Start Peter Stuyvesant auf Sint Maarten, 1644

Peter Stuyvesant auf Sint Maarten, 1644

Jahrelang belauert die niederländische Westindien-Compagnie die 1633 an die Spanier verlorene Antilleninsel Sint Maarten. Neben ihrer günstigen Lage im Nordbogen der Kleinen Antillen wird die Insel niederländischerseits vor allem wegen ihrer großen Salzvorkommen geschätzt. 1644 scheint die Situation für eine Rückeroberung des Eilandes besonders aussichtsreich. Die spanische Garnison auf Sint Maarten ist ausgehungert und durch Krankheiten geschwächt. Eine niederländische Invasionsstreitmacht unter dem Gouverneur von Curaçao, Peter Stuyvesant, soll den Angriff gegen die begehrte Salzinsel durchführen. Am 22. März 1644 kommt es jedoch für Feldkommandant Stuyvesant in den Hügeln von Sint Maarten zur Tragödie.

Er ist eine der Zentralgestalten der Geschichte New Yorks: Peter Stuyvesant (um 1612-1670), Gouverneur der Neu-Niederlande (Nieuw-Nederland) in Nordamerika zwischen 1647 und 1664. Keiner der niederländischen Gouverneure von Nieuw-Nederland amtierte länger am Hudson als der legendäre Petrus Stuyvesant. In den populären amerikanischen Bilddarstellungen des 19. Jahrhunderts erscheint Stuyvesant nicht selten als grimmig dreinblickendes Original der New Yorker Frühgeschichte. ─ „Holzbein-Piet“ („Peg leg Pete“), der Holländer, der mit einer silbernägelbeschlagenen Holzprothese durch Nieuw-Amsterdams schmale Blockhausgässchen humpelt und bärbeißig Befehle gibt. In der Perspektive des amerikanischen Exzeptionalismus ist Stuyvesants Amtszeit, ebenso wie die Präsenz der kleinen Kaufmannsrepublik an der Ostküste selbst, allenfalls eine kuriose Episode am Beginn der eigentlichen Geschichte des „Empire State“ ─ und seines zentralen Hafenplatzes, New York.

Peter Stuyvesant als Gouverneur von Nieuw-Nederland

Der aus der friesischen Provinz stammende Gouverneur ist Kriegsinvalide. 1644 muss sein rechtes Bein nach einem offenen Bruch amputiert werden. Während der Belagerung einer spanisch-kontrollierten Antilleninsel durch Soldaten der niederländischen Westindien-Compagnie (WIC) hat eine Kanonenkugel seinen Unterschenkel fast völlig abgerissen. Doch Stuyvesant ist offenbar äußerst willensstark. Ab 1647 kann er seine Laufbahn bei der WIC fortsetzen. Sittenstreng und machtbewusst lenkt der Predigersohn fortan die Geschicke der kleinen niederländischen Ansiedlung zwischen Delaware Bay und Hudson River.

Unter Stuyvesants Ägide entwickeln sich die Neu-Niederlande alsbald zum lästigen Widerpart der Engländer an der Ostküste. Erst 1664 gelingt den Engländern die Eroberung der Neu-Niederlande mit ihrem Hauptort Nieuw-Amsterdam, dem späteren New York. Damit bilden die englischen Kolonien in Nordamerika erstmals ein zusammenhängendes Herrschaftsgebilde, von Neuengland im Norden bis nach Virginia im Süden. Eine wichtige historische Durchgangsstation der englischen Expansion auf dem amerikanischen Kontinent.

Die niederländische Westindien-Compagnie in Brasilien

Während die englischen Kolonien in Nordamerika und Westindien kräftig prosperieren und expandieren, befindet sich die niederländische Westindien-Compagnie 1664 längst in einer ernsteren Krise. Als Organisationsgehäuse des niederländischen Stützpunkt- und Plantagenkolonialismus in der Neuen Welt bewegt sich die halbstaatliche Monopolgesellschaft immer wieder am Rande des Bankrotts. Die Krise der WIC hat einen langen Vorlauf: Der Ende der 1620er Jahre begonnene Eroberungskrieg gegen die Portugiesen im Nordosten Brasiliens hat die niederländische Handelsgesellschaft nach und nach ruiniert. Rund zehn Jahre vor dem Fall Neu-Niederlands haben sich die Niederländer bereits aus ihrem „Nieuw-Holland“ am Amazonas zurückziehen müssen. Der Traum von einem atlantischen Zucker- und Sklavenimperium in Brasilien ist geplatzt. Die Kriegskasse ist leer. Der Aktienkurs der Handelsgesellschaft im freien Fall.

Das Ende der niederländischen Präsenz am Hudson

Die pekuniären Folgen des brasilianischen Abenteuers spürt man im fernen Nieuw-Nederland noch Jahre später. Dies betrifft unter anderem auch die holzbewehrten Fluss- und Waldfaktoreien der WIC, die den umliegenden Indianerstämmen als zentrale Tauschhandelsplätze dienen. Hier werden regelmäßig europäische Manufakturwaren gegen indianische Pelze getauscht. Über viele Jahre ein höchst einträgliches Geschäft für die Aktionäre der WIC. Viele niederländische Palisadenforts an der Peripherie des Nieuw-Nederland-Territoriums sind jedoch völlig unterbesetzt; im Kriegsfalle können die verstreuten Handelsposten im Nirgendwo der nordamerikanischen Wälder einfach überrannt werden. Als Gouverneur Peter Stuyvesant 1664 die Übergabe des vergleichsweise gut gerüsteten Forts von Nieuw-Amsterdam unterzeichnen muss, bedeutet dies folgerichtig den Anfang vom Ende der niederländischen Präsenz in Nordamerika.

Stuyvesants Laufbahn bei der Westindien-Compagnie

17 Jahre zuvor, zu Beginn von Stuyvesants Amtszeit als General-Gouverneur von Nieuw-Nederland, ist die Lage noch etwas günstiger; die Westindien-Compagnie befindet sich im Atlantikraum zwar noch auf Expansionskurs, aber in Brasilien gerät die Handelsgesellschaft bereits immer mehr in einen unbarmherzigen Kleinkrieg mit den Portugiesen. Stuyvesants Karriere bei der WIC ist in den 1630er und 1640er Jahren eng mit der Generalstrategie der niederländischen Handelsgesellschaft für den Atlantikraum verbunden. Ziel des sogenannten „Groot Desseyn“, des Generalplans der WIC für ihr atlantisches Monopolgebiet: die Iberer, insbesondere die Portugiesen, als Machtfaktor in der Neuen Welt weitestgehend auszuschalten.

Stuyvesant Laufbahn führt ihn nach einem skandalträchtig abgebrochenen Theologiestudium Mitte der 1630er Jahre zunächst auf die atlantische Inselgruppe Fernando de Noronha vor der brasilianischen Küste; hier unterhält die niederländische Westindien-Compagnie zeitweilig einen Außenposten. Einige Jahre später gelangt er nach Curaçao, einem weiteren Stützpunkt der Westindien-Compagnie vor der Nordküste der spanischen Tierra Firme. Von Curaçao werden zu dieser Zeit vor allem Kaper- und Schmuggelfahrten organisiert und verproviantiert.

Insulare, militärisch-gesicherte Versorgungspunkte spielen in den Überlegungen der Westindien-Compagnie seinerzeit eine wichtige Rolle. Die antillischen Außenposten der Compagnie bilden gleichsam die dritte Säule des niederländischen Stützpunktsystems im Atlantikraum. ─ Neben den wirtschaftlich bedeutenderen Festlandsstützpunkten, Faktoreien und Plantagenkolonien der Niederländer in Brasilien, den Guianas, am Hudson und an der westafrikanischen Küste.

Die Westindien-Compagnie und Sint Maarten

Curaçao ersetzt seit 1634 mehr schlecht als recht die nur ein Jahr zuvor durch die Spanier eroberte Salzinsel Sint Maarten. Das von den Spaniern als „San Martín“ bezeichnete Eiland befindet sich im nordöstlichen Inselbogen der Kleinen Antillen. In den ehrgeizigen Planungen der WIC-Führungsriege in Amsterdam bildet die östliche Karibik eine wichtige Verbindungslinie für die Militäroperationen im Norden Brasiliens. Sint Maarten ist gerade auch dank seines gut geschützten Naturhafens im Süden der Insel für diese Planungen bestens geeignet. Truppentransporte und Versorgungsschiffe aus Europa oder von der nordamerikanischen Küste können hier sicher vor Anker gehen; ebenso etwaige Kaperflotten, die im Bereich der spanischen Antilleninseln Kuba, Hispaniola und Puerto Rico operieren. Überdies eignet sich die Insel mit ihren reichen Meersalzsalinen als Zielhafen für niederländische Salzfahrer.

Mehr noch: das lukrative karibische Salzeiland liegt in unmittelbarer Nachbarschaft einer ganzen Reihe aufstrebender Plantageninseln in den Kleinen Antillen. Seit Mitte der 1620er Jahre haben sich französische und englische Pflanzer auf St. Kitts niedergelassen und sind bereits zur Gründung von Tochtersiedlungen auf benachbarten Inseln übergegangen. Zudem sind mit Barbados und Martinique längst weitere Kolonisationskerne im Süden und Osten der Antillenkette entstanden. Für niederländische Kauffahrteischiffe warten in den kleinen Häfen dieser Inselkolonien regelmäßig gute Geschäfte. Die seeländischen und holländischen Kauffahrer liefern nicht nur zuverlässig europäische Güter, sie nehmen den Siedlern auch wertvolle Tabakernten und in zunehmendem Maße auch karibischen Zucker ab. Auch niederländische Siedler konnten sich in den 1630er und 1640er Jahren erstmalig auf zwei kleineren Inseln im Bereich der „Leewards“ festsetzen. Die beiden Eilande Saba und Sint Eustatius sind angesichts ihrer geringen Anbaufläche für die Westindien-Compagnie jedoch nur zweite Wahl.

„So weit der Erdkreis reicht“

Salz und Zucker für die Wirtschaft der Vereinigten Niederlande, lukrative Schmuggelgeschäfte und Kaperfahrten im gesamten Atlantikraum: In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind die Pläne der Niederländer für ihr atlantisches Imperium mehr als ehrgeizig. Hochfliegende globale Aspirationen gehören zum guten Ton in den Kaufmannskreisen von Holland und Seeland. Nicht wenige Aktionäre der WIC haben ihr Kapital ohnedies auch in die asienweit operierende Ostindien-Compagnie (VOC) der Niederlande investiert. ─ „Qua patet orbis“, „So weit der Erdkreis reicht“, lautet auch der Wahlspruch des niederländischen General-Gouverneurs für Brasilien, Johan Maurits van Nassau-Siegen (1604-1679); der Fürst weilt zwischen 1637 und 1644 in Südamerika und dürfte neben Stuyvesant und dem Piraten Piet Hein wohl zu den bekanntesten WIC-Angestellten der Geschichte zählen.

Im Geiste des „Groot Desseyn“ agiert auch Peter Stuyvesant, der um 1642 zum Gouverneur von Curaçao und seinen Nachbarinseln Aruba und Bonaire aufsteigt. Unmittelbar vor der Küste des Spanischen Amerika stationiert, erweist sich Stuyvesant als wahrer Haudegen der Karibik. Einen Invasionsversuch der Spanier gegen Curaçao zu Beginn seiner Amtszeit beantwortet Stuyvesant etwa mit einem zweiwöchigen Beutezug entlang der venezolanischen Küste. Curaçaos neuer Gouverneur gilt als zuverlässig, energisch und ehrgeizig. Ganz nach den Vorstellungen seiner Geldgeber und Vorgesetzten also. Immer wieder empfiehlt er schließlich auch dem Leitungsgremium der WIC in Amsterdam die Rückeroberung des seit 1633 unter spanischer Kontrolle befindlichen Sint Maartens.

Die spanische Garnison auf Sint Maarten

1644 scheint die Situation für eine Rückeroberung Sint Maartens besonders günstig: Die Garnison auf dem spanisch-kontrollierten Salzeiland ist in einem völlig desolaten Zustand. Seit Jahren leidet der abgelegene Stützpunkt unter ausbleibenden Soldzahlungen, Meutereien, unregelmäßigen Lebensmittellieferungen und Krankheiten. Die katastrophale Lage des spanischen Forts ist dabei nur symptomatisch für den Zustand des Spanischen Imperiums beiderseits des Atlantiks. Der Machtbereich der Spanier in den Amerikas ist im 17. Jahrhundert vollkommen überdehnt; die Kämpfe auf dem europäischen Kontinent haben die iberische Großmacht zusätzlich ausgelaugt; in den vergangenen fünfzig Jahren haben überdies gleich mehrere Staatsbankrotte das spanische Staatswesen schwer erschüttert. 1640 zerbricht zuletzt gar die seit 1580 bestehende Union mit Portugal infolge einer Revolte. Geld für den Unterhalt des amerikanischen Stützpunktsystems ist jetzt kaum noch vorhanden; Patrouillenfahrten der Armada Española, der spanischen Marine, sind in der Ostkaribik eher eine Seltenheit.

Seit Jahren plädieren die Verantwortlichen vor Ort, auf Sint Maarten, Puerto Rico und Hispaniola, die spanische Garnison in den Kleinen Antillen aufzugeben. 1644 ist die Zahl der dienstfähigen spanischen und portugiesischen Soldaten in Sint Maarten auf gerade einmal 140 Mann geschrumpft. Dank ihrer zentralen Rolle im westindischen Frachtverkehr sind die Niederländer und mit ihr die WIC stets gut über die Verhältnisse in der Karibik unterrichtet. Auch die Lage auf Sint Maarten ist ihnen nicht entgangen. Über den Kontaktpunkt St. Kitts südöstlich von Sint Maarten ist die Kunde von der darbenden Garnison der Kastilier schließlich auch bis nach Curaçao gedrungen. Das hat einen einfachen Grund: Regelmäßig wird St. Kitts nicht nur von niederländischen Handelsschiffen angelaufen, sondern auch von spanischen Versorgungsbooten aus Sint Maarten; von dort gelangen dringend benötigte Trinkwasservorräte nach „San Martín“. Sint Maarten selbst verfügt über keinerlei fließende Gewässer; über mehrere Monate im Jahr herrscht auf der Antilleninsel zudem Trockenzeit.

Angriff auf Sint Maarten unter Peter Stuyvesant

Im Frühjahr 1644 wollen die Niederländer ihre Chance nutzen: unter Stuyvesants Kommando entsendet die niederländische Westindien-Compagnie eine Invasionsflotte von 10 Schiffen und rund 1.000 Soldaten in Richtung Sint Maarten. Möglicherweise verstärkt Stuyvesant seine Truppen zusätzlich auf Sint Eustatius. Zudem werden der maritimen Streitmacht auf St. Kitts noch mehrere, flach gehende Landungsboote hinzugefügt. Jene überstehen offenbar unbeschadet das letzte Teilstück der Angriffsfahrt nach Sint Maarten. Am Morgen des 20. März 1644 trifft die niederländische Flotte schließlich vor der spanisch-besetzten Antilleninsel Sint Maarten ein. Die Invasion der verlorenen Salzinsel Sint Maarten kann beginnen.

Eine direkte Einfahrt in Sint Maartens zentraler Great Bay im Süden scheint der niederländischen Armada nicht möglich. Seitdem die Spanier 1633 eine kleine Geschützbatterie auf dem Pointe Blanche im Osten der Bucht errichten ließen, ist die Bai von beiden Seiten relativ gut gesichert. ─ Was die Niederländer jedoch nicht wissen: Aufgrund der desaströsen Verhältnisse in der spanischen Garnison ist die Batterie auf dem rund 132 Meter hohen Küstenplateau gar nicht bemannt. Nichts ahnend weichen die Niederländer also gen Westen aus und landen ihren Truppen nach einem kurzen Artilleriegefecht in der Kay Bay, abseits des spanischen Hauptforts und seiner Kanonen.

Die Aufstellung der Niederländer

Von der Kay Bay aus machen sich die Niederländer in das Innere Sint Maartens auf. In der hügeligen Landschaft nordwestlich des spanischen Hauptforts an der Great Bay beziehen die Niederländer ihr Feldlager. Geschützt im Dickicht der Wald- und Buschlandschaft des frühneuzeitlichen Sint Maartens beginnen sie, einen Belagerungsring um die spanische Festung zu bilden. Das auf einer schmalen Landzunge im Westen der Great Bay gelegene Fort der Spanier lässt sich von der Landseite problemlos abriegeln. Ihr Campement sichern die Niederländer mit einer langen Postenkette. Die Wachen verschanzen sich dabei hinter einem dichten Wall aus Dornengestrüpp und einer improvisierten Mauer, mutmaßlich aus Feldsteinen. Der eilends aufgerichtete Verteidigungswall soll einen möglichen Ausbruch der Spanier nach dem Lager der Niederländer oder dem Inneren der Insel abwehren.

Auf den umliegenden Hügeln an der Südküste Sint Maartens errichten Stuyvesants Truppen zudem zwei Geschütztstellungen: Vom Kay Bay Hill sichern sie ihre Landungsstelle; und von einem kleinen Hügel nahe des spanischen Kastells nehmen sie Selbiges unter direktes Feuer. Stuyvesant sucht das Gelände im Norden der spanischen Festung optimal zu nutzen: Die niederländischen Soldaten verfügen dank seiner Aufstellung nun über kurze Kommunikations- und Laufwege zwischen dem Lager, den Geschützstellungen, mehreren Brackwasserstellen und dem Strand. Dennoch macht das stellenweise dichtbewachsene Terrain immer wieder zu schaffen. Dies gilt vor allem für die Artillerieeinheiten, die sich mit ihrem schweren Gerät zunächst durch die Landschaft kämpfen müssen. In der Folge sind die beiden Geschützstellungen der Niederländer erst am 22. März gefechtsbereit. Mit seinem engen Belagerungsring sucht Stuyvesant einen unmittelbaren Einsatz der Infanterie vorerst zu vermeiden. Der Friese setzt zunächst ganz auf die zahlenmäßige Überlegenheit seiner Truppen und die vollständige Abriegelung der spanischen Hauptgarnison zu Wasser und zu Lande. Den Rest mögen die Artillerie, der Hunger und der Durst besorgen. Ein Trugschluss, wie sich zeigen wird.

Stuyvesants schwere Verwundung in den Hügeln von Sint Maarten

Zunächst entsendet der niederländische Feldkommandant den Spaniern ein Ultimatum; bis zum nächsten Morgen solle sich die Garnison ergeben; das Salzeiland gehöre seit jeher der Westindien-Compagnie und die Niederländer würden es sich nötigenfalls mit Gewalt zurückholen. Um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen, erklimmt der zum Admiral beförderte Stuyvesant am 22. März 1644 den Geschützhügel nahe der spanischen Festung. Hier hisst er demonstrativ seine Standarte als ihn und seine obersten Befehlshaber unverrichteter Dinge spanische Kanoniere ins Visier nehmen. ─ Die Geschützsalve aus dem Fort der Spanier ist verheerend: Eine spanische Kanonenkugel schlägt unmittelbar auf dem rund 70 Meter hohen Geschützhügel der Niederländer auf und trifft Stuyvesants rechtes Bein. Mit einem offenen Beinbruch muss der niederländische Kommandeur vom Feld getragen werden. Die Eisenkugel hat beinahe den gesamten Unterschenkel abgetrennt.

Auch der neben Stuyvesant stehende Kapitän seines Flaggschiffes BLAUWE HAAN wird durch das spanische Geschoss schwer verwundet: Teile eines durch die Kanonenkugel abgesprengten Felsens verletzen ihn im Gesicht. Der niederländische Schiffer verliert dabei ein Auge. Nach einem längeren Marsch durch das semiaride Hügelgelände im Süden Sint Maartens und einer für Stuyvesant nicht minder beschwerlichen Überfahrt zu seinem Flaggschiff wird Stuyvesants rechter Unterschenkel schließlich an Bord der BLAUWE HAAN amputiert. Der Schiffsphysikus will hierdurch den berüchtigten „Faulbrand“ verhindern; eine sogenannte „Gangrän“ kann etwa durch eine Wundinfektion ausgelöst werden und in kürzester Zeit zum Tode führen.

Die Spanier spielen auf Zeit

Die Moral der niederländischen Invasionskräfte ist nach der lebensbedrohlichen Verwundung ihres Oberbefehlshaber schwer erschüttert. Das Kommando für die Landstreitkräfte übernimmt nun Stuyvesants Stellvertreter, Jacob Polak, Commandeur der niederländischen Veste auf Bonaire. Der neue Feldkommandant muss sich offenbar auf einen längeren Aufenthalt unter der Sonne Sint Maartens einrichten: Sint Maartens spanischer Inselgouverneur Guajardo Fajardo lehnt das niederländische Ultimatum rundweg ab. Die Kanonensalve der Spanier auf die niederländische Geschützstellung gab hiervon schon einen ersten Eindruck. Ab jetzt spielen die Castilianer auf Zeit.

Ihre Chancen, der niederländischen Belagerung eine ganze Weile standzuhalten, schätzen sie offenbar optimistisch ein. Und das nicht nur wegen des Desasters auf der niederländischen Geschützstellung, das den Spaniern in ihrem Fort keinesfalls entgangen ist. ─ Nicht einmal 24 Stunden vor dem Eintreffen der niederländischen Invasionsflotte ist auf Sint Maarten ein spanisches Versorgungsschiff aus Puerto Rico eingetroffen. Ein seltener Glücksfall für die leidgeprüfte Garnison, die während ihrer periodischen Hungerphasen gar Jagd auf Eidechsen und Ratten machen muss. Die spanische Besatzung auf Sint Maarten verfügt im März 1644 also über vergleichsweise gut gefüllte Vorratsspeicher. Zudem konnte die Garnison das Vieh, welches die spanischen Soldaten rund um das Fort halten, mit dem Eintreffen der niederländischen Invasionsflotte noch rechtzeitig in die Festung treiben.

Die niederländische Belagerung von Sint Maarten

Während der Riegel um das Fort von der Landseite her nahezu undurchdringlich scheint, sieht es bei der niederländischen Seeblockade offenbar gänzlich anders aus. Wenige Tage nach Stuyvesants Verwundung gelingt es mehreren spanischen Booten noch in die Great Bay zu segeln. Vermutlich handelt es sich um einige kleinere Versorgungsschiffe der spanischen Garnison, die zufälligerweise einige Tage zuvor zum Tauschhandel nach St. Kitts gesandt worden sein könnten.

Weit bedenklicher für die niederländische Belagerungs- und Blockadestrategie ist jedoch der erfolgreiche Ausbruch eines spanischen Seglers am 27. März 1644 aus der Great Bay ─ Richtung Puerto Rico. Für die Niederländer wächst nun die Gefahr, dass die Kastilier in ihrem Fort in kürzester Zeit Verstärkung von den Spanischen Antillen erhalten. Allzu viel Zeit bleibt den Soldaten der Westindien-Compagnie also nicht mehr. Die kosten- und ressourcensparende Aushungerungsstrategie der Westindien-Compagnie könnte unerwartet scheitern. Doch noch zögern die Niederländer unter Polak, ihre Landstreitmacht zum Einsatz zu bringen.

Zunächst folgen mehrtägige Artilleriegefechte zwischen dem Fort und den niederländischen Kanonen von See und von Land her. Dank ihrer günstigeren Position im Gelände sind die Niederländer hierbei von Land aus durchaus erfolgreich. Das Kastell der Spanier erhält mehrere schwere Treffer. Unter anderem zerstören die niederländischen Kanonenkugeln die Zisternen und Teile der spanischen Vorratsspeicher. Doch auch den Kastiliern gelingen vereinzelt artilleristische Erfolge: so wird etwa Stuyvesants Admiralsschiff, der BLAUWE HAAN, während einer der täglichen Kanonadenrituale schwer beschädigt.

Niederländischer Angriff auf das Fort der Spanier

Erst am 31. März 1644, nächtens, beinahe zwei Wochen nach dem Beginn der niederländischen Invasion auf Sint Maarten, beginnen die Landungstruppen der niederländischen Westindien-Compagnie mit ihrem ersten Infanterieangriff. Der durch Polak ausgesandte Kommandotrupp niederländischer Musketiere wird jedoch von spanischen Wachsoldaten entdeckt und in einem desperadohaften Ausfallversuch der Spanier im Felsengewirr rund um das kastilianische Fort massiv attackiert. Der Nahkampfangriff der Spanier versetzt die Niederländer offenbar in heillose Panik. Trotz ihrer erdrückenden Überlegenheit fliehen sie zurück in die Hügel im Norden der von den Spaniern gehaltenen Landzunge. Die Niederländer haben jetzt erstmalig eine größere Zahl von Verlusten zu beklagen. Einige der völlig verschreckten Soldaten sollen bei dem nächtlichen Ausbruch der Spanier gar über die Klippen ins Meer gesprungen sein.

Am 3. April folgt ein weiterer Angriffsversuch der Niederländer auf die Nordfront des spanischen Kastells. Doch auch dieser gelangt nicht bis an die Mauern des spanischen Forts. Die Niederländer unter ihrem Generaleutnant Polak verlegen sich nun neuerlich auf die Aushungerung der spanischen Garnison; unregelmäßig und damit munitionssparend schießen sie in den folgenden Tagen zudem erneut nach der Festung ihrer Erzfeinde von der Iberischen Halbinsel. Doch allzu viel Zeit haben die Niederländer nun nicht mehr.

Nächtlicher Durchbruch in die Great Bay von Sint Maarten

Am 15. April 1644 schließlich taucht unerwartet ein weiteres spanisches Versorgungsschiff vor „San Martín“ auf. Das am 27. März ausgebrochene Verbindungsboot der Garnison auf Sint Maarten konnte von Puerto Rico offenbar tatsächlich Hilfe holen. Und obgleich die Niederländer die Große Bucht im Süden Sint Maartens mit Wachbooten absichern, gelingt dem spanischen Versorger ein nächtlicher Durchbruch an den Nordstrand der Great Bay. Eine wahre Blamage für die Niederländer. Noch in der Nacht können die Spanier die kostbare Ladung des Bootes löschen; offenbar in Schussweite des spanischen Forts, sodass von Landseite kein weiterer niederländischer Angriff erfolgen kann. Zeit zu reagieren, hätten die niederländischen Posten an Land ohnedies wenig gehabt.

Für die Niederländer unter Polak ist nun unmissverständlich klar: Die Garnison hat nicht nur weitere Vorräte einschmuggeln können; das spanische Versorgungsschiff könnte gar die Vorhut einer ganzen Armada bilden, die sich bereits auf dem Weg nach Sint Maarten befindet. Für die Invasionsstreitmacht der Westindien-Compagnie ist die Belagerung der spanischen Garnison damit endgültig gescheitert. Die Niederländer beginnen ihre Geschütze unbrauchbar zu machen und geben ihre Zeltlager in den Wäldern von Sint Maarten schließlich am 17. April 1644 auf. Gedemütigt muss die niederländische Invasionsflotte von Sint Maarten absegeln.

Sint Maarten 1648

Ironie der Geschichte: Rund vier Jahre nach der gescheiterten Invasion auf Sint Maarten können die Niederländer den Süden der Antilleninsel tatsächlich wieder einnehmen. Und zwar völlig kampflos. Nach dem Westfälischen Frieden 1648 und einer Neuordnung des spanischen Stützpunktsystems in den Kleinen Antillen haben die Hispanier ihre Garnison auf „San Martín“ kurzerhand aufgegeben. Im Februar 1648 übernehmen niederländische Soldaten das von den Spaniern weitgehend zerstörte Fort an der Great Bay; wenig später wird Sint Maarten im Vertrag von Concordia mit den Franzosen schließlich aufgeteilt. Die Niederländer erhalten den Süden der Antilleninsel, die Franzosen den Norden, wo sie bis Anfang der 1630er Jahre bereits eine kleine Pflanzerkolonie unterhielten.

Zum Zeitpunkt des Vertrages von Concordia im März 1648 weilt Peter Stuyvesant bereits in Nieuw-Nederland. Nach einer längeren Rekonvaleszenzphase in den Niederlanden hat ihn die Amsterdamer Kammer der Westindien-Compagnie zum General-Gouverneur der niederländischen Kolonie am Hudson ernannt. Die Legende von „Holzbein-Piet“ und seinem strengen Regiments im Reich der Wälder und Flüsse von „Nova Belgium“ kann ihren Anfang nehmen.

Literatur:

  • Johan Hartog, De forten, verdedigingswerken en geschutstellingen van Sint Maarten en Saint Martin: van Jan Claeszen tot Willem Rink, 1631-1803. Zaltbommel 1997.
  • Henk den Heijer, Geschiedenis van de WIC. Opkomst, bloei en ondergang. Zutphen 2013.