbesondere der Spanische Erbfolgekrieg einen dramatischen Einschnitt: So sind die europäischen Schiffsverbindungen der BAAC nach dem Kastell gar für mehrere Jahre eingestellt; erst 1709 gelangt wieder ein Schiff unter brandenburgischer Flagge nach Arguin. Die Garnisonsbesatzungen sind zwischenzeitlich völlig dezimiert und können auch nicht mit neuen Kontingenten aufgefüllt werden; der Handel des Forts kommt weitgehend zum Erliegen; Korruption, Alkoholmissbrauch und eruptive Gewalt destabilisieren das empfindliche Gefüge der kleinen Garnison am Rande der Sahara immer mehr. Ein besonders despotischer Festungskommandeur läuft schließlich zu den konkurrierenden Franzosen über. Diese unterhalten seit 1717 mit Fort Portendick eine befestigte Faktorei südlich von Arguin.
Französische Besetzung Arguins 1721
Im französisch kontrolliertem Süden lauert man bereits seit Längerem auf eine erneute Übernahme des einträglichen Handels mit Gummi arabicum auf Arguin. Ebenso wie die niederländische Westindien-Compagnie haben die Franzosen ihre Ansprüche in der Region ohnedies nie aufgegeben. Eine neuerliche Etablierung auf Arguin würde für die Franzosen eine formale Kontrolle des europäischen Küstenhandels vom Cabo Branco bis nach Port Louis am Senegal sichern. Im März 1721 können französische Einheiten das Kastell auf Arguin nach einer mehrwöchigen Belagerung tatsächlich erobern. — Was die Franzosen zu diesem Zeitpunkt freilich ignorieren: Eigentlich ist das brandenburgische Fort längst verkauft.
Das faktische Ende der brandenburgischen Atlantik-Compagnie 1721
Bereits im Dezember 1717 hat die WIC in Amsterdam die ehemaligen Niederlassungen der BAAC an der Goldküste erworben, insbesondere die massive Festung Groß Friedrichsburg; nebstdem auch „Fort Arguyn“, dessen Übergabe sich jedoch verzögert hat. Im fernen Brandenburg-Preußen gelten die Fernhandelprojekte des „Großen Kurfürsten“ längst als Chimèren, haben die atlantischen Kommerzien, Stützpunkte, Faktoreien und Logien lediglich gigantische Schulden aufgehäuft. Der Enkel des Barockfürsten, der sogenannte „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), nutzt schließlich seine niederländischen Verbindungen, um die Negotien des Großvaters endgültig unter dem Sand preußischer Exerzierplätze zu begraben, die er für das Fortkommen seines Staatswesens für ungleich wichtiger hält. — Nicht ohne zuvor jedoch die Lieferung von 12 jungen Afrikanern mit der WIC zu vereinbaren. Als Teil des Verkaufsgeschäfts mit der niederländischen Compagnie sollen jene als Kammerdiener oder Militärmusiker an den Brandenburger Hof verbracht und versklavt werden; ihr Schicksal ist nicht gänzlich geklärt.
Drei Jahre vergehen, bis die Preußen im Oktober 1721 zumindest den Erhalt des vereinbarten Verkaufspreises für die BAAC-Befestigungen über 7.200 Dukaten quittieren können. Mit den nahezu zeitgleich auslaufenden Pachtverträgen für Dänisch-Westindien endet das ehrgeizige und wesentlich durch Versklavungsgeschäfte angetriebene Projekt einer brandenburgischen Atlantik-Compagnie nach rund 40 Jahren. — Zumindest aus der Sicht der europäischen Gläubiger und Participanten.
Barocke Magnifizenz für den deutschen Kolonialismus
Den Verfechtern einer gestrengen Austeritäts- und Militarisierungspolitik in Preußen sind die jahrzehntelangen Handelsaktivitäten der BAC/BAAC zuletzt vor allem also: Trug- und Traumbild der Altvorderen fernab kontinentaleuropäischer Realpolitik. — Nicht jedoch den Nachgeborenen zum Ende des 19. Jahrhunderts in einem von Marinemalern, rassistischen Völkerschauen und Salon-Illustrierten geprägten Kolonialdiskurs. Diese stilisieren das merkantilistische Handelsunternehmen kurzerhand zum Vorbild einer entschiedeneren Kolonialpolitik durch das deutsche Kaiserreich. So etwa der deutschkonservative Reichstagsabgeordnete Heinrich Graf Pückler. — Bereits 1885, rund einem Monat nach der berüchtigten Berliner „Kongo-Konferenz“, überreicht er Reichskanzler Bismarck zu dessen 70. ein Denkzeichen des heraufziehenden Hochimperialismus: das Modell eines Segelschiffs aus der Epoche des „Großen Kurfürsten“ und seines Marine-Directeurs Raule.
687 versklavte Afrikaner und Afrikanerinnen
Aus Silber gefertigt und auf einem Marmorsockel thronend, zeigt es mutmaßlich den einstigen Guinea- und Westindienfahrer CHURPRINZ/KURPRINZ; erbaut 1684. Die CHURPRINZ/KURPRINZ ist offenbar späterhin als Sklavenholer der brandenburgischen Atlantik-Compagnien aktiv und operiert bis 1694 zwischen Emden, der Goldküste und St. Thomas. Ihre letzte Fahrt im Zeichen des „Roten Adlers“ unternimmt die CHURPRINZ/KURPRINZ wohl 1693 von Arguin aus nach Dänisch-Westindien. An Bord: 687 versklavte Afrikaner und Afrikanerinnen, von welchen 137 die Atlantikpassage nicht überleben werden.
Literatur
- Sven Klosa, Die Brandenburgische-Africanische Compagnie in Emden. Eine Handelscompagnie des ausgehenden 17. Jahrhunderts zwischen Protektionismus und unternehmerischer Freiheit. Frankfurt 2011.
- Ulrich van der Heyden: Die Wüsteninsel Arguin. In: Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller (Hg.),“… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus. Münster 2005. S. 55–62.
- Gernot Lennert, Kolonisationsversuche Brandenburgs, Preußens und des Deutschen Reiches in der Karibik. In: Günther Maihold; Sandra Carreras (Hg.): Preußen und Lateinamerika. Im Spannungsfeld von Kommerz, Macht und Kultur. Münster 2004. S. 9–30.
- Malte Stamm, Das Koloniale Experiment. Der Sklavenhandel Brandenburg-Preußens im transatlantischen Raum 1680-1718. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie (Dr. Phil.). Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2011.
- Andrea Weindl, Die Kurbrandenburger im ‚atlantischen System‘, 1650-1720. Köln 2001. (= Arbeitspapiere zur Lateinamerikaforschung, II-03 Iberische und Lateinamerikanische Geschichte)