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Sint Eustatius und die ANDREW DORIA

Eines der zentralen Probleme der Kontientalarmee während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges ist der beständige Mangel an Waffen und Schwarzpulver. Noch Ende des 18. Jahrhunderts verfügen Nordamerikas rebellische Kolonien kaum über eigene Waffenschmieden und Manufakturen; eine Folge der streng-merkantilistischen Wirtschaftspolitik der Briten. In der Ära des Ersten Empires ist diese vornehmlich auf die Förderung der Gewerbe und Protoindustrien im Mutterland selbst gerichtet. Mit dem Beginn der britischen Handelsblockaden gegen nordamerikanische Hafenstädte stellt sich für die Militärstrategen der Vereinigten Kolonien binnen Kurzen ein schier unlösbares Problem: Monat für Monat müssen nun große Mengen an Waffen und Munition ins Land geschmuggelt werden; unbemerkt an den Patrouillen und Spionen der Briten vorbei. Es ist dies die Stunde der Schmuggler und Schleichhändler, der Nacht- und Nebelaktionen in Buchten und Flussmündungen entlang der nordamerikanischen Küste.

Bisweilen gelangen militärische Güter aus kontinentaleuropäischer Produktion sogar auf direktem Wege über den Atlantik. Niederländische Hafenstädte sind von Anfang an wichtige Drehscheiben für diesen illegalen Waffenhandel mit den Aufständischen in Amerika. Doch bald nach Ausbruch der Kampfhandlungen in Nordamerika verbietet die Regierung der Republik auf britischem Druck hin jeglichen Waffenexport nach Nordamerika. Die Waffenproduktion für das nordamerikanische Kriegsgebiet, zumal in den Niederlanden, läuft jedoch ungehindert weiter. Längst hat sich beiderseits des Atlantiks ein gut funktionierendes Schmuggelnetz entwickelt, an dem zuweilen sogar britische Waffenmanufakturen beteiligt sind.

Sint Eustatius: das Schmugglernest

Als sicherste Route der Schmuggler und Waffenhändler gilt eine Verschiffung der illegalen Güter über Zwischenstationen in der Karibik. Die Inselwelt der Antillen bietet nicht nur eine Vielzahl versteckter Buchten und unbewohnter Eilande; sie verfügt auch über genügend Hafenplätze und Versorgungspunkte unter fremder, insbesondere neutraler Flagge. Einer dieser karibischen Stützpunkte entwickelt sich während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges zum wichtigsten Stapelplatz der Rebellen für die kriegswichtigen Schmuggelwaren: das niederländische Emporium Sint Eustatius, eine nur rund 21 km² große Vulkaninsel unter der Kontrolle der niederländischen Westindien-Compagnie. Der perfekte Endpunkt jeder Handelsfahrt aus niederländischen Seestädten wie Amsterdam, Rotterdam oder Vlissigen, in deren Laderäumen eben auch Musketen versteckt sind. Von den Briten und Amerikanern jener Zeit wird die karge Insel zwischen dem rund 600 Meter hohen Vulkankegel „De Kuil“ (The Quill) und der Hügellandschaft der sogenannten „Kleinen Berge“ meist „St. Eustatia“ oder kurzweg „Statia“ genannt.

Das Vulkaneiland befindet sich im Nordosten der kleinantillischen Inselkette, die den Atlantischen Ozean von der Karibischen See abschließt. Sint Eustatius liegt zwar Hunderte Seemeilen von den Kriegsschauplätzen und Schleichwegen im Inneren des amerikanischen Kontinents entfernt; dennoch gilt sie bei den Amerikanern und ihren Unterstützern schnell als idealer Umschlagplatz für geschmuggelte Waffen und Marineausrüstung, gefälschte Frachtpapiere und diplomatische Geheimkorrespondenzen. Was die niederländische Antilleninsel Sint Eustatius so beliebt macht ist nicht nur der neutrale Status ihrer Flaage: es ist auch ihre zentrale Lage in unmittelbarer Nachbarschaft mehrerer französischer und britischer Plantageninseln, der dänischen Freihäfen auf den Jungferninseln sowie der gleichfalls niederländisch kontrollierten Eilande Saba und partiell auch Sint Maarten. Sint Eustatius ist somit ein geradezu idealer Ausgangspunkt für den Aufbau einer schwer zu überwachenden Schattenwirtschaft unter Palmen, der Europa mit Nordamerika verbindet.

Statias zwielichtige Kaufmannsclique

Mehr noch als ihre günstige Lage zwischen den Zuckerinseln der Karibik profitiert Sint Eustatius von seiner hochflexiblen, gleichermaßen handelstüchtigen wie korrupten Inseloligarchie; einer überwiegend britisch und niederländisch dominierten Kaufmannsklasse, die im Hafen des statianischen Hauptortes Oranjestad zahlreiche Faktoreien und Warenmagazine unterhält. Die Reichsten unter diesen exzellent vernetzten Fernhandelskaufleuten betreiben überdies kleine Zuckerplantagen auf der Insel. Viele dieser auf Sint Eustatius aktiven Kaufmanns- und Pflanzerdynastien niederländischer, hugenottischer oder englischer Herkunft sind bisweilen schon mehr als 100 Jahre in der Karibik ansässig. Gerade in Kriegszeiten profitiert diese Gruppe in besonderer Weise von der Notwendigkeit neutraler Stapelplätze und Versorgungshäfen in der Inselwelt der Karibik. Während der See- und Landkriege des 17. und des 18. Jahrhunderts sind es in der Karibik dabei vor allem niederländische und dänische Inselbesitzungen wie St. Thomas, Sint Eustatius oder Curaçao, die diese zwielichtige und doch höchst einträgliche Funktion für die Großmächte der Epoche übernehmen. Ohne sie droht die Versorgung insbesondere der französischen und der britischen Antillenbesitzungen mit ihrer zahlreichen Sklavenbevölkerung zu kollabieren. Zugleich garantieren die Neutralen, dass auch in Kriegszeiten der lukrative Handel mit den Hafenstädten Europas und den Sklavenfestungen Afrikas aufrechterhalten bleibt.

Für Statias multinationale Kaufmannsriege bedeutet Krieg im Atlantikraum, in der Karibik oder auf dem nordamerikanischen Festland in der Regel eine Phase wirtschaftlicher Hochkonjunktur. Doch das Geschäft mit der Konterbande, ob Waffen oder Schiffsausrüstung, ist stets mit hohen Risiken verbunden. In Kriegszeiten drohen Piratenüberfälle und rüde Beschlagnahmungen auf hoher See; zudem bieten neutrale Häfen den Akteuren der Kontraökonomie immer nur solange Schutz vor Kaperfahrern und Wachschiffen, wie es der neutralen Macht selbst gelingt, nicht zu tief in die Kriegshändel der Belligeranten verwickelt zu werden. Genau dies wird den Niederlanden während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges nicht möglich sein.

Neutraler Stapelplatz für alle Kriegsparteien

Zu Beginn des Amerikanischen Bürgerkrieges scheint es jedoch, als gelänge den Niederlanden mit ihrem karibischem Versorgungspunkt Eustatia neuerlich, was ihnen bereits während des Siebenjährigen Krieges nahezu unbeschadet möglich war: das Vulkaneiland am nordöstlichen Ende der Antillenkette als neutrales Emporium allen Kriegsparteien unentbehrlich zu machen. Bald nach dem Beginn der Feindseligkeiten in den nordamerikanischen Kolonien zirkuliert zunächst wieder ein beachtlicher Teil des karibischen Handelsvolumens über den statianischen Freihafen von Oranjestad. Weil die direkte Einfuhr von Waffen aus Europa besonders risikoreich ist, werden für Amerikas Rebellen in den Warenmagazinen von Oranjestad sämtliche kriegswichtigen Güter gleichsam zwischengelagert: von Uniformstoffen, über Flintsteinen bis hin zu Fässern voll Schießpulver. Einträchtig stapeln sich dabei die begehrten Kriegsgüter neben den typischen Exportwaren der Region: Zucker aus Britisch-Westindien und den französischen Antillen, Tabak aus Virginia oder Reis aus Carolina. Trotz aller Handelsblockaden, Exportverbote und ungeachtet des wachsenden Kaperunwesens in der Region: das transatlantische Handelsgeschäft muss weiter gehen. Daran haben Statias Kaufleute auch jenseits der lukrativen Aussichten im Schmuggelgeschäft reges Interesse. Schließlich haben sie vielen nordamerikanischen Kolonisten hohe Langzeitkredite gewährt.

Amerikas „Continental Navy“ in der Karibik

Um die Versorgung mit Waffen und Schwarzpulver für den Kampf in Nordamerika zu sichern, entsendet die Schattenregierung der Rebellen regelmäßig bewaffnete Handelsschiffe nach Westindien. Im Oktober 1776 versegelt die Brigantine ANDREW DORIA, Ex-DEFIANCE, im Auftrag eines Geheimausschusses für das militärische Beschaffungswesen der Rebellenprovinz Maryland nach Sint Eustatius. Ihr Auftrag: der Kauf von Waffen und Munition und die Übergabe einer Abschrift der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung an den neuen Gouverneur von Sint Eustatius, Johannes De Graaff (1729-1813). Die mit 14 Kanonen bestückte ANDREW DORIA steht unter dem Kommando des aus Philadelphia stammenden Kapitäns Isaiah Robinson. Der unter der Flagge des Kontinentalkongresses fahrende Zweimaster gehört der erst im Jahr zuvor gegründeten Marine der nordamerikanischen Rebellen an, der sogenannten „Continental Navy“.

Die ANDREW DORIA und ihre Mannschaft verfügen bereits über erste Erfahrungen im Kriegs- und Schmuggelgeschäft der Karibik. Im März 1776 beteiligt sich die amerikanische „Brig-of-war“ an der sogenannten „Schlacht von Nassau“, einem spektakulären Überfall in der Inselwelt der Bahamas, der als erste amphibische Landungsoperation der amerikanischen Marinegeschichte gilt. Auch diese kombinierte Aktion von Continental-Navy-Kräften und Angehörigen der ebenfalls 1775 gegründeten „Continental Marines“ dient der Beschaffung von Waffen, Kanonen und Munition. Obgleich militärisch von eher geringer Relevanz bedeutet der amerikanische Angriff auf die britischen Forts von Providence Island einen strategisch wichtigen Einbruch in die merkantile Kernzone des Britischen Empires: Westindien und seine Zuckerinseln. Das Inselgewirr der Britischen Karibik zwischen den Bahamas, den Leeward und den Windward Islands ist nicht nur genauso schwer zu kontrollieren wie die nordamerikanische Ostküste. Es ist auch höchst verwundbar. Selbst die bescheidenen Marinekräfte des rebellischen Kontinentalkongresses können den Briten gefährlich werden.

In der Folge werden die Karibische See und die Antillen nicht nur zur zentralen Schmuggelroute für den Waffenhandel der Rebellen; sie werden auch zu einem wichtigen Operationsgebiet amerikanischer Kaperschiffe. Trotz ihrer geringen Zahl und der traditionellen Stärke der englischen Flotte in der Region können sie den Handelsverkehr der Briten in Westindien dabei immer wieder empfindlich stören. Die unter der neutralen Flagge der Niederlande beschirmte Reede von Oranjestad wird dabei für amerikanische Schmuggel- und Kaperschiffe folgerichtig zu einem ihrer beliebtesten Anlaufpunkte. Hier gibt es nicht nur Waffen und Proviant, sondern immer wieder auch Gelegenheit, kaperwillige Seeleute anzuheuern.

Kontrasalut: die Affäre um die ANDREW DORIA

Die ANDREW DORIA erreicht Sint Eustatius am 16. November 1776. Unvermittelt gibt das, wie erwähnt, unter der neuen Flagge des Kontinentallkongresses fahrende Schiff mehrere Salutschüsse in Richtung des niederländischen Forts von Sint Eustatius ab. Und die niederländische Batterie von Fort Oranje oberhalb der Warenmagazine im Hafen von Oranjestad ─ sie gibt überraschenderweise ein Kontrasalut (Contra-Salut). Ein militärisches Zeremoniell, das eigentlich nur den Kriegsschiffen souveräner Staaten vorbehalten ist. Die Statia unmittelbar benachbarte Insel St. Christopher (St. Kitts), eine stark befestigte britische Plantagenkolonie, entgeht dieser ungewöhnliche Vorgang keineswegs. Die Affäre um das „DORIA-Salut“ löst in den folgenden Wochen einen schweren diplomatischen Disput zwischen den Generalstaaten und Großbritannien aus. Der vorläufige Höhepunkt tiefer gehender politischer Spannungen, die seit Langem schon in Amsterdams und Eustatias Rolle im Schmuggelgeschäft mit den amerikanischen Rebellen ihre Ursache haben. Über Monate hinweg werden nun Augenzeugenberichte, eidesstattliche Erklärungen, Protestnoten und Memoranden zwischen London, Den Haag und der Karibik ausgetauscht. Der Beginn eines Dramas, der schließlich auch die kleine niederländische Antilleninsel Eustatia in den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg reißen wird.

Was die Briten in den Wochen nach dem Flaggensalut für das amerikanische Rebellenschiff dabei besonders empört: Statias amtierender Gouverneur De Graaff selbst habe den zunächst zögernden, vom Kanonensalut der ANDREW DORIA geradezu irritierten Fortkommandanten direkt dazu aufgefordert, Kontrasalut zu geben. Offenbar war De Graaff sogar eigens wegen des Saluts der ANDREW DORIA in das Fort der Insel gerufen worden. Johannes de Graaff, gebürtiger Statiane und in den Niederlanden ausgebildeter Advokat, gilt als besonders tief in das Schmuggelgeschäft der niederländischen Antilleninsel verstrickt. Gerüchteweise heißt es, der umtriebige Commandeur der niederländischen Inseln über dem Winde habe, gleichsam inoffiziell, den uneingeschränkten Handel für amerikanische Schiffe in Sint Eustatius geöffnet. Die Rebellen der Vereinigten Kolonien werden schließlich sogar zwei Schiffe nach De Graaff und seiner Gattin benennen. Zum Dank für De Graaffs Risikofreude im Schatten britischer Inselfestungen und Geschwaderstützpunkte.

Gouverneur De Graaff muss weg

Kein Wunder, dass den Briten Sint Eustatius geradewegs als „Piratennest“ gilt, für das folgerichtig eben nur einer verantwortlich ist: Gouverneur Johannes De Graaff. Regelmäßig werde das Vulkaneiland von amerikanischen Kaperfahrern als sichere Versorgungsstation in der Karibik genutzt, heißt es in den Berichten der sichtlich überforderten Navy an die Admiralität. Besonders enge Beziehungen soll De Graaff zu dem einflussreichen amerikanischen Kaufmann Abraham van Bibber (um 1744-1805) aus Maryland unterhalten. Van Bibber ist einer der vielen Spinnen im Netz der geheimen Korrespondenzbüros und Beschaffungskommissionen der Rebellen im Atlantikraum. Auf St. Christopher sammelt man schon länger systematisch Zeugenaussagen, die belegen sollen, wie eng Sint Eustatius Inseloligarchie, allem voran Gouverneur De Graaff, mit den Rebellen, ihren Handels- und Kaperschiffen und ihren verschiedenen Agenten und Repräsentanten zusammenarbeiten. Nach dem Vorfall um die ANDREW DORIA fordern die Briten nun ultimativ die Abberufung De Graaffs aus Westindien.

Die Royal Navy ist überfordert

Die Briten sind in dieser Phase des Unabhängigkeiteskrieges bereits mehr als nervös. Die Entwicklung auf dem nordamerikanischen Kriegsschauplatz ist wenig erquicklich für England. Während die DORIA-Affäre in Großbritannien und der Republik zunächst nur für ernstere außenpolitische Verstimmungen sorgt, kommt es zwischen September und Oktober 1777 in den Rebellenkolonien zur folgenschweren Niederlage der Briten bei der Schlacht von Saratoga. Die wochenlangen Gefechte im Tal des Hudson Rivers gelten als wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des Unabhängigkeitskrieges, der den Kontinentalen einen mächtigen Verbündeten an die Seite bringen wird: Frankreich, Großbritanniens Erzfeind in der Welt des Atlantikraums. Nicht minder unerfreulich für die Briten ist das faktische Scheitern ihrer Seeblockaden entlang der nordamerikanischen Küste. Die Schmuggelrouten über die Karibik, die Carolinas und das spanisch-kontrollierte Mississippi-Delta sind für die Briten dauerhaft nicht zu überwachen. Zudem profitieren insgeheim auch viele britische Händler, Pflanzer und Kapitäne von den Schmuggel- und Kapergeschäften in den Buchten und Häfen der Kleinen Antillen.

Die Lage wird zusehends unübersichtlicher für die Offiziere der Royal Navy. Die zahlreichen Patrouillen- und Überwachungsaufgaben der Marine zerren zusätzlich an den Nerven der Verantwortlichen. Der Vize-Admiral des Flottenkommandos in Antigua, James Young (1717-1789), fürchtet gar, in Westindien langfristig nicht mehr genügend Mannschaften für die Kriegsschiffe Ihrer Majestät anheuern zu können. Viele Seeleute zieht es lieber zu den Kaperfahrern, wo lukrative Prisen auf die Crews warten, so Young in seinen Berichten aus Westindien. Mit dem Kriegseintritt der Franzosen und der Spanier auf der Seite der Rebellen im Februar 1778 beziehungsweise im Juni 1779 wird dieses Problem für die britische Marine noch dringlicher.

Das amerikanische Kaperschiff BALTIMORE HERO

Was die diplomatischen Verwicklungen um das Kontrasalut für die ANDREW DORIA in jenen Monaten zusätzlich antreibt, sind die Vorgänge um ein weiteres amerikanisches Kaperschiff: die BALTIMORE HERO. In den Rapports aus St. Christopher heißt es über dieses Schiff: Am 21. November 1776, also nur wenige Tage nach dem DORIA-Zwischenfall, habe eine amerikanische Slup, die BALTIMORE HERO, ein britisches Handelsschiff aus Dominica gekapert. ─ Und zwar unmittelbar vor der Reede von Oranjestad, in Schussweite der Kanonen von Fort Oranje, das keinerlei Anstalten machte, wie es in dem vertraulichen Bericht empört heißt, die Kaperung des britischen Schiffs in irgendeiner Form zuunterbinden. Eine impertinente Provokation ohnegleichen!

Schnelle Reaktionsweisen sind für die britischen Seeoffiziere aber kaum möglich. Die transatlantischen Nachrichtenwege und Passagezeiten erschweren für die Navy regelmäßig eine effiziente Kommunikation mit der Admiralität: Wochen später erst kann Vize-Admiral Young, als Commander-in-Chief der Leeward Islands Station auf Antigua, nach den „Frechheiten“ der ANDREW DORIA und der BALTIMORE HERO Sint Eustatius versuchsweise unter strenge Blockade stellen. Jedes ein- und ausgehende Schiff, so seine Order aus Großbritannien, ist fortan durch die Royal Navy streng auf Konterbande, insbesondere Waffen und Schießpulver, zu untersuchen. Konfiszierte Schiffe seien in nahe gelegenen britischen Häfen festzuhalten, bis weitere Befehle eingingen. Für die Statianen ist die zeitweilige britische Handelsblockade bereits eine schwere Belastung für ihre Geschäfte in der karibischen Inselwelt. Aber genau das ist auch die erklärte Absicht der Briten.

Kriegsgefahren

Die wachsende Nervösität der Briten entgeht auch den politisch Verantwortlichen in den Niederlanden nicht. Der niederländische Erbstatthalter, Willem V. von Oranje-Nassau (1748-1806) und sein engster Berater, der Herzog von Braunschweig, Ludwig Ernst von Braunschweig-Wolfenbüttel (1718-1788), wissen: Eigenmächtigkeiten der antillischen Handelsoligarchie und der Westindien-Compagnie können zu ernsten Verwerfungen im niederländisch-britischen Verhältnis führen. Krieg droht, und die Briten werden keine Skrupel haben, in der zusehends schwierigeren außenpolitischen Lage des Empires nötigenfalls auch ihren langjährigen Verbündeten anzugreifen. Treffen die Vorwürfe gegen den Commandeur von Sint Maarten, Saba und Sint Eustatius, Johannes De Graaff, tatsächlich zu, muss den Briten unbedingt Satisfaktion gegeben werden.

Zugleich, und das macht die Situation für die Mächtigen der Republik nur noch komplizierter, gilt es, jenen innenpolitischen Kräften gerecht zu werden, welche den wachsenden Zudringlichkeiten der Briten gegen die niederländische Handelsfahrt einen Riegel vorschieben wollen. Notfalls auch mit einem bewaffneten Konvoisystem zwischen den Niederlanden und der Karibik. Ein Krieg mit Großbritannien könnte für die Generalstaaten zwar ernste Folgen haben, aber die amerikanischen Handelsaussichten sind für viele Kaufleute und Manufakturisten in den niederländischen Seestädten einfach zu verlockend. Zumal nach einem möglichen Sieg der Rebellen über Großbritannien der Atlantikhandel neu verteilt werden könnte. Auf Kosten der starken britischen Konkurrenz versteht sich.

Rückkehr nach Sint Eustatius

Zunächst ist der diplomatische Druck aus England jedoch zu groß für den Konkurrenten auf der anderen Seite der Kanalküste. Hollands amerikafreundliche und latent-kriegsbereite Parteiung der „Patrioten“ (Patriotten) muss sich noch gedulden. Gouverneur De Graaff wird von den aufgeschreckten Generalstaaten nach einigem Zögern tatsächlich in die Niederlande beordert, wo er sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern soll. Doch erst im Juli 1778, fast zwei Jahre nach den Ereignissen auf der Reede von Sint Eustatius, trifft der so schlecht beleumundete Handels- und Hypothekenkönig von Eustatia überhaupt in Holland ein. Seine Anhörung in Amsterdam scheint ihn für die niederländischen Behörden vollends zu entlasten; sehr zum Unmut der Briten: Sein Kontrasalut für die ANDREW DORIA habe De Graaff lediglich in deren Funktion als Kauffahrteischiff gegolten, heißt es in den Protokollen der Westindien-Compagnie und der Generalstaaten. Und ohnedies sei mit dem Kontrasalut von Fort Oranje eine wie auch immer geartete völkerrechtliche Anerkennung der nordamerikanischen Rebellenunion keinesfalls verbunden gewesen.

Was genau am 16. November 1776 auf der Reede von Oranjestad geschehen ist, lässt sich selbst für De Graaffs Landsleute offenbar nur noch schwer rekonstruieren. Aber die Niederlande müssen ihr Gesicht wahren. Und fallen lassen können sie De Graaff als amtierenden Inselcommandeur ohnedies nicht. Zudem dürfte der schillernde Kaufmann auch in den Niederlanden über einflussreiche Freunde unter den Profiteuren der transatlanischen Schmuggelwirtschaft verfügt haben. Im Frühjahr 1779 weisen die Vertreter der Republik und der Westindien-Compagnie daher alle Vorwürfe und Forderungen der Briten nach einer Amtsenthebung De Graaffs als Commandeur sowie seine Bestrafung förmlich ab. De Graaff kehrt nach Sint Eustatius zurück und die strengen Untersuchungen neutraler niederländischer Schiffe in Westindien müssen britischerseits wieder eingestellt werden. Dessen ungeachtet sucht man über diplomatische Kanäle die Briten weiter zu beschwichtigen: Den Verantwortlichen in Übersee wie im Mutterland sei erneut und unmissverständlich das Verbot jeglicher Waffenexporte nach Nordamerika erklärt worden, heißt es unermüdlich aus Den Haag.

Eskalationsspiralen und geheime Flottenprogramme

Schnell erweist sich jedoch, dass der Vorfall um Gouverneur De Graaff, die ANDREW DORIA und anderer amerikanischer Schiffe im Einflussbereich der niederländischen Westindien-Compagnie nur den Auftakt einer sich immer schneller drehenden Eskalationsspirale darstellen. Mit der offiziösen, für die Briten aber wenig glaubhaften Selbsterklärung De Graaffs in den Niederlanden aus dem März 1779 ist diese Eskalationsbewegung längst nicht mehr aufzuhalten. Über dem seit rund einhundert Jahren weitgehend ungetrübten Verhältnis zwischen Großbritannien und den Vereinigten Provinzen der Niederlande zieht ein kleiner Hurrikan auf: Denn aus britischer Sicht lässt sich trotz aller gegenteiligen Behauptungen nicht mehr länger leugnen, dass die Niederlande als vorgeblich neutrale Handelsmacht in der Karibik und auf dem Atlantik den Kriegsverlauf in Nordamerika zunehmend gefährden könnten.

Frankreich, und in seinem Schlepptau auch die Spanier, sind bereits aufseiten der Rebellen in den Konflikt eingetreten. Und die niederländische Republik, sie fungiert mit ihrem antillischen Inselemporium Sint Eustatius gleichsam als zuverlässigster Waffenlieferant und Versorgungspunkt der Aufständischen in Westindien und Nordamerika. Auch die Niederländer, allen voran ihre tief zerstrittene Führungsschicht aus Adligen und Kaufleuten, ahnen immer mehr, dass das gutnachbarschaftliche Verhältnis mit den Briten sehr bald schon in einen neuerlichen See- und Handelskrieg umschlagen kann. Und die Niederländer sind hierfür, insbesondere in der Karibik, alles andere als gewappnet. Noch während der diplomatischen Händel um die ANDREW DORIA und die Verwicklungen der statianischen Kaufmannsriege in das Schmuggelgeschäft der Karibik, beginnt die „Republiek“ mit einem geheimen Flottenbauprogramm; 24 neue Linienschiffe sollen in den Niederlanden gebaut werden und künftig einem möglichen Konvoisystem zur Verfügung stehen. Man will auf alles gefasst sein.

Die Niederlande im Krieg mit Großbritannien

1780 verschärft sich die Lage zwischen beiden Ländern noch ein letztes Mal: Als die Niederländer damit drohen, einem mächtigen Bündnis zum bewaffneten Schutz des neutralen Handels beizutreten, zu dem auch Preußen und Russland gehören, erklärt Großbritannien den Vereinigten Provinzen endgültig den Krieg. Noch in der im Dezember 1780 zugestellten Kriegserklärung Großbritanniens rekurrieren die Diplomaten des Empires ausdrücklich auf Sint Eustatius’, aus ihrer Sicht, unsäglichen Rolle im transatlantischen Schmuggelgeschäft. Und so gehört zu den wichtigsten Kriegsziele der Niederländer ab Dezember 1780 auch eine rasche Besetzung der niederländischen Antillenbesitzungen, allem voran dem Schmuggler- und Piratennest Eustatia. Sint Eustatius wird bereits im Februar 1781 durch den berüchtigten britischen Admiral George Rodney (1718-1792) erobert. Die niederländischen Nachbarinseln Saba und Sint Maarten folgen wenige Tage später. Sint Eustatius wird in den folgenden Wochen von der britischen Marine geradezu ausgeplündert. ─ Eustatias abgesetzter Gouverneur De Graaff indes verbringt man mitsamt seiner Familie nach Großbritannien. Nach dem Ende des Krieges mit den amerikanischen Rebellen darf De Graaff jedoch wieder nach Sint Eustatius zurückkehren. Bei den amerikanischen Rebellen und ihren Nachfahren bleibt Johannes De Graaff, der bei den Briten so verhasste Gouverneur von Sint Eustatius, Saba und Sint Maarten indes unvergessen. Davon zeugt ein Porträt des listigen niederländischen Commandeurs, das über einen entfernten Verwandten des Statianen aus der niederländischen Kolonie Suriname 1837 als Geschenk in das „State House“ des US-Bundesstaates New Hampshire gelangt. Rund 25 Jahre nach De Graaffs Tod auf Sint Eustatius.

Das Ende der ANDREW DORIA

Während der britischen Kriegserklärung und der nachfolgenden Landungsoperationen gegen die niederländischen Antillen und Suriname ist die ANDREW DORIA längst nicht mehr, liegt ihr Schiffsrumpf auf dem Grund des Delaware, obgleich ihr empörendes Ehrensalut selbst noch in den Kriegsbegründungen der britischen Diplomatie ausdrücklich Erwähnung findet. Nach ihrem Einsatz in Sint Eustatius 1776 ist die ANDREW DORIA wieder in nordamerikanischen Gewässern aktiv. Doch statt für Kaper- und Schmuggeloperationen wird das Schiff der Continental Navy nun dringend zur Verteidigung der Rebellen-Hauptstadt Philadelphia benötigt und kurzerhand auf dem Delaware eingesetzt. Den Briten gelingt in der Schlacht von Brandywine am 26. September 1777 tatsächlich die Eroberung von Philadelphia. Noch scheint das Kriegsglück auf ihrer Seite.

Nach der Eroberung der alten Quäkergründung Philadelphia werden nun auch die südlich von Philadelphia gelegenen Delaware-Forts Mercer und Mifflin von den Briten belagert; die Engländer versuchen über den Delaware eine Versorgungslinie von See bis in das Landesinnere herzustellen. Und hier ist auch die ANDREW DORIA vor Anker gegangen. Als es den Briten schließlich auch gelingt, die beiden Forts zu erobern, wird der ANDREW DORIA die Selbstversenkung befohlen. Von ihrer Crew in Brand gesetzt, versinkt die ANDREW DORIA schließlich in den Fluten des Delaware. Vergessen ist sie dennoch nicht.

Erinnerungen an die ANDREW DORIA

Bis heute erhält sich der Zweimaster seinen legendären Status als eine der ersten „Brigs-of-War“ der amerikanischen Marinegeschichte, als tollkühner karibischer Schmuggler und als jenes kontinentale Kriegsschiff, welches als Erstes mit einem förmlichen Kontrasalut im Hafen einer ausländischen Macht geehrt wurde. 1939 besucht gar ein amerikanischer Präsident, Franklin Delano Roosevelt (1882-1945), das niederländische Antilleneiland Sint Eustatius und die Ruinen von Fort Oranje; jenem Ort von wo am 16. November 1776 die berühmten Salutschüsse zu Ehren der Flagge des Kontinentalkongresses und der ANDREW DORIA über die Reede von Oranjestad hallten. Seither erinnert eine Plakette unterhalb des Flaggenmastes von Fort Oranje an Roosevelts Besuch und die Geschichte der ANDREW DORIA. Der 1991 durch den US-Präsidenten George Bush Senior dekretierte „Dutch-American Heritage Day“ wird alljährlich ebenfalls an einem 16. November begannen. In Erinnerung an den „First Salute“ von Sint Eustatius.

Einigen amerikanischen Geschichtsenthusiasten scheint auch dies nicht zugenügen: Seit 2009 gibt es Pläne, ein schwimmfähiges Replikat der ANDREW DORIA zu bauen. Das historische Segelschiff soll nach seiner Fertigstellung jeweils für ein halbes Jahr an der amerikanischen Ostküste präsent sein; den Rest des Jahres jedoch in der Karibik weilen, wo der Nachbau der ANDREW DORIA dann, neben Segeltörns durch die Inselwelt der Antillen, vor allem als Touristenattraktion die Reede von Sint Eustatius aufwerten soll.