
Ihre figürlichen Messing- und Kupferskulpturen sind weltberühmt. Die auch als Beninbronzen bezeichneten Meisterwerke entstanden zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert im Königreich Benin; heute ein Teil der Bundesrepublik Nigeria. Als fester Bestandteil der repräsentativen Hofkunst bildeten die kunstvollen Gedenkköpfe und Reliefdarstellungen gleichsam das historische Langzeitgedächtnis des beninischen Staatsvolkes der Edo; fester Bestandteil ihrer rituellen Ahnenverehrung und der dynastischen Legitimation des Oba, des Königs von Benin.
Portugiesische Manillen in den Handelssystemen Guineas
Seit Längerem bereits wurde angenommen, dass die einzigartigen Stücke der beninischen Königskultur wesentlich aus eingeschmolzenen Manillen hergestellt wurden. Portugiesische Kaufleute führten die kleinen, etwa handtellergroßen Ringe aus Messing und Kupfer wohl ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert in die regionalen Handelssysteme Westafrikas ein. Dort dienten sie zunächst vor allem als Tausch- beziehungsweise als prämonetäres Zahlungsmittel. Frühzeitig spielten sie somit auch in den Versklavungsgeschäften der Lusitanier eine wichtige Rolle. ― Bereits für das beginnende 16. Jahrhundert sind in einem portugiesischen Geheimbericht Tauschgeschäfte mit Manillen für Versklavte im Königreich Benin beschrieben.
Klar definierte Qualitätsstands beim Bezug der Manillen
Als Rohstoffeinheit gelangten die kleinen, hufförmigen Kupfer- und Messingringe auch in die gildenartig organisierten Bronzegießereien der Edo, wo sie schließlich zu herrschaftlichen Figuren und Konterfeien verarbeitet wurden, eben den berühmten Beninbronzen. Die relative Homogenität der Blei-Isotopensignaturen in den Skulpturen wies die Forschung bereits frühzeitig auf klar definierte Qualitätsstands der Schmiedekünstler bei Bezug und Auswahl der Rohlinge. Doch woher stammten die Kupfer- und Messingeinheiten in den Werkstätten der Edo dann genau?
Studie zeigt: Manillen stammen aus Region zwischen Aachen und Köln
Lange Zeit vermutete man zunächst, dass die Metallschmiede der Edo für ihre Unikate Manillen aus flämischer und britischer Fertigung verwendeten; Letztere gelangten etwa als sogenannter „Birmingham-Typ“ ab dem 18. Jahrhundert an die Küsten des westlichen Afrikas. Eine neue archäometrische Studie verortet die Herkunft des Ausgangsmaterials der Beninbronzen nun jedoch ins atlantische Hinterland der niederländischen Seestädte. Genauer gesagt in die östliche Maas-Rhein-Region zwischen Aachen und Köln, dem damaligen Zentrum der Messingproduktion in Europa.
Massenspektrometrische Untersuchung
Für ihre materialkundlichen Analysen nutzte ein Team von Forschenden um den Geochemiker Tobias Skowronek neben archivalischen Textquellen umfangreiche chemisch-isotopische Datensätze; gewonnen mittels massenspektrometrischer Untersuchung im Forschungslabor des Deutschen Bergbau-Museums in Bochum. Das Ergebnis ihrer Studien veröffentlichte die Forschendengruppe mit Skowronek als Erstautoren Anfang April im Wissenschaftsjournal PLOS ONE.
67 Manillen aus Produktionszeit der Beninbronzen analysiert
Die Wissenschaftler analysierten im Rahmen ihrer Studie insgesamt 67 Manillen aus der Produktionszeit der Beninbronzen. Die untersuchten Manillen stammten dabei aus mehreren Wrack- und Bodenfunden in Europa, Afrika und Nordamerika, beispielsweise aus der GROENINGEN, einem Schiff der niederländischen Westindien-Compagnie, das 1647 vor der Festung Elmina im heutigen Ghana versank, oder dem legendären Piratenschiff WHYDAH GALLY, welches 1717 vor Cape Cod, Massachusetts, havarierte.
Beninbronzen aus „Tacoais“-Manillen gefertigt
Die geochemischen Analysen der Forschenden um Skowronek bestätigen zunächst, dass die Beninbronzen tatsächlich aus Manillen gegossen wurden, wenngleich sie, so die Autoren, nicht die einzige Metallquelle der beninischen Hofkünstler gewesen sein können. Anhand ihrer Isotopensignaturen ließen sich die Rohstoffquellen der Schmiedemeister schließlich dem Typus der sogenannten „Tacoais“-Manillen zuordnen. Es handelt sich dabei um den ältesten Produktionstyp dieser Metallringe in den westafrikanischen Handelsverkehren der Portugiesen zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert. Die „Tacoais“-Manillen selbst wurden jedoch aus dem Rheinland importiert, wo bedeutende Vorkommen an Blei und Kalamin für die Manillenproduktion genutzt werden konnten; Kalamin etwa für das bei der Herstellung von Messing notwendige Zinkerz.
Kupfer aus Mansfeld und Banská Bystrica
Das für die Manillenfertigung gleicherweise erforderliche Kupfer indes wurde vielfach über den europaweiten frühneuzeitlichen Metallhandel bezogen. In diesem spielten etwa auch die Handelsnetze der Fugger eine bedeutende Rolle. Diese verbanden Bergbaugebiete etwa im Bereich Mansfeld und dem slowakischen Banská Bystrica (Neusohl) unmittelbar mit den Produktionszentren des Rheinlandes und dem atlantischen Hafenplatz Antwerpen im Westen.
Verträge zwischen Portugiesen und Fuggern
In seiner 2021 vorgelegten Promotionsschrift zur geochemischen Charakterisierung frühneuzeitlicher Buntmetallbarren und Halbfabrikate verweist Skowronek etwa auf einen Vertrag über die Produktion von Manillen aus dem Jahre 1548; geschlossen zwischen den Fuggern und dem portugiesischen Königshaus. Der Kontrakt verpflichtete das Handelshaus binnen dreier Jahre zur Lieferung von rund 1,4 Mio. Manillen, und zwar hauptsächlich solchen des robusteren „Elmina“-Typs, benannt nach der portugiesischen Hauptveste auf der Guineaküste. Die konkreten Produktionsorte im Römisch-deutschen Reich und die logistische Bewerkstelligung des riesigen Auftrages sind bislang nicht geklärt. Die Lieferanten müssen jedoch zuverlässig gewesen sein: Als bevorzugte Lieferzone niederländisch-flämischer und iberischer Atlantikkaufleute blieb das östliche Maas-Rhein-Gebiet noch für lange Zeit bedeutsam. Dies erklärt schließlich auch die vorgenannte Isotopenhomogenität des Bleis in den berühmten Beninbronzen der Edo.
Manillen aus britischer Massenproduktion
Wie erwähnt, gewannen ab dem 18. Jahrhundert jedoch Manillen aus britischer Massenproduktion an Bedeutung; begünstigten hierdurch im westafrikanischen Versklavungshandel möglicherweise auch epochemachend die Positionen britischer Slaver, Kaufleute und Plantageneigner. ― Tobias Skowronek verantwortet im Hinblick auf diese Fragenkomplexe ein seit 2022 laufendes Forschungsprojekt, das von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert wird.
Raub der Beninbronzen während britischer „Strafexpedition“ 1897
Manillen waren auch noch als Zahlungsmittel im Gebrauch, als britische Handelscompagnien die Küste des heutigen Nigerias schließlich auch formal unter ihre Kontrolle brachten. In diese Epoche fällt auch die gewaltsame Verbringung der einzigartigen Kunstwerke aus Benin-Stadt ― 1897 im Zuge einer britischen, sogenannten „Strafexpedition“, die über den Raub refinanziert werden sollte. In der Folge gelangten die Beninbronzen aus den Heiligtümern und Palastkomplexen des Oba auf den europäisch-amerikanischen Kunstmarkt; in beträchtlichem Maße jedoch in britische und deutsche Privatsammlungen und Museen.
Rückgabebemühungen der kolonialen Raubkunst nach Nigeria
Bemühungen um eine Restitution und Repatriierung der Plastiken reichen teils bis in die 1930er-Jahre zurück. Eine Dialoggruppe mit Repräsentanten aus Nigeria und Vertretern europäisch-amerikanischer Institutionen konnte jedoch erst ab 2007 einen Verständigungsprozess über eine Rückgabe der Bronzen in Gang setzen. Im Zuge dessen begannen insbesondere britische Universitäten und deutsche Museen zwischen 2021 und 2022 mit der Restitution geraubter Beninbronzen nach Nigeria. Im März dieses Jahres übergab die nigerianische Zentralregierung die Objekte schließlich in die Obhut des gegenwärtigen Oba von Benin, Ewuare II. Dieser wird sie nach gegenwärtigem Stand wohl in seinem Palast in Benin-Stadt zeigen. Als Leihgaben werden einige ausgewählte Stücke der Beninbronzen aus dem Besitz des Edo-Königshauses jedoch weiterhin auch in Deutschland zu sehen sein.
Königreich Benin im afrikanisch-atlantischen Versklavungshandel
Eine Rückgabe der Kunstobjekte nach Nigeria ― namentlich an das Herrscherhaus der Edo – ist unter post-sklavistischen Reparations- und Restitutionsverfechtern jedoch nicht unumstritten: So kritisiert eine Kampagne Schwarzer Amerikaner und Amerikanerinnen, teils Nachfahren aus dem heutigen Nigeria versklavter und in die Vereinigten Staaten verschleppter Menschen, entschieden die Rückgabebemühungen beiderseits des Atlantiks. Die Aktivisten verweisen etwa darauf, dass das Königreich Benin selbst tief in den atlantischen Versklavungshandel involviert war und sich dafür auch in europäischen Manillas bezahlen ließ ― aus welchen schließlich die herrschaftlichen Plastiken des Oba-Hofes gefertigt wurden. Die sogenannte „Restitution Study Group“ versucht seit Oktober vergangenen Jahres vor diesem Hintergrund etwa auch eine Rückgabe von 29 Beninbronzen durch die Washingtoner Smithsonian Institution gerichtlich zu stoppen.