Im Gefolge der Amerikanischen Rebellion und der Atlantischen Revolutionskriege steigt die Zahl Freier Schwarzer und manumittierter, ehemals Versklavter stark an. In Massen fliehen jene aus den amerikanischen Rebellengebieten hinter britische Linien; viele gelangen dabei auch in das heutige Kanada, nach Europa, dort insbesondere in britische Hafenstädte. Zugleich erschüttern Aufstände und Verschwörungen das sklavistische Gefüge des Atlantiks. In der französischen Kolonie Saint-Domingue kommt es mit der Haitianischen Revolution ab 1791 gar zur ersten, gewaltsam erkämpften Selbstbefreiung Versklavter und 1804 zur Gründung eines unabhängigen, post-sklavistischen Staatswesens.
Politik gradueller Abolition im Norden der Vereinigten Staaten
Innerhalb der neuen nordamerikanischen Konföderation verstärken diese Entwicklungen die Bereitschaft zur schrittweisen Abschaffung der Sklaverei; wenngleich eine Politik gradueller Abolition lediglich auf den Norden der Union beschränkt bleiben wird. Nicht selten auch religiös intendiert vollzieht sich dieser Prozess wesentlich in den 1780er-Jahren und kulminiert um die Jahrhundertwende in einer formellen Ächtung des transatlantischen Versklavungshandels; zunächst nur symbolpolitisch unter Führung des atlantischen Hegemonen Großbritannien, ab 1841 jedoch auch mit militärischer Unterstützung der zunehmend navalistischer agierenden Vereinigten Staaten.
Rassismus und Segregationismus
Diese Entwicklungen verändern zwar regionale Sklavismusdiskurse und haben auch unmittelbar demografische und (stadt)soziologische Auswirkungen, in Sonderheit indem sie die Zahl der Manumissionen und in der Folge auch die Präsenz freier Schwarzer in den Handelsmetropolen Nordamerikas und Britanniens anwachsen lassen ― die rassistisch-segregationistische Grundverfasstheit der weißen atlantischen Siedlergesellschaften in Stadt und Land verändern sie jedoch nicht.
Dies zeigt sich, als ab 1786 zunächst von London aus und schließlich auch in den Vereinigten Staaten ambitionierte Kolonisationsunternehmungen ins Werk gesetzt werden, deren erklärtes Ziel es ist, Schwarze aus Großbritannien, Britisch-Amerika und den Vereinigten Staaten auszusiedeln.
Siedlungsprojekte längs der Küsten Sierra Leones und Liberias
Verbracht werden sollen diese meist aus den städtischen Unterschichten stammenden Menschen an die westafrikanische Küste. Insbesondere die sogenannte „Pfefferküste“ wird dabei in den Blick genommen; gelegen zwischen der Mündung des Sierra de Leon und dem Cape Palmas; ein Gebiet, das parallel auch als Verschickungsziel für sogenannte „Recaptives“ an Bedeutung gewinnt, das heißt, ab der Jahrhundertwende aus Schmugglerschiffen befreiten Afrikanern, für die eine Rückkehr in ihre Heimat nicht möglich oder aus imperialwirtschaftlichen Gründen nicht gewünscht ist. Nicht selten werden jene Repatriierten an der Pfefferküste einem als „Lehrzeit“ verbrämten Arbeitsregiment unterworfen. In den ab 1792 beginnenden Siedlungsprojekten längs der Küsten des heutigen Sierra Leone und Liberia verbinden sich von Beginn an also kolonialistisch-geoökonomische, abolitionistische und religiöse Motive mit einer unverhohlen rassistischen Ideologie. Partiell handelt es sich, gerade in Hinsicht Blick auf die „Recaptives“ und aller philanthropischen Bekundungen zum Trotz, schlicht um sklavistische Transformationen des Atlantiks. Mit Blick auf Herrschaftspirationen gegenüber der indigenen Bevölkerung in den Regionen um frühe Formen eines allmählich in das Küstenhinterland vordringenden europäischen Plantagenkolonialismus.
Die „American Colonization Society“
Die ab der Jahrhundertwende produzierten Aussiedlungs- und Kolonisationsdiskurse treffen jedoch vielfach auf entschiedene Ablehnung, insbesondere seitens Schwarzer amerikanischer Antirassisten und Abolitionisten; dennoch gelingt es beiderseits des Atlantiks allmählich, weitreichende politische und finanzielle Unterstützung für die Siedlungsvorhaben zu finden. Eine führende Rolle nimmt dabei die sogenannte „American Colonization Society“ (ACS) ein, welche in besonderem Maße mit der politischen Führungsriege der jungen Republik in Washington verbunden ist. Bereits 1820 vermag sie, Schwarzen Kolonisten nach Cape Mesurado, nahe der heutigen liberianischen Hauptstadt Monrovia, zu führen. Ungeachtet aller Rückschläge und Risiken gelangen während des 19. Jahrhunderts mithilfe der ACS etwa 16.000 Schwarze Amerikaner nach Liberia; ihren Siedlungen werden zwangsweise außerdem Tausende Recaptives des Atlantiks angefügt; 1860 etwa überlebende Versklavte, welche zuvor an Bord dreier US-amerikanischer Sklavenschmuggler vor der Küste Kubas aufgebracht worden waren.
Schwarze Kolonisten aus der englischsprachigen Karibik
Neben Siedlern aus der nordamerikanischen Union und den erwähnten „Recaptives“ tritt noch eine weitere, ungleich kleinere Gruppe von Immigranten: Schwarze Kolonisten zumeist aus Britisch-Westindien, wo seit 1834 das System der Versklavung formell abgeschafft worden ist. Viele der ehemals Versklavten und ihre Nachfahren leben jedoch auch Jahrzehnte nach der Emanzipation in tiefer Armut. Von politischer Teilhabe oder höherer Bildung sind die meisten von ihnen auch weiterhin ausgeschlossen. Die weiße Pflanzeroligarchie Britisch-Westindiens verhindert dies gezielt; gleichfalls zugunsten eines rassistisch-segregationistisch konstruierten Gesellschaftssystems.
Barbados, Sierra Leone, Liberia
Vor diesem Hintergrund gelingt es 1864 einem regionalen Ableger der American Colonization Society auf Barbados, eine beträchtliche Zahl von Siedlern für Liberia anzuwerben. Als Projektionsfläche für entschieden bajanische, religiös-zivilisatorische Zukunftserwartungen ist die Region im Westen Afrikas bereits seit den 1850er-Jahren im Blickpunkt afro-barbadischer Interessen: 1857 hat sich auf der Karibikinsel eine eigene, Schwarze Missionsgesellschaft gegründet. Sie wird am Rio Pongo im heutigen Guinea aktiv, nördlich des britisch-kontrollierten Freetown, seit Jahrzehnten bereits eines der beiden Zentren der Recaptivo-Siedlungen in Westafrika. ― Unter den umworbenen afrikanisch-barbadischen Handwerkern und Farmern treten nun jedoch politische und ökonomische Aspirationen stärker in den Vordergrund; Liberia erscheint ihnen vor allem als Möglichkeit zu vollumfänglicher politischer Partizipation als gleichberechtigte Besitzbürger und Repräsentanten einer anglo-protestantischen, Schwarzen Zivilisation.
Unterstützung durch liberianische Regierung
Als Schirmherr der durchaus kostspieligen und riskanten Auswanderung fungiert 1864 der damalige Präsident Liberias, Daniel Bashiel Warner (1815-1880); selbst noch als Freier Schwarzer gebürtig auf dem Territorium der Vereinigten Staaten, gelangt Warner bereits als Kind an die Pfefferküste und wächst dort in die erste Generation der ameriko-liberianischen Führungselite hinein. Nach der diplomatischen Anerkennung Liberias 1862 durch die USA bemüht sich das westafrikanische Land verstärkt um die Anwerbung afrikanischstämmiger Kolonisten aus der Karibik, insbesondere um Farmer und Handwerker.
Verstärkte Anwerbebemühungen
― Die Antebellum-Periode und die Ära des Amerikanischen Bürgerkrieges sind eine Zeit verstärkter Anwerbebemühungen unter Schwarzen Amerikanern und karibischen Kreolen. Die etablierten westafrikanischen Siedlungsplätze Liberia und Sierra Leone konkurrieren dabei zeitweilig auch mit gleich gerichteten emigrationistischen Initiativen von Haiti aus. Die Lincoln-Administration hingegen ist 1862 bemüht, an der Küste Panamas eine weitere Aussiedlungskolonie für Schwarze Amerikaner zu etablieren; sie folgt dabei neuerlich einer dezidiert rassistisch-segregationistischen Agenda.
Crozierville: Afro-Bajans in Liberia
Durch die Bemühungen der barbadischen ACS-Filiale und der Warner-Administration gelangen 1865 schließlich 346 Afro-Bajans nach Liberia. Sie gründen dort nordöstlich von Monrovia die Siedlung Crozierville (auch Crozerville). Ihre neue Heimat wird dabei nach zwei Führungsgestalten der „American Colonization Society“ benannt: John Price Crozer (1793-1866), einem Gönner der ACS, und seinem Bruder Samuel A. Crozer; Letzterer begleitete als Repräsentant der ACS 1820 die erste Siedlergruppe nach Liberia.
Erfahrene Tropenlandwirte und Handwerker aus Barbados
Die agile und gut angepasste Siedlergemeinschaft vermag rasch an der Pfefferküste zu prosperieren; die barbadischen Einwanderer sind zumeist erfahrene Tropenlandwirte; von ihnen angebaute Brotfrüchte, Yamswurzeln sowie das Blattgemüse Taro finden in Liberia schnell einen Markt; ebenso der von ihnen produzierte Zuckerrohrsaft bzw. Rum. Doch auch die vielen Handwerkerfamilien in ihren Reihen reüssieren in Liberia; als Schumacher, Schneider oder Tischler können sie sich oftmals auch in benachbarten Siedlungen etablieren. ― Die seitens der Regierung in die Barbadier gesetzten Erwartungen zum Aufbau großer Zuckerrohrpflanzungen erfüllen sich an der Pfefferküste jedoch nicht.
Verschmelzung mit Ameriko-Liberianern
Vermöge ihres wirtschaftlichen Erfolges und ihrer Anglisiertheit werden die barbadischen Einwanderer und ihre Nachkommen rasch in die Gemeinschaft der Ameriko-Liberianer amalgamiert; wie erwähnt der politischen Führungsschicht der Republik. Arthur Barclay (1854-1938), der noch auf Barbados geboren wurde und als Kind nach Liberia kam, amtiert gar zwischen 1904 und 1912 als 15. Präsident der Republik Liberia. Aus dem Stratum der Ameriko-Liberianer rekrutiert sich über viele Jahrzehnte hinweg die politische und wirtschaftliche Elite Liberias ― bis zu einem blutigen Putsch im Jahre 1980, welcher ihre Vorherrschaft faktisch beendet. Die wachsenden Instabilität Liberias führt zwischen 1989 und 2003 zu einem brutalen Bürgerkrieg; in dessen Folge wird die ursprüngliche Hauptsiedlung der Afro-Bajans in Crozierville teilweise zerstört.
Aktuelle Forschungen zur Geschichte der Crozierville-Siedler
Dessen ungeachtet ist das Interesse an der Geschichte dieser westindischen Immigrantengruppe bis heute ungebrochen. In den vergangenen Jahren hat sich insbesondere der akademisch-wissenschaftliche Fokus auf die Crozierville-Siedler verstärkt. Vor rund zehn Jahren bereits begann die archäologische Erforschung ihrer Mutterkolonie bei Monrovia; angeregt durch zwei in den Vereinigten Staaten arbeitende Wissenschaftler, Caree A. Banton und Matthew C. Reilly. Reilly führte mit liberianischen Studierenden 2018 und 2019 die ersten archäologischen Sondierungen in Crozierville durch. Banton promovierte 2019 über die Entstehungsgeschichte der barbadischen Ansiedlung und ihre Integration in das politische Identitätsgefüge Liberias, insbesondere auch im Verhältnis zur autochthonen Bevölkerung der Region.
Die „Africa-Barbados Heritage Initiative“ und Crozierville
Neben den Forschungsaktivitäten der Academia treten seit vielen Jahren auch dezidiert familienkundliche und diasporische Vernetzungsinitiativen hervor, insbesondere unter der zahlreichen Nachkommenschaft der Crozierville-Kolonisten. Ihre Wurzeln reichen bereits in das Jahr 1965 zurück, des ersten Zentenariums der barbadischen Ansiedlung, welchem seinerzeit insbesondere in Liberia und auf Barbados gedacht wurde. Gegenwärtig werden diese genealogischen und familiengeschichtlichen Interessenschwerpunkte vor allem durch die „Africa-Barbados Heritage Initiative“ (TABHI) befördert; gegründet wurde der Zusammenschluss durch den ehemaligen liberianischen Diplomaten L. Llewellyn Witherspoon. Die kulturpolitische Vereinigung unterstützt nun auch eine für das kommende Jahr geplante Gedenkreise nach Barbados: „Sankofa Back2Barbados Pilgrimage“. Sie ist nach einem international verbreiteten Symbol der afrikanisch-atlantischen Diaspora benannt, dem Sankofa-Vogel, einem mythischen Wesen in der Religion der Akan.
Intensivierung der barbadisch-liberianischen Beziehungen
Die Memorialreise nach Barbados soll zwischen dem 6. und dem 13. Mai 2024 stattfinden; während der traditionellen Feierlichkeiten im Gedenken an die Befreiung der Versklavten von Barbados also, der „Season of Emancipation“. Die Organisatoren der „Sankofa Back2Barbados Pilgrimage“ erwarten für Mai mehrere Hundert Besucher auf Barbados; insbesondere Nachfahren der Emigranten aus Liberia und ihrer weltweiten Diaspora. Neben dem Besuch historischer Stätten und Archive auf Barbados dient das Treffen auch einer Intensivierung der barbadisch-liberianischen Beziehungen im Besonderen und der Vorbereitung des 160. Jahrestages der Auswanderung nach Liberia, welcher 2025 begangen werden soll.
Barbados, die „Zuckerinsel“
Barbados gilt neben St. Kitts als Geburtsstätte der englisch-karibischen Plantagenökonomie und ihres Versklavungssystems. Früh stieg die Insel zum wichtigsten Zuckerproduzenten der „English Caribbees“ auf. Zur Zwangsarbeit auf barbadischen Plantagien wurden bereits in einer ersten Hochphase der Zuckerrietproduktion etwa 134.500 Afrikaner und Afrikanerinnen nach Barbados verschleppt. 1834 wurde die Sklaverei auf Barbados schließlich, wie vorerwähnt, nach rund 200 Jahren abgeschafft. Barbados erlangte 1966 seine Unabhängigkeit von Großbritannien. Doch erst 2021 erklärte sich der Inselstaat zur Republik.